Schwerpunkt: Operette
Respekt vor dem Werk
Josef E. Köpplinger im Gespräch
Von Wolf-Dieter Peter
Seit 2012 ist Josef E. Köpplinger Intendant des Gärtnerplatztheaters in München. Sein Repertoire als Regisseur umfasst alle Sparten von Schauspiel über Oper bis zu Operette und Musical. Der Operette, auch dem Musical, gilt aber seine besondere Leidenschaft. Er inszenierte zahlreiche bekannte und auch unbekanntere Werke dieser Genres und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Unter anderem wurde ihm 2018 der Kulturpreis der Bayerischen Landesstiftung verliehen, 2019 wurde er für seine Inszenierung der Uraufführung „Drei Männer im Schnee“ mit dem Deutschen Musical Theater Preis ausgezeichnet, 2020 erhielt er die „Orpheus-Nadel für besondere Verdienste um das Genre Operette“. Wolf-Dieter Peter sprach mit Köpplinger über zentrale Aspekte der Bearbeitung von Operetten.
Oper&Tanz: Ist das Genre Operette im 21. Jahrhundert noch interessant? Wo setzen Sie an, um es „spielbar“ zu halten?
Josef E. Köpplinger: Die Auslastungszahlen der Aufführungen bei uns und den Kolleg*innen sprechen für sich: über 90 Prozent bei uns. Das ist wohl Antwort genug. „Spielbar“: In Zeiten von Cancel-Culture „Zigeunerbaron“ oder „Land des Lächelns“ ansetzen? Da müssen wir sehr genau überlegen, und ich sage: Auf der Bühne darf jeder alles darstellen, das ist keine „kulturelle Aneignung“, da verwandelt sich jemand für eine Kunst-Vorführung in jemanden – ohne es in der Realität zu sein. Natürlich gibt es Grenzfälle: das „Juden-Couplet“ im „Bettelstudent“ – angesichts unserer Geschichte so nicht aufführbar, aber man muss dem „Schlechten in der Welt“ konfrontativ begegnen, also auf der Bühne dagegenhalten, es mit Ironie, Witz, Satire sichtbar machen, entlarven…
O&T: Wie ist es mit der Sprache, diesem häufigen „…chen“ und „…lein“, dem Frauenbild?
Köpplinger: Da passen wir die Sprache an. Speziell das Buffo-Paar muss oft befreit werden von Banalem und Albernem.
O&T: Ist die Musik sakrosankt?
Köpplinger: Nein. Wir wissen, wie seit Offenbachs Zeiten gestrichen oder hereingenommen wurde. Das finden wir im Pasticcio-Charakter von „Nacht in Venedig“ oder „Wiener Blut“, die ja posthum als „Werk“ uraufgeführt und in die Nummern eingefügt wurden. Wenn es für das Werk also dramaturgisch sinnvoll ist…
O&T: Wer muss da um Erlaubnis gefragt werden? Fallen da schon Kosten an?
„Drei Männer im Schnee“ am Gärtnerplatztheater mit Armin Kahl (Dr. Fritz Hagedorn), Erwin Windegger (Eduard Tobler) und Alexander Franzen (Johann Kesselhuth). Foto: Christian POGO Zach
Köpplinger: Das hängt vom Alter der Werke ab. Ich denke, die 70 Jahre nach Tod des Urhebers spielen eine zentrale Rolle, danach sind die Werke frei. Die Verlage sind eher offen – eben mit Blick auf die Spielbarkeit. Schwieriger können Erben sein, etwa bei Bernstein oder Weill… Doch ein seriöses Gespräch hilft da oft. Da fallen keine Kosten an. Aber etwa bei „Les Misérables“ muss man die „Marke“, gleichsam das Copyright insgesamt einkaufen; das Mitspracherecht der Urheber geht in diesem Fall bis zur Besetzung.
O&T: Was muss der Bearbeiter mitbringen? Ich denke an die junge Generation mit ihren Sprachcodes bis hin zur KI.
Köpplinger: Als Erstes Respekt, vor dem Werk als Ganzes! Dann die Fähigkeit zu schreiben – und dann den Mut zur Verbesserung. Beispiel „Faschingsfee“: Da habe ich ganze Nebenstränge hinzugefügt; das gebe ich dann Freunden in der Szene zum Lesen, ändere dann – jenseits aller Arbeit macht das ja Spaß. Das begann mit „Land des Lächelns“ in Regensburg… inzwischen „Fledermaus“, „Weißes Rößl“, eine meiner Lieblingsarbeiten. „Viktoria und ihr Husar“, dann „My fair Lady“ mit „Bairisch“ als Elizas Problem, „Anatevka“, „Großherzogin von Gerolstein“, „Land des Lächelns“ mit starken Eingriffen… Ebenso „Bettelstudent“, ganz extrem bearbeitet: Am Schluss wurden Ollendorf und die Offiziere bei mir aufgehängt… Und vieles mehr.
O&T: Bietet denn die „Gag-Schreiber“-Szene etwa hinter der „Anstalt“ oder der „heute-show“ nicht eine Fülle von Talenten?
Köpplinger: Ja, aber ich denke eher an Loriot, an Wolfgang Adenberg, vor allem an Thomas Pigor, den ich für den „Kreisler des 21. Jahrhunderts“ halte. Man darf, speziell bei Offenbach, nicht an vordergründige Gags denken. Etwa der Frosch in der „Fledermaus“: Das ist keine Witzfigur, keine kabarettistische Einlage, sondern eine ernst zu nehmende Persönlichkeit. Da wird es dann zur konzeptionellen Frage: Was will ich mit dem Werk? Wohin soll es gehen?
Da muss jede Generation von Theatermachern besonders bei der Operette neu ansetzen, gerade in unseren Zeiten von Empörungsschwurbeleien bis hin zu „Shitstorms“ in den sogenannten „sozialen Medien“.
O&T: Zurück in die Realität: Welche Honorare sind für eine Bearbeitung üblich?
KÖPPLINGER: Also, ich habe für mein Regensburger „Land des Lächelns“ nichts bekommen, für viele andere Bearbeitungen auch nicht, einmal dann 3.000 Euro. Als Intendant mit heutigen Etat-Problemen würde ich erwarten, dass Regie und Dramaturgie sich an die Arbeit machen.
O&T: Dann genehmigen Sie wahrscheinlich diese Fassung. Wie geht es dann weiter?
„Die Großherzogin von Gerolstein“ am Gärtnerplatztheater mit Gunnar Frietsch (Baron Puck), Sigrid Hauser (Erusine von Nepomukka), Alexander Grassauer (General Bumm) und Daniel Prohaska (Prinz Paul). Foto: Jean-Marc Turmes
Köpplinger: Dann gibt es sicher noch praktische und persönliche Einzelheiten im Probenprozess bei Sänger*innen, Dirigent*in und Regisseur*in. Da ist das wechselseitige Verständnis im Team gefragt. Doch geht es eher um Kleinigkeiten, die das Singen erfordert oder die Zeit für einen Spielzug ermöglicht, um das Miteinander in den Proben. Beispiel „Cinderella“: Da sagt Cinderella „Aber du hast es mir doch versprochen!“ Und die Stiefmutter antwortet: „Ich habe mich höchstens versprochen!“… Das muss geprobt und inszeniert werden.
O&T: Wie politisch darf, soll, muss die Operette sein? Gab und gibt es da nicht die Möglichkeit zu aktuellen oder örtlichen „Einlagen“?
Köpplinger: Ja, immer schon – und auch heute im Sinn der Freiheit der Kunst bitte weiterhin! Exemplarisch ist die Rolle der „Öffentlichen Meinung“ in „Orpheus in der Unterwelt“. In meiner Regensburger Inszenierung sah man auf dem Spielvorhang die Venus schlafend mit pulsierenden Brüsten; die „Öffentliche Meinung“ unterbrach und sagte zum Dirigenten, dass das so nicht gehe… Bayern… katholisch… und dazu erklangen die ersten Takte der Bayern-Hymne… begeisterter Szenenapplaus… So etwas muss möglich und immer wieder sein. Auch wenn uns die guten Satiren im Fernsehen heute viel abnehmen. Da muss jede Generation von Theatermachern besonders bei der Operette neu ansetzen, gerade in unseren Zeiten von Empörungsschwurbeleien bis hin zu „Shitstorms“ in den sogenannten „Sozialen Medien“. Die Anverwandlung auf der Bühne und damit die Freiheit der Kunst muss über allem stehen, muss verteidigt werden und stets der Leuchtturm unsere Arbeit bleiben.
|