Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

2000/02
Inhaltsverzeichnis

Kulturpolitik
Editorial
Die Hauptstadt-Skandale
Baden-Baden scheint kuriert
Fundbüro: Kollegiale Nachrede

Portrait
Das Nordharzer Städtebundtheater

Tanztheater
Bilanz zur Münchner „Dance“-Biennale 2000

Bericht
Lady Di und Jud Süß

Service
Recht: Die Privatisierung als Umweg zur Theaterschließung?
Recht: Das Bundesarbeitsgericht zur Mitwirkungspflicht der Opernchöre
VdO: Öffentlicher Dienst - Vergütungsrunde 2000
VdO: Tarifverhandlungen NV Chor/Tanz
Buch: Der Chormusikführer von Harenberg
Buch: Sozialgeschichte des Opernhauses Lissabon

 

 

Buch aktuell

Oper „sozial“

Das Opernhaus Lissabon

Mário Vieira de Carvalho, Denken ist Sterben. Sozialgeschichte des Opernhauses Lissabon, Bärenreiter Kassel 1999, Musiksoziologie Bd. 5, 432 Seiten.

Eines Abends, während der Spielzeit 1848/49, bat das Publikum eine relativ unbedeutende portugiesische Sängerin in Rossinis Barbier, eine Arie zu wiederholen. Clementina Cordeiro, die einzige „lyrische Dame“, die bis dato das Konservatorium absolviert hatte, traf beim zweiten und dritten Versuch jedoch nicht mehr den richtigen Ton: Das Orchester, so war es von rivalisierenden Publikumsclans zuvor inszeniert, hatte jeweils um ein weniges höher oder tiefer gespielt und gab so die Sängerin der Lächerlichkeit preis.

Weniger dass sich die Feindseligkeit des Publikums an einer Frau exponierte, vielmehr dass selbiges eine Landsmännin über kurz oder lang von der Bühne vertrieb, beleuchtet ein Phänomen, das sich für die Geschichte des Hauses als symptomatisch erweist und aus dessen Verständnis sich grundsätzliche Konstellationen erhellen. Solisten aus dem Inland sind in Portugals einzig namhaftem Operntheater bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Ausnahmefall – es fehlen ein festes Ensemble, ein theatereigenes Orchester, und darüber hinaus im Lande verankerte Literatur. Was man unter „Oper“ versteht, verbindet sich mit Ensembles, Stars und Repertoire aus Italien.

Die Fremdheit der importierten Kultur, so Autor de Carvalho, korrespondiert mit der sozialen Funktion, über die sich der Opernbetrieb in wechselnden Regimen und Zeiten selbst definiert. Anders als in anderen europäischen Ländern, die gleichfalls erst spät die staatliche Selbstständigkeit erlangten, vermisst man in Lissabons erstem Haus sowohl bürgerlich aufklärerische wie national-ideologisch formierende Aktivitäten. Anstelle Bewusstsein bildender Werkrezeption produziert sich vielmehr die jeweils politisch dominante Elite, die Oper als „Opernmusik” und somit nur als Dekor ihrer Selbstinszenierung ansah.

Wie sich speziell die sozialen Kommunikationsgefüge entwickeln, analysiert diese wissenschaftlich angelegte Studie sehr beredt. Statt auf das musikalische Drama auf der Bühne, konzentriert sich die Unterhaltung des Abends auf das Geschehen in und zwischen den Logen, auf Liebesbeziehungen zwischen Primadonnen und Verehrern im Zuschauerraum, auf Kleidung und spektakuläre Aktionen von Amateuren, Dandys und Müßiggängern sonstiger Art. Gänge und Foyer avancieren zu wichtigen Lokalitäten, das Promenieren und die geschönte Fassade sind zentrale Momente des Opernevents. De Carvalho rekonstruiert anhand von zahllosen Zeitdokumenten eine Praxis, die nicht allein für Lissabon, sondern für viele andere europäische Bühnen gilt.

Unübersehbar ist in diesem Kontext die Rolle, die Richard Wagners Werk in Portugal spielt. Die Importe von Wagner-Ensembles stellen zunächst die italienische Praxis in Frage und führen zu Debatten um die Bedeutung von Fabel, Szene und Drama, von Text und Musik. Aufführungspraktisch betrachtet verschieben sich die Relationen vorübergehend zugunsten von Bühne und Werk. Beim Lissaboner „Ring“ im Jahre 1909 beispielsweise werden erstmals im Zuschauerraum die Lichter gelöscht, und die Aufführung bei der verspäteten Ankunft des Königs wird nicht mehr unterbrochen.

Frank Kämpfer

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner