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Was Giuseppe Verdis Falstaff zur Berliner Kulturpolitik sagen
würde, ist klar: Alles auf Erden ist nur Spaß und
zu böser Letzt bleiben nur Gefoppte zurück, weil Torheit
die Menschen verleitet, sich gegenseitig zum Narren zu halten. Das
mit den Gefoppten mag ja zutreffen, ob es aber nur Spaß ist,
wenn ein großstädtisches Publikum in der Deutschen Oper
Berlin die Neuenfels-Interpretation des Nabucco niederbrüllt,
der Kultur-Senator am Haushaltsrecht des Parlaments vorbei regiert,
seine Nachfolgerin in später Erkenntnis ihrer Aufgaben lieber
zurücktritt und der Regierende Bürgermeister seiner abgrundtiefen
Skepsis der Kultur gegenüber Ausdruck verleiht und erklärt,
er denke nicht daran, abgetanzte, abgelatschte Künstler durchzufüttern?
Die Probleme der Berliner Kulturpolitik sind hausgemacht
und simpel: Zum ersten Male seit Ende der zwanziger, Anfang der
dreißiger Jahre, seit Schwarzem Freitag, Papen-Putsch und
Machtergreifung, ist Berlin wieder eine ganz normale Großstadt,
in der eine Landesregierung (noch ohne Brandenburg und daher nicht
in Potsdam) und die deutsche Regierung ihren Sitz haben. Aber das
will Berlins Kulturpolitik nicht wahrhaben. Die Großmannssucht
der die Kultur missbrauchenden NS-Goldfasanen in der Welt-Hauptstadt
des Großdeutschen Reiches, dann der Wettstreit zwischen der
Insel hinter dem Eisernen Vorhang und der Hauptstadt der Deitschen
Demkratschen Replik, in dem Geld keine Rolle spielte
diese 60 Jahre haben sich ins Bewusstsein Berlins so tief
eingegraben wie die Radspuren ins Pflaster der Straßen des
römischen Imperiums.
Kulturpolitik in Deutschland vor 1933 war immer föderal;
deutsche Kulturpolitik war die Summe kulturpolitischer Aktivitäten
seiner Regionen, vor allem seiner Städte. In diesem föderalen
Konzert hat Berlin, selbst nach 1871, niemals eine Art Stimmführerschaft
innegehabt: Reichs-Reichtum und hohenzollernsche Repräsentationssucht
ermöglichten zwar das besitzergreifende Sammeln, förderten
aber nur selten Kreativität. Berlin war eine der bedeutenden
Kulturstädte unter mehreren.
Selbst das gegenüber heute eine Million Einwohner mehr
und ein vielfach höheres Steueraufkommen aufweisende Groß-Berlin
der Zwanziger Jahre konnte kulturpolitisch nur mit Unterstützung
Preußens und der Reichsregierung Glanz entfalten. Man blättere
in den Berichten des Berliner Magistrats der endzwanziger Jahre:
Das Privattheater-Imperium Max Reinhardts steuerte unaufhaltsam
dem Konkurs entgegen und die Stadt konnte nicht helfen, die Hochkultur
aber war von den Vormals Königlichen, jetzt Preußischen
Staatstheatern zu Berlin bestimmt. Berlins Hauptstadtkultur
lebte von Preußen, das nicht mehr existiert und da
steckt das Problem.
Dieses Problem nicht erkannt zu haben, ist der unverzeihliche
Fehler der zu Unrecht Kulturpolitiker geheißenen Filztuch-Strategen
der ersten Jahre nach der Wende. Vernagelte Dummköpfe, die
den Status quo der beiden Berlins ästhetisierten
und nicht einmal zur Vernunft kamen, als das Schiller-Theater
wie schon im Jahre 1932 wieder einmal in privatwirtschaftliche
Hand gegeben wurde. Ihren Nachfolgern ist allenfalls vorzuwerfen,
mangels eigener Konzeption, selbst nach dem Hauptstadt-Beschluss
des Deutschen Bundestages, einfach weiter gewurschtelt zu haben.
Gute Figur, fernab aller Narretei, macht nur Staatsminister
Michael Naumann; er scheint erkannt zu haben, dass der Bund schrittweise
die Rolle Preußens und des Reiches übernehmen muss, soll
Berlin nicht seinen Politikern und damit der Provinzialität
überlassen werden. Die Berliner, ob sie nun Diepgen, Schulze
oder Müller heißen, werden sich mit dem Gedanken vertraut
machen müssen, dass Berlins Hauptstadtkultur dann wie
weiland vom Preußischen Ministerium für Wissenschaft,
Kunst und Volksbildung vom Staatsminister im Bundeskanzleramt
bestimmt, weil finanziert wird. Das preußische Ministerium
hatte übrigens beschlossen, mit der Oper am Platz der
Republik drei eigenständige Opernhäuser in Berlin
zu unterhalten.
Ihr
Stefan Meuschel
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