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Gelungener Kraftakt
Ring-Projekt in Meiningen · Von Stephan Hoffmann
Ein kleines Theater mit großer Geschichte: Ebenso wie das
Wagner-Festspielhaus in Bayreuth entstand das Theater Meiningen
in den Siebziger-jahren des 19. Jahrhunderts und wurde für
seine künstlerische Qualität schnell über die Grenzen
des soeben gegründeten Deutschen Reiches hinaus bekannt. Hans
von Bülow dirigierte hier, Richard Strauss und auch Max Reger.
Und nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit besann es sich
bald auf seine traditionsreiche Vergangenheit. Über den jüngsten
Coup des ambitionierten Hauses, medial bereits in der
Vorberichterstattung reichlich ausgeschlachtet, berichtet Stephan
Hoffmann.
Einmal, ein einziges Mal, soll es das schon gegeben haben: 1876,
bei der Uraufführung von Richard Wagners Ring des Nibelungen.
Seitdem hat kein Theater der Welt mehr gewagt, die vier Werke der
Tetralogie an vier aufeinander folgenden Abenden herauszubringen
bis jetzt, bis zur Ring-Produktion des Meininger
Theaters, das keineswegs zu den großen und besonders potenten
Häusern zählt: Es hat einen recht überschaubaren
Jahresetat von etwa 30 Millionen Mark und ist in einer Kleinstadt
mit knapp 25.000 Einwohnern angesiedelt. Christine Mielitz, Regisseurin
und Intendantin in Meiningen seit 1988, hat sich den Riesenkraftakt
vorgenommen und mehr als zwei Jahre lang geprobt; das war auch nötig,
denn für nahezu alle Sänger war dies die erste Begegnung
mit dem Ring, auch für Kirill Petrenko, den Dirigenten
und musikalischen Chef in Meiningen. Er hat es gleich mit zwei Orchestern
zu tun, mit dem aus Meiningen und mit der benachbarten Thüringischen
Philharmonie aus Gotha-Suhl; denn für ein Orchester allein,
ganz besonders für die viel beschäftigten Bläser,
wäre ein Ring ohne Pause einfach nicht zu schaffen.
Petrenko hat seit dem Beginn der Ring-Arbeit im Januar
1999 die unglaubliche Zahl von 150 Proben in die Orchesterarbeit
investiert, und die haben sich hörbar gelohnt. Natürlich
sind die beiden Orchester nicht die Berliner Philharmoniker, natürlich
muss man musikalisch gewisse Abstriche machen aber diese
Abstriche sind erstaunlich geringfügig. Die Musiker spielten
weit oberhalb ihrer gewohnten Leistung, vor allem die Bläser
wären mühelos auch in anderen Orchestergräben vorstellbar,
das hatte rein gar nichts von einem wackligen Provinzorchester.
Überhaupt scheint dieser Ring Adrenalinstöße
ungeahnter Größenordnung auszulösen. In Meiningen
wurde eine reduzierte Orchesterfassung für etwa 65 Musiker
gespielt, mehr passen einfach nicht in den Orchestergraben; doch
was sich wie ein Mangel anhört, erwies sich als Tugend: Petrenko
musizierte mit forschen Tempi, mit großer Klangsinnlichkeit
und vor allem wunderbar kammermusikalisch, und das bedeutet: er
überdeckte die Sänger nie, er ließ ihnen Raum, auch
für sonst kaum mögliche Piani. Alle Sänger waren
übrigens doppelt besetzt niemand wollte das Risiko eingehen,
dass wegen eines indisponierten Akteurs eine Vorstellung hätte
ausfallen müssen.
Die Sänger bedankten sich mit geradezu mustergültiger
Textverständlichkeit und mit Leistungen, die jeden Vergleich
aushalten. Es ist immer ein wenig unfair, aus einem weitgehend ausgeglichenen
Ensemble einzelne Namen herauszugreifen; aber Jürgen Müller
als himmelstürmender Jung-Siegfried, Franz Hawlata als absolut
souveräner Wotan und die beiden wunderbaren Brünnhilden
Ursula Prem und Anne Gasteen waren dann doch noch einmal eine Klasse
für sich.
Wagners Tetralogie bedeutet für jedes Theater eine Anstrengung
bis zum Äußersten, die Produktion in Meiningen aber ist
noch einmal eine eigene Kategorie. Am Rande des Größenwahns
betitelte der Spiegel seinen Vorbericht über das
musiktheatralische Jahrhundert-Unternehmen. Doch was da auf der
Meininger Bühne zu sehen war, erweckte mitnichten den Eindruck
von Größenwahn. Christine Mielitz hatte sich mit dem
österreichischen Maler, Bildhauer und Querdenker Alfred Hrdlicka
einen besonders prominenten Bühnenbildner gesucht, und sie
war keineswegs immer mit ihm einer Meinung überraschenderweise
sehr zum Nutzen dieser höchst lebendigen, vielseitigen Produktion.
Hrdlickas Bühnenbild betonte nämlich den politischen Aspekt
der Tetralogie, Christine Mielitz stellte dagegen die persönlichen
Tragödien der göttlichen Familiengeschichte in den Mittelpunkt.
Der Göttersitz Walhall zum Beispiel ist ein Zwischending aus
Burgruine und den Revolutionsbarrikaden von 1848; die Rheintöchter
treten zunächst gar nicht in menschlicher Form in Erscheinung,
sondern ausschließlich als Objekt männlicher Begierde:
als Puppen, die selber aus purem Gold und außerdem mit einer
Unzahl von Busen, Schenkeln und Popos ausgestattet sind: Symbole
für Geld und gleichzeitig Symbol für Liebe. Die beiden
Riesen Fasolt und Fafner sind zum einen endlich einmal wirklich
riesenhaft, zum anderen tragen sie die Züge Ludwigs II. und
Wagners. Nach eigenem Bekunden mag Hrdlicka Wagner überhaupt
nicht aber immer noch mehr als einen König, deshalb
darf Fafner-Wagner Fasolt-Ludwig umbringen und eine Zeit lang in
Drachengestalt den Nibelungenhort bewachen.
Politische Anspielungen dieser Art gab es zuhauf, vergnüglich
anzusehen sind sie allemal. Dafür sind die Beziehungs-Nuancen
des ersten Walküren-Aktes mit einer ganz unironischen Intensität
ausinszeniert, wie man sie selten zu sehen bekommt: Worüber
auch immer das Zwillings- und Liebespaar Siegmund und Sieglinde
spricht die Gesten, Blicke und Bewegungen sagen immer nur:
Ich will dich. Im Siegfried erleben wir mit, wie ein
regressionsgefährdeter Jung-Siegfried im Gitterbettchen liegt
er wirft das Möbelstück später in die Flammen,
mit denen er das Schwert Nothung schmiedet. Indem er den Drachen
tötet, reift Siegfried endgültig zum Mann und reißt
sich seine Kinderklamotten vom Leib. Das ist alles sehr schlüssig,
sehr nachvollziehbar; und weil es so geschickt umgesetzt ist, auch
sehr kurzweilig da war an größeren und höher
dotierten Häusern nun wirklich schon Ermüdenderes und
weniger Schlüssiges zu sehen. Und zu diesen größeren
Häusern zählt auch ausdrücklich das nahe gelegene
Festspielhaus in Bayreuth.
Im Lauf der vier Abende verstärkte sich allerdings auch eine
Tendenz, die von Anfang an zu beobachten war: Die Inszenierungen
wurden immer sparsamer, die Bühne immer requisitenloser, die
Kostüme immer heutiger. Die dadurch angestrebte Verdichtung
und Aktualisierung erreichte Frau Mielitz nicht immer; wenn etwa
ganze Szenen der Götterdämmerung vor dem Vorhang
spielen, ist das wohl doch ein allzu minimalistischer Ansatz, der
dem ungeheueren Werk nur zum Teil gerecht zu werden vermag. Aber
auch, wo sie an ihren selbstgesteckten Zielen scheiterte, tat Christine
Mielitz das, was die Personenführung angeht, auf hohem handwerklichen
Niveau. Selbst im Scheitern ist dieser Ring großes
Musiktheater. Wenn das Opernprovinz sein sollte, dann bitte mehr
davon.
Stephan Hoffmann
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