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2000/02
Inhaltsverzeichnis

Kulturpolitik
Editorial
Die Hauptstadt-Skandale
Baden-Baden scheint kuriert
Fundbüro: Kollegiale Nachrede

Portrait
Das Nordharzer Städtebundtheater

Tanztheater
Bilanz zur Münchner „Dance“-Biennale 2000

Bericht
Lady Di und Jud Süß

Service
Recht: Die Privatisierung als Umweg zur Theaterschließung?
Recht: Das Bundesarbeitsgericht zur Mitwirkungspflicht der Opernchöre
VdO: Öffentlicher Dienst - Vergütungsrunde 2000
VdO: Tarifverhandlungen NV Chor/Tanz
Buch: Der Chormusikführer von Harenberg
Buch: Sozialgeschichte des Opernhauses Lissabon

 

 

Portrait

Kontroverse und Tradition

Das Nordharzer Städtebundtheater · Von Nils Schneider

Dui-du, dui-du, la la la la“. „Stellen Sie sich vor, Sie sind krank, und es glaubt Ihnen keiner!“. „Ihr Sänger haltet Frieden!“. „Aurora sticht sich in den Finger, Aufschrei, Schmerz, Blut fließt!“ –- Eine Plakatserie mit frechen Sprüchen rund um den aktuellen Spielplan schmückt die Foyerwände des Halberstädter und Quedlinburger Theaters; seit Beginn dieser Spielzeit bringt am Nordharzer Städtebundtheater das junge Leitungsteam um den neu angetretenen Intendanten Kay Metzger frischen Wind in die ostdeutsche Theaterlandschaft. Im Gespräch bestätigen Metzger und der Chefdramaturg Peter Oppermann einstimmig eine überaus spannende Spielzeit mit vielen neuen Erfahrungen und betonen, dass es gelungen ist, innerhalb kurzer Zeit ein bunt gemischtes Ensemble mit Kollegen und Kolleginnen aus den alten und neuen Bundesländern zusammenzuführen. „Tabula rasa“, wie er bei einem Leitungswechsel häufig üblich ist, hatte man bewusst vermeiden wollen und sah die Herausforderung eher in der Begegnung der bereits in Halberstadt ansässigen Solisten mit den neu Hinzugekommenen. Inzwischen hat sich diese als überaus konstruktiv erwiesen.

„Junges“ Unternehmen

Das Unternehmen „Nordharzer Städtebundtheater“ steckt, rein rechtlich gesehen, noch in den Kinderschuhen. Metzgers Vorgänger Gero Hammer hatte 1992 aus den beiden Häusern in Halberstadt und Quedlinburg einen soliden Städtebund gefestigt, der sich seitdem eine Dreispartenbühne mit einem jährlichen Unterhalt von gut 18 Millionen Mark und 221 festen Mitarbeitern leistet, getragen von je zwei Landkreisen und Städten. Mit einem Kostendeckungsgrad von 12,4 Prozent hat das Theater, das über insgesamt vier Spielstätten verfügt, im vergangenen Jahr mit über 136.000 Zuschauern das beste Einspielergebnis in Sachsen-Anhalt erzielt und bei gleichbleibenden Zuschüssen von Land und Trägerkommunen den Einnahmeplan deutlich überschritten. Dennoch überschattete den Leitungswechsel eine geplante Subventionskürzung des Landkreises, die das Haus möglicherweise eine Sparte gekostet hätte: Nicht zuletzt durch den schon in den ersten Monaten erfolgreichen Neubeginn konnte diese Kürzung abgewendet werden.

   

Bettina Rösel als Anne Frank.
Foto: Mollérus

 

An der großen Vielfalt hält die neue Theaterleitung trotz Einfrierung des Etats fest: Pro Saison sind 23 Neuinszenierungen und zahlreiche Wiederaufnahmen vorgesehen, dazu jeweils ein Zyklus von sechs Sinfonie- und verschiedenen Zusatzkonzerten. Darüber hinaus werden im Sommer sechs Musiktheater- und Schauspielneuinszenierungen in den traditionellen Freilichtspielstätten, im Harzer Bergtheater Thale und auf der Waldbühne Altenbrak, zur Aufführung gebracht. „Ganze zwölf Monate Spielbetrieb: eine Heidenarbeit, die perfekte Organisation und höchste Einsatzbereitschaft fordert“, bestätigen Metzger und Oppermann. Hinzu kommen schließlich noch zahlreiche Gastspiele – mit dem Lessingtheater Wolfenbüttel zum Beispiel verbindet das Theater ein fester Kooperationsvertrag – und viele Extras, die seit dieser Spielzeit neu angeboten werden. Sie sollen die Leistungsfähigkeit und Publikumsnähe des vielseitigen und gelegentlich auch spartenübergreifend eingesetzten Ensembles unterstreichen.

Offensive Dramaturgie

Ziel der Theatermacher ist es, das Theater unmittelbar in der Stadt zu verankern. Nach diesem Grundsatz betreibt Oppermann eine „offensive Dramaturgie“, die mit einem Ballettabend und einer Sinfonie im Halberstädter Dom, einer „Jedermann“-Aufführung in der Quedlinburger Stiftskirche und dem als Late-Night-Programm etablierten musikalisch-literarischen „Nach(t)schlag“ in den Theatercafés den unmittelbaren Kontakt zum Publikum auch abseits der Rampe sucht. Aufs Publikum zugehen ist die Devise der Theatermacher – in einer Region, die mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat.

Neue Akzente werden daher auch besonders im Hinblick auf das junge Publikum gesetzt. Die bewährte Tradition fort- und weiterzuführen und gleichzeitig Lust auf ungewöhnliche und assoziative Sichtweisen zu wecken, ist dabei wichtiger Bestandteil. Dieser Ambition entsprechend, werden auch zeitgenössische Produktionen in den zwei angegliederten Studiobühnen angeboten, so etwa die von der jungen Berliner Regisseurin Kristina Wuss erfolgreich in Szene gesetzte Monooper „Anne Frank“ von Grigori Frid, die gemeinsam mit den Jugendlichen im Theater vor- und nachbereitet wird. Freilich weiß man am Nordharzer Städtebundtheater um die Schwierigkeiten, gerade junges Publikum für die Oper zu begeistern; umso mehr setzen Metzger und Oppermann auf Vermittlung und die seit letztem Sommer im Aufbau befindliche Theaterpädagogik. Mit einer neu engagierten Pädagogin wurden in Halberstadt und in Quedlinburg jeweils zwei Jugendclubs gegründet. Es findet zudem eine staatlich anerkannte Lehrerfortbildung mit Theaterworkshops statt, ebenso ein regelmäßiger Lehrerstammtisch. Darüber hinaus rief man das erste regionale Schülertheatertreffen ins Leben und initiierte unter dem Motto „Theater fürs Volk“ eine Kooperation mit den Volkshochschulen. In verschiedenen Theaterkursen werden Hintergründe einzelner Produktionen vom Musiktheater bis zum Schauspiel vermittelt und Einblicke in die Probenarbeit ermöglicht. Ohne die ungewöhnlich hohe Einsatzbereitschaft des Ensembles und der Technik wären all diese Vorhaben kaum zu realisieren, bei denen es gilt, Bildung, Spaß, Unterhaltung und Anspruch zusammenzuführen. „Lebendigen Musikunterricht“ versprechen in diesem Sinne auch die neu ins Leben gerufenen Jugendsinfoniekonzerte: Das erste, bei dem anhand von Gershwins „Ein Amerikaner in Paris“ unter der musikalischen Leitung von Kapellmeister Lutz Rademacher die Verbindung von Jazz und klassischen Elementen verdeutlicht wurde, nahm das junge Publikum mit großer Begeisterung auf.

   

Kammertanzabend „Blue notes“, Halberstadt

 

„Tannhäuser“

Kay Metzger, der als freier Regisseur und zuletzt als Oberspielleiter in Coburg gearbeitet hat, inszeniert einmal pro Spielzeit; auf die Realisierung des „Tannhäuser“ Ende letzten Jahres ist er stolz, zumal er die Oper bis auf die Hauptpartie komplett mit dem Halberstädter Musiktheaterensemble besetzen konnte und sowohl Presse als auch Publikum die respektable Leistung und adäquate Besetzung des Ensembles und des Orchesters einstimmig – gar als Triumph – würdigten. Der Chor mit 19 Mitgliedern, den Metzger als überaus spielfreudig und stimmlich brillant lobt, und dessen Leistungsfähigkeit er als Keimzelle für ein derartiges Unternehmen sieht, wurde auf 50 Mitglieder aufgestockt. Eigens zu diesem Zweck gründete man unter Chorleiter Ulrich Nolte eine Singakademie, deren Mitglieder nun auch in anderen Opern mitwirken. Mit dem „Tannhäuser“ möchte die Leitung bewusst an die Wagner-Tradition Halberstadts anknüpfen. Anlässlich der „Tannhäuser“-Neuinszenierung fand ein programmatischer Kontaktaustausch mit bildenden Künstlern aus der Region statt: Während der szenischen Proben fertigten Mitglieder des Halberstädter Kunstforums Zeichnungen an, die im Foyer auf großer Fläche ausgestellt sind. Im Gegenzug gastierte das Theater mit einer Mammutlesung bis in die frühen Morgenstunden in der Kunstgalerie. „Das stärkt die Lobby in der Stadt fürs Theater und dokumentiert, dass die hiesigen Kulturinstitutionen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht gegeneinander arbeiten!“

In der Kontroverse

Für heftige Kontroversen sorgte die Eröffnungsinszenierung der „Zauberflöte“ von Oberspielleiter Horst Kupich, den Metzger aus der Ära Hammer übernommen hat, und der die Geschichte um Papageno und Pamina im asketischen Dekor einer Psychiatrie ansiedelte. Ganz bewusst setzte er nicht auf ein überstyltes Ausstattungskonzept mit märchenhaft Farbigem. Dass Theater bei aller Annäherung ans Publikum auch streitbar sein muss, darüber sind sich Metzger und Oppermann einig und verteidigen leidenschaftlich die Strategie, auch mal irritieren zu wollen, denn: „Das schafft neue Denkanstösse“. Provokation um der Provokation willen jedoch wird kategorisch abgelehnt.

Die „junge“ Tanzreihe

Ein besonderes Anliegen der Theaterleitung besteht in der Etablierung der jungen Tanzreihe im Studio. Mit Ballettdirektor Tarek Assam werden neben den klassischen Choreografien im Großen Haus Projekte entwickelt, die eine spannende Synthese aus Ballett und neueren Tanzformen beinhalten und bereits überregionale Resonanz erfahren; die Bach-Reflexionen „Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten“ wurden gerade zur Expo nach Hannover, zum Potsdamer Musiksommer und nach Leipzig eingeladen. Jüngstes Projekt ist das Tanzstück „Blue Notes“, inspiriert von Edward Hoppers Gemälde „Nighthawks“. Noch während der Proben sind versatzstückartige Texte entstanden, die durch die Arbeit im Ballettsaal angeregt und in die Choreografie eingeflochten wurden. Herausgekommen ist als Uraufführung ein ungewöhnlicher Tanzabend, der das bekannte Werk Hoppers in Bewegung umsetzt und sich gleichzeitig wieder von dem Bild löst, um eigene Bilder zu finden; ein Abend, der mit Bewegungen, Stimmungen, Stimmen und Instrumenten spielt und, begleitet von einer Live-Blues-Band, Geschichten über das Alleinsein vermittelt, die, so unvermittelt und banal, wie sie beginnen, auch wieder enden.

Präsenz in der Stadt

Dass das Theater genügend Freiraum für derartige Experimente und spontane Projekte abseits von dispositionellen Zwängen lassen muss, steht für den Intendanten und seinen Chefdramaturgen außer Frage. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wurde auch die Entscheidung getroffen, als Musicalposition Robert Wilsons skurrile Rockoper „The Black Rider“ mit dem Musiktheaterensemble und eigenen Orchestermitgliedern zu realisieren – ein wegen seines Assoziationsreichtums faszinierendes Werk, das zwar inzwischen landauf, landab gespielt würde, in dieser Region aber wegen des geringen Bekanntheitsgrades und der offenen Form durchaus ein Wagnis sei, das man jedoch gerne eingehe. „Entscheidend“, so Metzger, „ist für uns eine ausgeglichene Spielplanpolitik, die die Balance zwischen Neuem und bewährter Klassik hält und dabei vor allem Vielfalt bietet.“ So stehen „Hoffmanns Erzählungen“ ebenso auf dem Programm wie Rossinis „Aschenbrödel“. Der neue Schauspieloberspielleiter Malte Kreutzfeldt hat mit Dale Wassermans Stück „Einer flog über das Kuckucksnest“ und Werner Schwabs Radikalkomödie „Die Präsidentinnen“ zwei vielbeachtete und vieldiskutierte Inszenierungen herausgebracht.

Nils Schneider

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