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Die Hauptstadt-Skandale
Kulturpolitik für Berlins Opernhäuser · Von
Martina Helmig
Neulich, bei Hans Neuenfels Nabucco, gab es
endlich wieder einmal einen richtigen Theaterskandal an der Deutschen
Oper Berlin. So ganz traditionell, mit Buhs und Pfiffen, Gekreisch
und Randale. Sonst gibt es Theater und Skandale in Berlin fast nur
noch hinter den Kulissen. Intendanten singen die Wahnsinnsarien.
Berlin hat drei Opernhäuser, und die wechselnden Kultursenatoren
werden nicht müde zu betonen, dass alle drei gebraucht werden.
Niemand will ein gut funktionierendes Theater schließen. Zwei
der drei Häuser befinden sich gerade in einer interessanten
künstlerischen Umbruchphase. Andererseits können die Häuser
bei der angespannten Finanzlage des Landes Berlin nicht ausreichend
finanziert werden. Also läuft es so: Man lässt die Opernhäuser
ebenso wie viele andere Kulturinstitutionen am ausgestreckten Arm
verhungern. Georg Quander, der Intendant der Deutschen Staatsoper,
hat bereits vorgerechnet, dass er sein Haus im nächsten Februar
schließen muss, wenn sich die finanzielle Situation nicht
grundlegend ändert. Seinen Kollegen geht es ähnlich. Die
Etats sinken oder stagnieren, während die Kosten immer weiter
steigen. Alle Häuser haben massiv Personal abgebaut, Betriebsteile
privatisiert, Produktionskosten gespart. Nun ist das Ende der Fahnenstange
erreicht. Zehn Jahre lang hat die Berliner Kulturpolitik dieser
Entwicklung zugesehen. Niemand hat sich je die Mühe gemacht,
so etwas wie einen Masterplan für die Kultur der Hauptstadt
aufzustellen, Schwerpunkte zu setzen und wirkliche Strukturreformen
einzuleiten. Die Politik hat sich auf die Buchhalterposition zurückgezogen
und den schwarzen Peter den Häusern zugeschoben. Mehr Geld
gibt es nicht, seht zu, wie ihr damit zurecht kommt. Am Jahresende
kam der schwarze Peter regelmäßig wieder zurück
in Form von Defiziten. Dafür gab es wiederum in den
letzten Jahren den praktischen Posten des Metropol-Theater-Etats.
Seit dem Konkurs des Operettenhauses 1997 wurden jährlich 23
Millionen Mark für eine angeblich geplante Wiedereröffnung
in den Landeshaushalt eingestellt. Am Jahresende konnte man dann
das Geld verteilen, um die größten Defizite an den anderen
Häusern aufzufangen. Ein Spiel, das auf Dauer nicht funktioniert.
Für das Jahr 2000 ist kein Metropol-Theater-Etat mehr vorgesehen.
Riesige Haushaltslöcher in zweistelliger Millionenhöhe
klaffen im Kulturetat des Landes. Die Intendanten erklären
klipp und klar, dass sie mit den vorgegebenen Subventionen in diesem
Jahr nicht auskommen werden. Die Politiker reagieren mit nervösen,
teilweise absurden Vorschlägen. Es war schon im Gespräch,
Intendanten für Defizite persönlich haftbar zu machen
oder ein Drittel der Etats solange einzufrieren, bis Lösungen
gefunden sind. Auch Kulturstaatsminister Michael Naumann meldete
sich zu Wort. Für fünf Berliner Kulturinstitutionen will
der Bund die Finanzierung übernehmen. Ein Opernhaus ist aber
(noch?) nicht dabei. Kultursenatorin Christa Thoben hat nach nicht
einmal vier Monaten das Regiebuch hingeworfen. Christoph Stölzl,
Feuilleton-Chef der Tageszeitung Die Welt, will das
schwierige Amt übernehmen. Thobens gerade berufener Kulturstaatssekretär
Alard von Rohr soll sich einen neuen Job suchen. Dabei hatte man
gerade in den ausgewiesenen Opernfachmann Hoffnungen gesetzt.
Alle reden vom Geld. Nebenbei versuchen die Opernhäuser, spannendes
Musiktheater zu bieten. Die Deutsche Staatsoper Unter den Linden
ist das traditionsreichste der Berliner Opernhäuser. 1742 ist
es mit Johann Gottlieb Grauns Cesare e Cleopatra eingeweiht
worden. Immer war es ein kulturelles Renommierobjekt zu preußischen
wie zu DDR-Zeiten. Heute residiert dort Stardirigent Daniel Barenboim
als Künstlerischer Leiter. Er pflegt als Schwerpunkte Mozart,
Wagner und exklusive Festspiele. Eine andere tragende Säule
war bisher die Barockoper, ein Steckenpferd des Intendanten Georg
Quander. Der Dirigent und Sänger René Jacobs hat als
Berater für das vorklassische Repertoire an der
Lindenoper in Zusammenarbeit mit Spezialensembles einen weltweit
einmaligen Barockopern-Fundus aufgebaut, der international große
Aufmerksamkeit erregt hat. Alessandro Scarlattis Griselda
im Januar war wahrscheinlich die letzte große vorklassische
Premiere. Aus Sparnot hat Quander alle Barockopernprojekte ab 2001
geopfert inklusive René Jacobs großem,
vierteiligem Monteverdi-Zyklus, für den sich bereits zahlreiche
Festivals interessieren. Jacobs hat keine Schwierigkeiten, andere
Kooperationspartner für die spektakulären Produktionen
zu finden. Nur Berlin geht leer aus.
Georg Quander bekommt 83 Millionen Mark Subventionen. Der größte
Teil davon muss für fixe Kosten aufgewendet werden. Nur 19,7
Millionen Mark bleiben ihm für die eigentliche künstlerische
Arbeit. 1999 hat das Defizit der Staatsoper 1,97 Millionen Mark
betragen. Durch die Tarifabschlüsse, die das Land Berlin zu
verantworten hat, aber nicht zu finanzieren gedenkt, werden die
Finanzsorgen in diesem Jahr wirklich bedrohlich. Georg Quander hat
die Hoffnung auf eine Fortführung der Barockoper noch nicht
ganz begraben. Er begibt sich auf die Suche nach privaten Sponsoren.
Sein Hauptförderer Peter Dussmann, der in Berlin das Dussmann-Kulturkaufhaus
unterhält, hatte schon 300.000 Mark zugesagt, die immerhin
für eine Wiederaufnahme reichen würden. Doch die Senatskulturverwaltung
hat Quander einen Strich durch die Rechnung gemacht und den großzügigen
Spender verärgert. Weitere 360.000 Mark wollte Dussmann für
die Produktion von Giacomo Meyerbeers Oper Robert der Teufel
geben. Die Kulturverwaltung hat verfügt, dass nur 184.000 Mark
davon für Meyerbeers Oper eingesetzt werden dürften. Der
Rest könnte in andere Produktionen oder den allgemeinen Haushalt
fließen. Einnahmen sind Einnahmen, egal, woher sie kommen.
Ein Politpossenspiel der naivsten Art. So geht man mit den dringend
benötigten Sponsoren nur in Berlin um. Welcher Sponsor will
schon Haushaltslöcher stopfen? Dussmann hat entsprechend scharf
reagiert, während die Senatsverwaltung für die Zukunft
Besserung gelobt.
Eine andere Hoffnung für die Staatsoper sind Daniel Barenboims
Verhandlungen wegen seines 2002 auslaufenden Vertrages. Er will
rund 10 Millionen Mark mehr für seine Staatskapelle und den
Spielbetrieb des Hauses einfordern. Außerdem weigert er sich,
das Staatsopernballett an das neu entstehende BerlinBallett abzugeben.
Der Grazer Intendant Gerhard Brunner ist vor zwei Jahren damit beauftragt
worden, die Ballettszene Berlins neu zu organisieren. Die Kompanien
der drei Opernhäuser soll er bis 2001 in ein gemeinsames BerlinBallett
mit eigener Verwaltung überführen. Das Staatsopernballett
soll sich mit klassischem Repertoire und 60 Tänzern profilieren,
die beiden anderen Kompanien mit moderneren Stücken und jeweils
30 Tänzern. Bisher wirkt das BerlinBallett allerdings wie ein
Phantom. Die Kompanien der Deutschen Oper und der Komischen Oper,
die jeweils etwa 20 Tänzerstellen abbauen mussten, firmieren
seit diesem Spielzeitbeginn unter dem Namen BerlinBallett. Sonst
hat sich nichts geändert, weder an den Strukturen, noch an
den Finanzen. Ein Gastspiel des Cloud Gate Dance Theatres aus Taiwan
hat kurioserweise als erste Veranstaltung des BerlinBalletts stattgefunden.
Angeblich liegt ein Konzept von Brunner beim Senat. Weder Barenboim
noch Quander haben es bisher zu sehen bekommen. Wegen des Streits
um das BerlinBallett bekommt das ebenfalls verkleinerte Staatsopernballett
vom Kultursenat keinen Ballettdirektor bewilligt. Das seit vier
Jahren führungslose Ensemble steckt in einer Krise.
Das andere große Berliner Haus ist die 1912 als Bürgeroper
gegründete Deutsche Oper Berlin. Vor dem Mauerfall war sie
West-Berlins kulturelles Aushängeschild. Seit 1981 leitet Götz
Friedrich die Geschicke des Hauses. Er hat nicht nur als Intendant,
sondern auch als Regisseur das Profil wesentlich geprägt. Und
er hat im Lauf der Jahre ein Rekord-Defizit von 19 Millionen Mark
angehäuft, das inzwischen mit rigiden Sparmaßnahmen abgebaut
wird. Im nächsten Jahr will der Komponist und Leipziger Opernintendant
Udo Zimmerman das Berliner Haus mit einem Etat von 80,6 Millionen
Mark schuldenfrei übernehmen. Dann soll eine neue Ära
anbrechen und die zeitgenössische Musik noch stärker als
bisher zum Programmschwerpunkt werden. Generalmusikdirektor Christian
Thielemann, von dem das Orchester viel über Wagner und Strauss
gelernt hat, gibt dann den Taktstock an Fabio Luisi ab. Der jetzige
Chef des MDR-Sinfonieorchesters und des Orchestre de la Suisse Romande
ist aufgeschlossen für alles Neue, für das deutsche und
italienische Repertoire. Zimmermann hat den Italiener allerdings
einfach ernannt und damit das Mitbestimmungsrecht der Orchestermusiker
übergangen. Jetzt überlegen die Musiker, ob sie noch nachträglich
über ihren künftigen Generalmusikdirektor abstimmen sollen.
Andererseits hat sich Zimmermann bei ihnen beliebt gemacht, weil
er im letzten Herbst den erbittert geführten Kampf um die aus
Finanznot gestrichene sogenannte Medienpauschale geschlichtet
hat.
Die Komische Oper, das 1905 gegründete kleinste der drei Opernhäuser,
hatte seine große Zeit zwischen 1947 und 1975 unter der Leitung
des bedeutenden Opernrealisten Walter Felsenstein. Seit 1981 führt
Harry Kupfer die Tradition des deutschsprachigen Ensembletheaters
fort. Doch auch hier steht ein Wechsel an. Kupfers Nachfolger Andreas
Homoki will das Repertoire auf etwa 20 Stücke reduzieren, Aufführungsblöcke
zusammenziehen und das Ensemble ausbauen vor dem großen
Hintergrund der Finanzierungsfrage. Albert Kost war jahrelang der
Daueroptimist im Berliner Opernintendantentrio. Was immer die Kulturpolitik
wünschte, die Komische Oper parierte sofort, egal ob es sich
um Sparvorgaben, die Steigerung der Vorstellungszahl oder die Verkürzung
der Sommerpause handelte. Jetzt ist auch Kost verbittert und weiß
nicht mehr, wie er mit 61 Millionen Mark auskommen soll, ohne dass
wenigstens die Tariferhöhungen ausgeglichen werden. Dringend
notwendige Renovierungsmaßnahmen werden verschoben. Sein Generalmusikdirektor
Yakov Kreizberg hat gerade gekündigt. Er hatte genug vom ewigen
Sparen. Ein Nachfolger wird gesucht.
Wie ist die Berliner Opernsituation zu retten? Die Politiker fordern
einerseits seit Jahren, dass die drei Häuser ihre künstlerischen
Profile schärfen und stärker gegeneinander abgrenzen sollen.
Andererseits kursieren Ideen von einer Berliner Holding für
alle Häuser und von einem gemeinsamen Pool für Orchestermusiker
und Chorsänger, aus dem sich alle bedienen sollen. Einen wesentlichen
Teil der künstlerischen Eigenständigkeit, die unverwechselbaren
Klangfarben der einzelnen Ensembles, würde man damit aufgeben.
Kunst funktioniert eben nicht wie ein Industriebetrieb mit drei
parallelen Fließbändern. Der Unterausschuss Theater des
Berliner Abgeordnetenhauses hat nun beschlossen, bis zum 30. Juni
verschiedene, seit längerem diskutierte Möglichkeiten
genauer zu prüfen. Dazu gehört ein Abfindungsfonds für
abzubauendes Personal, die Überführung der Theater in
die Rechtsform einer GmbH oder Aktiengesellschaft, Kooperationen
bei der Nutzung von Werkstätten, Marketing und Verwaltung,
die Privatisierung von Betriebsteilen und das Schließen von
langfristigen Verträgen mit diesen Einrichtungen. Überlegungen,
die die Kulturpolitiker längst hätten anstellen können.
Ob sie ausreichen, ist die Frage. Ohne einschneidende strukturelle
Änderungen scheint im Berliner Kulturleben nichts mehr zu gehen.
Die Theater können die Aufgaben nicht länger allein bewältigen.
Die Opernhäuser fahren mit dem Reserverad. Die Politiker müssen
entscheiden. Sonst werden immer mehr Schließtage finanziert.
Und jede Steuermark, die in die Häuser investiert wird, dient
nur dem Prinzip Hoffnung.
Martina
Helmig
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