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Zwischen den Welten
Bilanz zur Münchner Dance-Biennale 2000 ·
Von Malve Gradinger
Der zeitgenössische Tanz, im überwiegenden Zuschauer-Bewusstsein
immer noch in der Hüpf- und Gymnastik-Ecke, kämpft seit
Jahrzehnten um eine künstlerische Gleichberechtigung. Letzthin
auch bei uns verstärkt über einen intellektuellen Diskurs.
Frankreich, mit seiner in den 40er-Jahren startenden und im Vergleich
zu Deutschland früh etablierten Festival-Kultur war da Vorreiter.
Die großen Sommer-Festivals von Aix, Arles, Avignon, Montpellier
und die Biennale de Lyon waren bereits in den 80er-Jahren spannend
auch wegen ihrer Choreografen-Gespräche und Colloquien zu diversen
Tanz-Themenbereichen, waren renommiert für ihre réflexion
sur la danse contemporaine.
Jetzt hatte auch die Kuratorin von Münchens Dance
2000, Gabriele Naumann, eine solche Anstrengung unternommen: mit
tanztheoretischen Ateliers, mit ethnologischen Vorträgen und
ihrem soziologisch orientierten Motto Zwischen den Welten.
Dieses stellte den zeitgenössischen Tanz pointiert in den Kontext
von Globalisierung und Interkulturalität.
Das Thema Zwischen den Welten bietet sich an im Zeitalter
von Handy, Internet und einer rasanten, Arbeitsplatz bedingten Migration
(siehe nur zum Beispiel den in Deutschland gerade aktuell festgestellten
Bedarf an ausländischen Computerspezialisten). Während
es in den 60er-Jahren ein Ausnahme-Phänomen war, wenn Maurice
Béjart fernöstliche und afrikanische Tanzelemente in
seinen Balletten verwendete man erinnere sein Bakhti
von 1986 wird es in Zukunft wohl zu einer Selbstverständlichkeit
werden, dass gewachsene traditionelle Tanz-Stile sich mit freier
Bewegung und zeitgenössischen Tanz-Konzeptionen mischen.
Die Konzeption der spielerisch mathematischen Raumstruktur
Basis westlicher Choreografie war 1998 eines der Workshop-Ziele
von Susanne Linke, die einer Einladung Germaine Acognys an deren
Schule im Senegal gefolgt war (die Senegalesin Acogny, schon lange
eine Wanderin zwischen den Welten, hatte auch kurz Béjarts
Mudra-Schul-Dependance in Dakar geleitet). Aus dem Workshop wurde
das nun auch beim Münchner Dance gezeigte Le
coq est mort, übersetzt Der Hahn ist tot.
Ein Stück, das noch auf seine künstlerische Vertiefung
wartet, in dem jedoch die acht schwarzen Tänzer die ungewohnten
Raum-Formationen, von der synchronen Frontalreihe bis zur Diagonalen
und zu durcheinanderscherenden Gruppen mit Bravour präsentieren.
Choreografische Strategie, aber nicht Kunst kann per Intensiv-Kurs
gelernt werden. Kunst, Authentisches braucht seine Zeit des Wachsens,
der Verinnerlichung wie die zweite afrikanische Compagnie,
Salia ni Seydou aus Burkina Faso, im positiven Sinn bewies. Seit
sieben Jahren tanzen die beiden Choreografen Seydou Boro und Salia
Sanon bei der Französin Mathilde Nonnier. Die Chefin des Centre
Choréographique in Montpellier hatte bereits 1993 in ihrem
Stück Pour Antigone Fast-Laiendarsteller aus Burkina
Faso integriert. Das Choreografen-Duo Salia ni Seydou hat in und
mit Monniers Compagnie choreografische Komposition, Improvisation
europäischer Art, das Finden von Tanztheaterbildern gelernt.
Ein Lernprozess, ganz ohne Selbstentfremdung wie man in
ihrem Stück Figninto (das blaue Auge) erleben konnte.
Es blieb übrigens einsamer Dance-Höhepunkt.
Wenn der große Seydou Boro, Salia Samon und ein dritter Tänzer
zu tanzen beginnen, dann ist das Trommeln, das hoch zirpende Klagen
der gezupften und geschlagenen Saite des Musikbogens zugleich draußen
und drinnen. Im Raum und im Rauschen des Bluts. Der Abend ist eine
einzige wunderbare, nie abreißende Entfaltung von Bewegung:
eine rollende Schulter, die hügelige Landschaft eines Rückens,
drei Körper im wiegenden Schritt über die Bühne
während jeder Torso seinen eigenen Tanz erfindet. Bewegungen,
die nie ihre schwarzen Wurzeln verleugnen, die aber die Freiheit
entdeckt haben zu offener, zeitgenössisch vielfältiger
Form die immer auch Bedeutung in sich trägt: drei Männer
tanzen hier ihre Ängste, ihre Freundschaft, das Leiden am Tod.
Kriegerisch aggressiv, verletzlich immer mit großer
Würde. Nicht eine Sekunde macht hier Körperschönheit
eitel auf sich aufmerksam. Wie selbstverständlich wird das
blinde Auge des Europäers gelenkt auf das choreografische
Können und die wieder daraus erwachsende Kreativität.
Hier haben wir den neuen Puls Afrikas gespürt, seine flammende
Kraft. Seine Geheimnisse.
Was wird man erinnern von den restlichen neun Choreografen? Zum
Beispiel die in Los Angeles lebende Koreanerin Shen Hea Ha, der
es exquisit gelungen ist, die fest ziselierte rituelle Tanzform
des Schamanismus ganz behutsam für freie expressive Bewegung
zu öffnen. Oder das schon seit etwa 20 Jahren etablierte Cloud
Gate Dance Theater aus Taiwan, das seine schon klassische Symbiose
zwischen der Zeitlupenkunst Tai Chi und Modern Dance
in seinem Moon Water vorführte. Ein sehr edel gearbeitetes
Stück, allerdings wie auch schon andere Cloud-Gate-Arbeiten
des Leiters Lin Hwai Min (zum Beispiel eine in Sand gebettete und
über Sand wandernde Tanzmeditation, die das Münchner Tollwood-Festival
1998 eingeladen hatte) von sedativer Monotonie.
Zu dieser Mischung und Überblendung von ethnischen und zeitgenössischen
Tanzformen lässt sich Zweierlei sagen: Selbstverständlich
können solche uralten Kulturgüter wie der indische Kathakali-Tanz
und der Bharata Natyam, mit ihrer Fülle an Bewegungs- und Ausdrucksmitteln,
jetzt Ausgangsbasis, Fundgrube sein für einen zeitgenössischen
indischen Tanz. Der Solo-Abend von Maya Krishna Rao hat das in etwa
angedeutet. Aber in den meisten der hier und auch schon andernorts
gesehenen Beispiele sitzt man da, schaut sich das Misch-Produkt
brav an und wünscht sich die ganze Zeit, den ursprünglich
traditionellen Tanz zu sehen, der um so viel dichter, um so viel
komplexer und faszinierender ist. Entsprechend zur World-Music entsteht
nämlich durch das Kultur-Allerlei eine Welt-Choreografie.
Das Stück der in London arbeitenden Inderin Shobana Jeyasingh,
der tatsächlich eine beachtliche Kreuzblende aus
Bharata Natyam und Modern Dance gelungen ist, war ein solch konfektioniertes
indisch-globales Welt-Ballett. Choreografisches Ziel erreicht, Kunst
kaputt.
Anregungen, ein Gefühl für diese neue interkulturelle
Tanzentwicklung hat diese Biennale sicherlich gegeben. Gleichzeitig
aber hat sie warnend demonstriert, dass das einmal gesetzte Thema
gefährlich verführt zu einer zwanghaft didaktischen Illustrierung
dieses Interkultur-Sujets. Und notgedrungen mit Unausgegorenem oder
Secondhand-Choreografie der postmoderne Hokuspokus Desdemona
Deconstructed/Reconstructed des Kollektivs Theaterworks, Singapur
nur zum Beispiel , da ja diese globalisierende Tanzströmung,
besonders in den fernöstlichen Ländern, noch in den Geburtswehen
liegt.
Münchens Dance-Biennale 2000 im März war
in diesem Jahr also so etwas wie eine Entwicklungshilfe für
den zeitgenössischen Tanz. Auch schon durch sein dreitägiges
Choreografen-Meeting. Dieser Künstler-Austausch hat auch einen
Großteil des Zwei-Millionen-Budgets verschlungen da
alle elf Choreografen für die gesamte Festival-Dauer eingeladen
waren. Wenn sich diese Body Talks, so der Titel, in
Zukunft auszahlen, hat die Stadt München ja gut investiert.
Malve
Gradinger
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