Baden-Baden scheint kuriert
Intendant Andreas Mölich-Zebhauser im Gespräch mit
Theo Geißler
Im Sommer 1998 übernahm Andreas Mölich-Zebhauser das
Festspielhaus Baden-Baden. Die Situation des großdimensionierten
Hauses schien damals aussichtslos. Theo Geißler, Herausgeber
von Oper & Tanz, unterhielt sich mit Andreas Mölich-Zebhauser,
Intendant und Alleingeschäftsführer des Festspielhauses,
über Sanierungskonzepte und Zukunftspläne.
Geißler: Was hat Sie damals bewogen, vom Ensemble
Modern wegzugehen?
Mölich-Zebhauser: Es ist mir nicht leicht gefallen,
das Ensemble Modern zu verlassen. Ich würde auch heute noch
sagen, dass die sieben Jahre dort die schönsten in meinem
bisherigen Berufsleben gewesen sind, jedes Projekt war eine Entdeckungsreise.
Gleichzeitig war es immer mein Wunsch, einmal ein großes
Opern- oder Konzerthaus gestalten zu können. Da hätte
die Not des Hauses noch viel größer sein müssen,
dass ich wirklich nein hätte sagen können.
Geißler: Sie wechselten aus einem hochmodernen Experiment
in den Kommerzbunker Festspielhaus Baden-Baden. Wie rechtfertigt
man so etwas?
Mölich-Zebhauser: Baden-Baden ist keine Experimentierbühne,
wird es wahrscheinlich auch nicht werden. Aber wenn sich die Aufwärtsentwicklung
beim Publikum noch einige Zeit fortsetzt, dann habe ich keine
schlechteren Bedingungen als andere Festspielorte, der zeitgenössischen
Kunst zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Priorität liegt in
der ersten Zeit darauf, das Publikum zu entwickeln.
Geißler: Sie sind nach Baden-Baden gekommen, als das
Haus kurz vor der Pleite stand. Was taten Sie dagegen?
Mölich-Zebhauser: Die damalige Leitung des Hauses
meinte irgendwie, sie könnten eine Weltsensation per Beschluss
herbeischaffen: nämlich vom ersten Tag an mindestens so attraktiv
wie Salzburg zu sein und das auch noch ohne eine öffentliche
Mark. Das war eine fatale Fehleinschätzung.
Geißler: Die Pfingstfestspiele von Salzburg zu übernehmen,
sozusagen als Karajan Light Festival, war das die Fehlentscheidung?
Mölich-Zebhauser: Ach, woher! Ich glaube nicht, dass
das darüber entscheiden konnte, wie sich das Haus entwickelt.
Heute bin ich ganz froh, dass damals die Entscheidung für
die Karajan-Festspiele gefallen ist und ich sie nicht korrigiert
habe. Mit dem Namen soll eine große Figur des Musiklebens
geehrt werden, aber im Rahmen der Karajan-Pfingstfestspiele findet
auch Kassandra von Michael Jarrell statt, mit dem
Ensemble Modern. Außerdem habe ich das Haus, das in den
Augen vieler vor allem für japanische und amerikanische Touristen
gebaut wurde, zunächst einmal auch in der Region verankert.
Geißler: Wie haben Sie das gemacht?
Mölich-Zebhauser: Indem wir alle Arroganz über
Bord geworfen und das Preisgefüge deutlich korrigiert haben,
indem wir auf die Leute zugegangen sind und zu ihnen gesagt haben:
Wir wollen euch hier haben und nicht nur den Hundertmarkschein
von euch, wir wollen euch eine Freude machen.
Geißler: Welches Sanierungskonzept haben Sie vorgeschlagen?
Mölich-Zebhauser: Ich arbeite heute nach einigen
harten Schnitten mit einem extrem kleinen, aber hochmotivierten
Team von 55 Festangestellten inklusive Technik, Gastronomie und
eigenem Call-Center, natürlich einem sehr großen Kreis
von freien Mitarbeitern und Aushilfen. Wir investieren viel in
die Werbung und halten den Grundsatz hoch: Mittelmaß ist
der Tod! Wir stehen noch mitten in der Aufbauphase und werden
das auch noch zwei, drei Jahre sein. Im Inhaltlichen habe ich
mich verabschiedet von dem anfänglichen Anspruch, Premierenhauptstadt
Europas zu sein. Es geht mir nicht um Glanz und Schickimicki:
Wir sind exklusiv, aber nicht elitär. Es geht mir um maßstäbliche
und aufregende Interpretationen, in erster Linie des großen
Repertoires natürlich. Die Entdeckungsreisen fangen langsam
an: Ich beginne in diesem Jahr mit Originalklang-Ensembles, mit
Herreweghe, Harnoncourt und anderen, zeige wie die Heroen des
Originalklangs heute aufregende Interpretationen auch des romantischen
Repertoires liefern, warte darauf, dass sie auch das 20. Jahrhundert
entdecken.
Geißler: Gibt es eine Festival- oder Festspielplanung
in Baden-Baden?
Mölich-Zebhauser: Natürlich, aber auch hier
sind wir noch in der Aufbauphase. Fest steht: die Pfingstfestspiele
bleiben so wie sie sind. Zumindest auf die nächsten Jahre
wird es eine stabile Zusammenarbeit mit Gergiev und seinem Mariinsky-Theater
geben. Ballett- und Tanztheater-Festivals werden ausgebaut. Vielleicht
verändere ich die Sommer-Festspiele zu einem Herbstfestival
da ist Baden-Baden übrigens besonders attraktiv.
Geißler: Gibt es eine verstärkte Zuwendung zur
leichteren Musik?
Mölich-Zebhauser: Ja und Nein. Man muss in alle Richtungen
denken. Ich mag den Berliner Philharmonikern nicht vorwerfen,
dass sie jetzt auch mit einer Rockgruppe zusammenarbeiten. Das
Problem ist nur, dass eine Konstellation Rockband und Sinfonieorchester
das sieht man auch wieder bei Metallica mit dem San Francisco
Symphony Orchestra regelmäßig dazu führt,
dass das Sinfonieorchester den süßen Schmus abliefert
und die Rockband die Power macht. Für aufregender halte ich
da Künstler wie David Bowie, Sting, Björk, die alle
das Potenzial haben, in eine echte künstlerische Auseinandersetzung
mit dem Metier klassische Musik und zeitgenössische Musik
zu treten.
Geißler: Ist das klassische Sinfonieorchester überhaupt
innovationsfähig?
Mölich-Zebhauser: Jetzt bewege ich mich natürlich
auf etwas gefährlichem Grund, wenn ich sage: Eine Weiterentwicklung
wird da kommen, wo die lebenslange Bindung des Musikers an seinen
Klangkörper zumindest teilweise aufgebrochen wird.
Geißler: Kann er das brauchen?
Mölich-Zebhauser: Ja, mit dem altdeutschen Versorgungsdenken
muss Schluss sein, weil das der tödlichste Feind der Kreativität
und des lustvollen Musizierens, der Aufgeschlossenheit gegenüber
Neuerungen ist. Das Modell eines großen Musikerpools wie
in London gefährdet natürlich die Kontinuität künstlerischer
sinfonischer Arbeit. Aber die ist heute ohnehin gefährdet.
Zum Beispiel dadurch, dass immer weniger Dirigenten bereit sind,
mit einem Orchester auch einen langen Weg gemeinsam zu gehen,
so wie Celibidache mit den Münchnern oder Metzmacher in Hamburg.
Geißler: Was ist, wenn Sie in zwei Jahren dieses Haus
frei finanzieren sollen?
Mölich-Zebhauser: Das ist ganz einfach. Es muss nur
so weitergehen, wie es bisher gegangen ist: 1998 sind gut 12 Millionen
Verlust produziert worden, im letzten Jahr knapp 8 Millionen,
in diesem Jahr hoffen wir mit 4 Millionen durchzukommen, wenn
es 4 ½ Millionen sind, ist es auch kein Beinbruch und im
Jahr darauf sind es noch 1 oder 1 ½ Millionen. Diese Verluste
sind noch im Wesentlichen durch öffentliche Gelder gedeckt.
Jetzt rede ich schon selber über Verluste dann müsste
man ja auch sagen: Die Salzburger Festspiele machen jedes Jahr
25 Millionen Verlust... Das heißt, wir sind dabei, aus eigener
Kraft jedes Jahr um etwa 3 oder 3 ½ Millionen besser zu
werden. Es ist überhaupt nicht absehbar, dass dieser Prozess,
der durch die Besucherentwicklung auf der einen Seite, durch sprunghaft
wachsendes Interesse von Privatleuten und Sponsoren, sich dem
Hause zuzuwenden, auf der anderen Seite generiert wird, dass dieser
Prozess abreißen sollte.
Geißler: Ende März wird die Stiftung für
das Festspielhaus gegründet. Wie sieht das aus?
Mölich-Zebhauser: Die Stiftung, die dann die Betriebsgesellschaft
des Hauses zu 100 Prozent von der Stadt übernehmen wird,
startet zunächst mit dem recht geringen Kapital von etwa
5 Millionen Mark, aber mit hervorragenden Partnern. Es gibt Gespräche
mit möglichen weiteren Stiftern und es ist absehbar, dass
es uns gelingen kann und hoffentlich gelingen wird, innerhalb
von drei Jahren ein relevantes Stiftungskapital von etwa 1520
Millionen aufzubauen. Wenn man es etwas länger denkt, dann
halte ich eine Größenordnung von 50 Millionen Mark
überhaupt nicht für utopisch.
Geißler: Dann sind Sie alle Sorgen los?
Mölich-Zebhauser: Das ist richtig, dann gibt es
eine Art Sicherheitsnetz. Und für die Jahre, wo es nach Plan
gut läuft, sind die Stiftungserträge das Potenzial,
welches den inhaltlichen Aufbau des Hauses beschleunigen wird.
Das Geld wird es erlauben, beispielsweise mehr Opern als bisher
in Koproduktionen oder sogar im Alleingang zu machen. Heute ist
allerdings jede Oper auch bei mir noch völlig defizitär,
obwohl ich ein wenig stolz darauf bin, dass wir derzeit einen
Deckungsgrad über die Kartenerlöse von knapp 50 Prozent
auch bei der Oper haben. Bei Konzert und Ballett schreiben wir
schon schwarze Zahlen.
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