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2000/02
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Das Nordharzer Städtebundtheater

Tanztheater
Bilanz zur Münchner „Dance“-Biennale 2000

Bericht
Lady Di und Jud Süß

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Recht: Das Bundesarbeitsgericht zur Mitwirkungspflicht der Opernchöre
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Buch: Der Chormusikführer von Harenberg
Buch: Sozialgeschichte des Opernhauses Lissabon

 

 

Zwischen den Welten

Bilanz zur Münchner „Dance“-Biennale 2000 · Von Malve Gradinger

Der zeitgenössische Tanz, im überwiegenden Zuschauer-Bewusstsein immer noch in der Hüpf- und Gymnastik-Ecke, kämpft seit Jahrzehnten um eine künstlerische Gleichberechtigung. Letzthin auch bei uns verstärkt über einen intellektuellen Diskurs. Frankreich, mit seiner in den 40er-Jahren startenden und im Vergleich zu Deutschland früh etablierten Festival-Kultur war da Vorreiter. Die großen Sommer-Festivals von Aix, Arles, Avignon, Montpellier und die Biennale de Lyon waren bereits in den 80er-Jahren spannend auch wegen ihrer Choreografen-Gespräche und Colloquien zu diversen Tanz-Themenbereichen, waren renommiert für ihre „réflexion sur la danse contemporaine“.

   

Virpi Pahkinen.
Foto Tobias Regell

 

Jetzt hatte auch die Kuratorin von Münchens „Dance“ 2000, Gabriele Naumann, eine solche Anstrengung unternommen: mit tanztheoretischen Ateliers, mit ethnologischen Vorträgen und ihrem soziologisch orientierten Motto „Zwischen den Welten“. Dieses stellte den zeitgenössischen Tanz pointiert in den Kontext von Globalisierung und Interkulturalität.

Das Thema „Zwischen den Welten“ bietet sich an im Zeitalter von Handy, Internet und einer rasanten, Arbeitsplatz bedingten Migration (siehe nur zum Beispiel den in Deutschland gerade aktuell festgestellten Bedarf an ausländischen Computerspezialisten). Während es in den 60er-Jahren ein Ausnahme-Phänomen war, wenn Maurice Béjart fernöstliche und afrikanische Tanzelemente in seinen Balletten verwendete – man erinnere sein „Bakhti“ von 1986 – wird es in Zukunft wohl zu einer Selbstverständlichkeit werden, dass gewachsene traditionelle Tanz-Stile sich mit freier Bewegung und zeitgenössischen Tanz-Konzeptionen mischen.

Die Konzeption der spielerisch mathematischen Raumstruktur – Basis westlicher Choreografie – war 1998 eines der Workshop-Ziele von Susanne Linke, die einer Einladung Germaine Acognys an deren Schule im Senegal gefolgt war (die Senegalesin Acogny, schon lange eine Wanderin zwischen den Welten, hatte auch kurz Béjarts Mudra-Schul-Dependance in Dakar geleitet). Aus dem Workshop wurde das nun auch beim Münchner „Dance“ gezeigte „Le coq est mort“, übersetzt „Der Hahn ist tot“. Ein Stück, das noch auf seine künstlerische Vertiefung wartet, in dem jedoch die acht schwarzen Tänzer die ungewohnten Raum-Formationen, von der synchronen Frontalreihe bis zur Diagonalen und zu durcheinanderscherenden Gruppen mit Bravour präsentieren.

Choreografische Strategie, aber nicht Kunst kann per Intensiv-Kurs gelernt werden. Kunst, Authentisches braucht seine Zeit des Wachsens, der Verinnerlichung – wie die zweite afrikanische Compagnie, Salia ni Seydou aus Burkina Faso, im positiven Sinn bewies. Seit sieben Jahren tanzen die beiden Choreografen Seydou Boro und Salia Sanon bei der Französin Mathilde Nonnier. Die Chefin des Centre Choréographique in Montpellier hatte bereits 1993 in ihrem Stück „Pour Antigone“ Fast-Laiendarsteller aus Burkina Faso integriert. Das Choreografen-Duo Salia ni Seydou hat in und mit Monniers Compagnie choreografische Komposition, Improvisation europäischer Art, das Finden von Tanztheaterbildern gelernt.

   

Compagnie Salia Ni Seydou: „Figninto“.
Foto Marc Condrais

 

Ein Lernprozess, ganz ohne Selbstentfremdung – wie man in ihrem Stück „Figninto“ (das blaue Auge) erleben konnte. Es blieb übrigens einsamer „Dance“-Höhepunkt. Wenn der große Seydou Boro, Salia Samon und ein dritter Tänzer zu tanzen beginnen, dann ist das Trommeln, das hoch zirpende Klagen der gezupften und geschlagenen Saite des Musikbogens zugleich draußen und drinnen. Im Raum und im Rauschen des Bluts. Der Abend ist eine einzige wunderbare, nie abreißende Entfaltung von Bewegung: eine rollende Schulter, die hügelige Landschaft eines Rückens, drei Körper im wiegenden Schritt über die Bühne – während jeder Torso seinen eigenen Tanz erfindet. Bewegungen, die nie ihre schwarzen Wurzeln verleugnen, die aber die Freiheit entdeckt haben zu offener, zeitgenössisch vielfältiger Form – die immer auch Bedeutung in sich trägt: drei Männer tanzen hier ihre Ängste, ihre Freundschaft, das Leiden am Tod. Kriegerisch aggressiv, verletzlich – immer mit großer Würde. Nicht eine Sekunde macht hier Körperschönheit eitel auf sich aufmerksam. Wie selbstverständlich wird das „blinde Auge des Europäers“ gelenkt auf das choreografische Können und die wieder daraus erwachsende Kreativität. Hier haben wir den neuen Puls Afrikas gespürt, seine flammende Kraft. Seine Geheimnisse.

Was wird man erinnern von den restlichen neun Choreografen? Zum Beispiel die in Los Angeles lebende Koreanerin Shen Hea Ha, der es exquisit gelungen ist, die fest ziselierte rituelle Tanzform des Schamanismus ganz behutsam für freie expressive Bewegung zu öffnen. Oder das schon seit etwa 20 Jahren etablierte Cloud Gate Dance Theater aus Taiwan, das seine schon klassische Symbiose zwischen der „Zeitlupenkunst“ Tai Chi und Modern Dance in seinem „Moon Water“ vorführte. Ein sehr edel gearbeitetes Stück, allerdings – wie auch schon andere Cloud-Gate-Arbeiten des Leiters Lin Hwai Min (zum Beispiel eine in Sand gebettete und über Sand wandernde Tanzmeditation, die das Münchner Tollwood-Festival 1998 eingeladen hatte) – von sedativer Monotonie.

   

Lic Jant-Bi.
Foto: Englert

 

Zu dieser Mischung und Überblendung von ethnischen und zeitgenössischen Tanzformen lässt sich Zweierlei sagen: Selbstverständlich können solche uralten Kulturgüter wie der indische Kathakali-Tanz und der Bharata Natyam, mit ihrer Fülle an Bewegungs- und Ausdrucksmitteln, jetzt Ausgangsbasis, Fundgrube sein für einen zeitgenössischen indischen Tanz. Der Solo-Abend von Maya Krishna Rao hat das in etwa angedeutet. Aber in den meisten der hier und auch schon andernorts gesehenen Beispiele sitzt man da, schaut sich das Misch-Produkt brav an – und wünscht sich die ganze Zeit, den ursprünglich traditionellen Tanz zu sehen, der um so viel dichter, um so viel komplexer und faszinierender ist. Entsprechend zur World-Music entsteht nämlich durch das Kultur-Allerlei – eine Welt-Choreografie. Das Stück der in London arbeitenden Inderin Shobana Jeyasingh, der tatsächlich eine beachtliche „Kreuzblende“ aus Bharata Natyam und Modern Dance gelungen ist, war ein solch konfektioniertes indisch-globales Welt-Ballett. Choreografisches Ziel erreicht, Kunst kaputt.

Anregungen, ein Gefühl für diese neue interkulturelle Tanzentwicklung hat diese Biennale sicherlich gegeben. Gleichzeitig aber hat sie warnend demonstriert, dass das einmal gesetzte Thema gefährlich verführt zu einer zwanghaft didaktischen Illustrierung dieses Interkultur-Sujets. Und notgedrungen mit Unausgegorenem oder Secondhand-Choreografie – der postmoderne Hokuspokus „Desdemona Deconstructed/Reconstructed“ des Kollektivs Theaterworks, Singapur nur zum Beispiel –, da ja diese globalisierende Tanzströmung, besonders in den fernöstlichen Ländern, noch in den Geburtswehen liegt.

Münchens „Dance“-Biennale 2000 im März war in diesem Jahr also so etwas wie eine Entwicklungshilfe für den zeitgenössischen Tanz. Auch schon durch sein dreitägiges Choreografen-Meeting. Dieser Künstler-Austausch hat auch einen Großteil des Zwei-Millionen-Budgets verschlungen – da alle elf Choreografen für die gesamte Festival-Dauer eingeladen waren. Wenn sich diese „Body Talks“, so der Titel, in Zukunft auszahlen, hat die Stadt München ja gut investiert.

Malve Gradinger

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