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2000/02
Inhaltsverzeichnis

Kulturpolitik
Editorial
Die Hauptstadt-Skandale
Baden-Baden scheint kuriert
Fundbüro: Kollegiale Nachrede

Portrait
Das Nordharzer Städtebundtheater

Tanztheater
Bilanz zur Münchner „Dance“-Biennale 2000

Bericht
Lady Di und Jud Süß

Service
Recht: Die Privatisierung als Umweg zur Theaterschließung?
Recht: Das Bundesarbeitsgericht zur Mitwirkungspflicht der Opernchöre
VdO: Öffentlicher Dienst - Vergütungsrunde 2000
VdO: Tarifverhandlungen NV Chor/Tanz
Buch: Der Chormusikführer von Harenberg
Buch: Sozialgeschichte des Opernhauses Lissabon

 

 

Kulturpolitik

Die Hauptstadt-Skandale

Kulturpolitik für Berlins Opernhäuser · Von Martina Helmig

Neulich, bei Hans Neuenfels‘ „Nabucco“, gab es endlich wieder einmal einen richtigen Theaterskandal an der Deutschen Oper Berlin. So ganz traditionell, mit Buhs und Pfiffen, Gekreisch und Randale. Sonst gibt es Theater und Skandale in Berlin fast nur noch hinter den Kulissen. Intendanten singen die Wahnsinnsarien.

   

Askar Abdrasakov in Nabucco.
Foto: kranichphoto

 

Berlin hat drei Opernhäuser, und die wechselnden Kultursenatoren werden nicht müde zu betonen, dass alle drei gebraucht werden. Niemand will ein gut funktionierendes Theater schließen. Zwei der drei Häuser befinden sich gerade in einer interessanten künstlerischen Umbruchphase. Andererseits können die Häuser bei der angespannten Finanzlage des Landes Berlin nicht ausreichend finanziert werden. Also läuft es so: Man lässt die Opernhäuser ebenso wie viele andere Kulturinstitutionen am ausgestreckten Arm verhungern. Georg Quander, der Intendant der Deutschen Staatsoper, hat bereits vorgerechnet, dass er sein Haus im nächsten Februar schließen muss, wenn sich die finanzielle Situation nicht grundlegend ändert. Seinen Kollegen geht es ähnlich. Die Etats sinken oder stagnieren, während die Kosten immer weiter steigen. Alle Häuser haben massiv Personal abgebaut, Betriebsteile privatisiert, Produktionskosten gespart. Nun ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Zehn Jahre lang hat die Berliner Kulturpolitik dieser Entwicklung zugesehen. Niemand hat sich je die Mühe gemacht, so etwas wie einen Masterplan für die Kultur der Hauptstadt aufzustellen, Schwerpunkte zu setzen und wirkliche Strukturreformen einzuleiten. Die Politik hat sich auf die Buchhalterposition zurückgezogen und den schwarzen Peter den Häusern zugeschoben. Mehr Geld gibt es nicht, seht zu, wie ihr damit zurecht kommt. Am Jahresende kam der schwarze Peter regelmäßig wieder zurück – in Form von Defiziten. Dafür gab es wiederum in den letzten Jahren den praktischen Posten des Metropol-Theater-Etats. Seit dem Konkurs des Operettenhauses 1997 wurden jährlich 23 Millionen Mark für eine angeblich geplante Wiedereröffnung in den Landeshaushalt eingestellt. Am Jahresende konnte man dann das Geld verteilen, um die größten Defizite an den anderen Häusern aufzufangen. Ein Spiel, das auf Dauer nicht funktioniert. Für das Jahr 2000 ist kein Metropol-Theater-Etat mehr vorgesehen.

Riesige Haushaltslöcher in zweistelliger Millionenhöhe klaffen im Kulturetat des Landes. Die Intendanten erklären klipp und klar, dass sie mit den vorgegebenen Subventionen in diesem Jahr nicht auskommen werden. Die Politiker reagieren mit nervösen, teilweise absurden Vorschlägen. Es war schon im Gespräch, Intendanten für Defizite persönlich haftbar zu machen oder ein Drittel der Etats solange einzufrieren, bis Lösungen gefunden sind. Auch Kulturstaatsminister Michael Naumann meldete sich zu Wort. Für fünf Berliner Kulturinstitutionen will der Bund die Finanzierung übernehmen. Ein Opernhaus ist aber (noch?) nicht dabei. Kultursenatorin Christa Thoben hat nach nicht einmal vier Monaten das Regiebuch hingeworfen. Christoph Stölzl, Feuilleton-Chef der Tageszeitung „Die Welt“, will das schwierige Amt übernehmen. Thobens gerade berufener Kulturstaatssekretär Alard von Rohr soll sich einen neuen Job suchen. Dabei hatte man gerade in den ausgewiesenen Opernfachmann Hoffnungen gesetzt.

Alle reden vom Geld. Nebenbei versuchen die Opernhäuser, spannendes Musiktheater zu bieten. Die Deutsche Staatsoper Unter den Linden ist das traditionsreichste der Berliner Opernhäuser. 1742 ist es mit Johann Gottlieb Grauns „Cesare e Cleopatra“ eingeweiht worden. Immer war es ein kulturelles Renommierobjekt – zu preußischen wie zu DDR-Zeiten. Heute residiert dort Stardirigent Daniel Barenboim als Künstlerischer Leiter. Er pflegt als Schwerpunkte Mozart, Wagner und exklusive Festspiele. Eine andere tragende Säule war bisher die Barockoper, ein Steckenpferd des Intendanten Georg Quander. Der Dirigent und Sänger René Jacobs hat als „Berater für das vorklassische Repertoire“ an der Lindenoper in Zusammenarbeit mit Spezialensembles einen weltweit einmaligen Barockopern-Fundus aufgebaut, der international große Aufmerksamkeit erregt hat. Alessandro Scarlattis „Griselda“ im Januar war wahrscheinlich die letzte große vorklassische Premiere. Aus Sparnot hat Quander alle Barockopernprojekte ab 2001 geopfert – inklusive René Jacobs‘ großem, vierteiligem Monteverdi-Zyklus, für den sich bereits zahlreiche Festivals interessieren. Jacobs hat keine Schwierigkeiten, andere Kooperationspartner für die spektakulären Produktionen zu finden. Nur Berlin geht leer aus.

Georg Quander bekommt 83 Millionen Mark Subventionen. Der größte Teil davon muss für fixe Kosten aufgewendet werden. Nur 19,7 Millionen Mark bleiben ihm für die eigentliche künstlerische Arbeit. 1999 hat das Defizit der Staatsoper 1,97 Millionen Mark betragen. Durch die Tarifabschlüsse, die das Land Berlin zu verantworten hat, aber nicht zu finanzieren gedenkt, werden die Finanzsorgen in diesem Jahr wirklich bedrohlich. Georg Quander hat die Hoffnung auf eine Fortführung der Barockoper noch nicht ganz begraben. Er begibt sich auf die Suche nach privaten Sponsoren. Sein Hauptförderer Peter Dussmann, der in Berlin das Dussmann-Kulturkaufhaus unterhält, hatte schon 300.000 Mark zugesagt, die immerhin für eine Wiederaufnahme reichen würden. Doch die Senatskulturverwaltung hat Quander einen Strich durch die Rechnung gemacht und den großzügigen Spender verärgert. Weitere 360.000 Mark wollte Dussmann für die Produktion von Giacomo Meyerbeers Oper „Robert der Teufel“ geben. Die Kulturverwaltung hat verfügt, dass nur 184.000 Mark davon für Meyerbeers Oper eingesetzt werden dürften. Der Rest könnte in andere Produktionen oder den allgemeinen Haushalt fließen. Einnahmen sind Einnahmen, egal, woher sie kommen. Ein Politpossenspiel der naivsten Art. So geht man mit den dringend benötigten Sponsoren nur in Berlin um. Welcher Sponsor will schon Haushaltslöcher stopfen? Dussmann hat entsprechend scharf reagiert, während die Senatsverwaltung für die Zukunft Besserung gelobt.

Eine andere Hoffnung für die Staatsoper sind Daniel Barenboims Verhandlungen wegen seines 2002 auslaufenden Vertrages. Er will rund 10 Millionen Mark mehr für seine Staatskapelle und den Spielbetrieb des Hauses einfordern. Außerdem weigert er sich, das Staatsopernballett an das neu entstehende BerlinBallett abzugeben. Der Grazer Intendant Gerhard Brunner ist vor zwei Jahren damit beauftragt worden, die Ballettszene Berlins neu zu organisieren. Die Kompanien der drei Opernhäuser soll er bis 2001 in ein gemeinsames BerlinBallett mit eigener Verwaltung überführen. Das Staatsopernballett soll sich mit klassischem Repertoire und 60 Tänzern profilieren, die beiden anderen Kompanien mit moderneren Stücken und jeweils 30 Tänzern. Bisher wirkt das BerlinBallett allerdings wie ein Phantom. Die Kompanien der Deutschen Oper und der Komischen Oper, die jeweils etwa 20 Tänzerstellen abbauen mussten, firmieren seit diesem Spielzeitbeginn unter dem Namen BerlinBallett. Sonst hat sich nichts geändert, weder an den Strukturen, noch an den Finanzen. Ein Gastspiel des Cloud Gate Dance Theatres aus Taiwan hat kurioserweise als erste Veranstaltung des BerlinBalletts stattgefunden. Angeblich liegt ein Konzept von Brunner beim Senat. Weder Barenboim noch Quander haben es bisher zu sehen bekommen. Wegen des Streits um das BerlinBallett bekommt das ebenfalls verkleinerte Staatsopernballett vom Kultursenat keinen Ballettdirektor bewilligt. Das seit vier Jahren führungslose Ensemble steckt in einer Krise.

Das andere große Berliner Haus ist die 1912 als „Bürgeroper“ gegründete Deutsche Oper Berlin. Vor dem Mauerfall war sie West-Berlins kulturelles Aushängeschild. Seit 1981 leitet Götz Friedrich die Geschicke des Hauses. Er hat nicht nur als Intendant, sondern auch als Regisseur das Profil wesentlich geprägt. Und er hat im Lauf der Jahre ein Rekord-Defizit von 19 Millionen Mark angehäuft, das inzwischen mit rigiden Sparmaßnahmen abgebaut wird. Im nächsten Jahr will der Komponist und Leipziger Opernintendant Udo Zimmerman das Berliner Haus mit einem Etat von 80,6 Millionen Mark schuldenfrei übernehmen. Dann soll eine neue Ära anbrechen und die zeitgenössische Musik noch stärker als bisher zum Programmschwerpunkt werden. Generalmusikdirektor Christian Thielemann, von dem das Orchester viel über Wagner und Strauss gelernt hat, gibt dann den Taktstock an Fabio Luisi ab. Der jetzige Chef des MDR-Sinfonieorchesters und des Orchestre de la Suisse Romande ist aufgeschlossen für alles Neue, für das deutsche und italienische Repertoire. Zimmermann hat den Italiener allerdings einfach ernannt und damit das Mitbestimmungsrecht der Orchestermusiker übergangen. Jetzt überlegen die Musiker, ob sie noch nachträglich über ihren künftigen Generalmusikdirektor abstimmen sollen. Andererseits hat sich Zimmermann bei ihnen beliebt gemacht, weil er im letzten Herbst den erbittert geführten Kampf um die aus Finanznot gestrichene sogenannte „Medienpauschale“ geschlichtet hat.

Die Komische Oper, das 1905 gegründete kleinste der drei Opernhäuser, hatte seine große Zeit zwischen 1947 und 1975 unter der Leitung des bedeutenden Opernrealisten Walter Felsenstein. Seit 1981 führt Harry Kupfer die Tradition des deutschsprachigen Ensembletheaters fort. Doch auch hier steht ein Wechsel an. Kupfers Nachfolger Andreas Homoki will das Repertoire auf etwa 20 Stücke reduzieren, Aufführungsblöcke zusammenziehen und das Ensemble ausbauen – vor dem großen Hintergrund der Finanzierungsfrage. Albert Kost war jahrelang der Daueroptimist im Berliner Opernintendantentrio. Was immer die Kulturpolitik wünschte, die Komische Oper parierte sofort, egal ob es sich um Sparvorgaben, die Steigerung der Vorstellungszahl oder die Verkürzung der Sommerpause handelte. Jetzt ist auch Kost verbittert und weiß nicht mehr, wie er mit 61 Millionen Mark auskommen soll, ohne dass wenigstens die Tariferhöhungen ausgeglichen werden. Dringend notwendige Renovierungsmaßnahmen werden verschoben. Sein Generalmusikdirektor Yakov Kreizberg hat gerade gekündigt. Er hatte genug vom ewigen Sparen. Ein Nachfolger wird gesucht.

Wie ist die Berliner Opernsituation zu retten? Die Politiker fordern einerseits seit Jahren, dass die drei Häuser ihre künstlerischen Profile schärfen und stärker gegeneinander abgrenzen sollen. Andererseits kursieren Ideen von einer Berliner Holding für alle Häuser und von einem gemeinsamen Pool für Orchestermusiker und Chorsänger, aus dem sich alle bedienen sollen. Einen wesentlichen Teil der künstlerischen Eigenständigkeit, die unverwechselbaren Klangfarben der einzelnen Ensembles, würde man damit aufgeben. Kunst funktioniert eben nicht wie ein Industriebetrieb mit drei parallelen Fließbändern. Der Unterausschuss Theater des Berliner Abgeordnetenhauses hat nun beschlossen, bis zum 30. Juni verschiedene, seit längerem diskutierte Möglichkeiten genauer zu prüfen. Dazu gehört ein Abfindungsfonds für abzubauendes Personal, die Überführung der Theater in die Rechtsform einer GmbH oder Aktiengesellschaft, Kooperationen bei der Nutzung von Werkstätten, Marketing und Verwaltung, die Privatisierung von Betriebsteilen und das Schließen von langfristigen Verträgen mit diesen Einrichtungen. Überlegungen, die die Kulturpolitiker längst hätten anstellen können. Ob sie ausreichen, ist die Frage. Ohne einschneidende strukturelle Änderungen scheint im Berliner Kulturleben nichts mehr zu gehen. Die Theater können die Aufgaben nicht länger allein bewältigen. Die Opernhäuser fahren mit dem Reserverad. Die Politiker müssen entscheiden. Sonst werden immer mehr Schließtage finanziert. Und jede Steuermark, die in die Häuser investiert wird, dient nur dem Prinzip Hoffnung.

Martina Helmig

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