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Aktuelle Parabel

»Siegfried« und »Götterdämmerung« bei den Tiroler Festspielen Erl

Auch die Festspiele in Bayreuth und Salzburg machten wie fast jede Saison nicht nur künstlerische Schlagzeilen. Doch bezüglich rüder Personalpolitik ragte diesmal das kleine Erl heraus. Da hatte seriösen Quellen zufolge noch im Januar 2023 der finanziell und indirekt alles regierende Präsident Hans Peter Haselsteiner dem von ihm 2019 als „Retter“ geholten und prompt Stabilität und für Erl enormes künstlerisches Niveau bringenden Frankfurter Intendanten Bernd Loebe die weitere künstlerische Leitung zugesagt – also dem opernwelt-erfahrenen Intendanten, der die Oper Frankfurt mehrfach zum „Opernhaus des Jahres“ und zum internationalen „Opera Award“ geführt hatte. Im Frühjahr 2023 wurde dann aber doch eine Ausschreibung für Erl angesetzt, und der 70-jährige Loebe sollte sich nach vier erfolgreichen Jahren „bewerben“ – was er ablehnte. Haselsteiner verkürzte dann das Verfahren, weil er mit dem österreichischen Startenor Jonas Kaufmann ein PR-Coup gelandet zu haben glaubte. Loebes „Nebenbei“-Vertragsende wurde mit „kränkend“ (FAZ), „rausgekickt… der wohl fähigste und leidenschaftlichste Opernintendant im deutschsprachigen Raum“ (Wiener Standard), „übel mitgespielt und kaltschnäuzig abgefertigt“ (Ring-Regisseurin Brigitte Fassbaender) kommentiert. Doch der souveräne Intendant Loebe nahm keine diplomatische Grippe, sondern bot gemäß Richard Wagners „Hier gilt’s der Kunst“ dennoch einen reizvoll erfolgreichen Festival-Sommer.

Craig Colclough als Alberich. Foto: Xiomara Bender

Craig Colclough als Alberich. Foto: Xiomara Bender

Mit breitgefächerten Liederabenden, Orchester-, Kammer- und Chorkonzerten war der Blick über Wagner hinaus erneut auf Humperdincks unterschätzte „Königskinder“ möglich, in neuer, vokal beeindruckender Solisten-Besetzung. Doch im Zentrum des Interesses stand die Komplettierung von Wagners „Ring“-Tetralogie. Regisseurin Brigitte Fassbaender hatte mit den ersten beiden Abenden beeindruckt – trotz der technischen Grenzen im Passionsspielhaus (vgl. Oper & Tanz, Ausg. 4-5/21 und 4-5/22). Nun kamen binnen acht Tagen „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ hinzu.

Die gelegentliche Etikettierung des „Siegfried“ als „Scherzo“ des „Ring“ wurde wahr: Als der Held den Panzer der mit Heroinen-Figur daliegenden Brünnhilde weghob, löste sein „Das ist kein Mann!“ Gelächter im Publikum aus – dem dann am Ende im volltönenden Wettgesang von Vincent Wolfsteiner und Christiane Libor einhelliger Jubel folgte. Ernsthaft beeindruckt hatten Fassbaenders hinzugefügtes Kind Siegfried und sein von Wotan-Wanderer begutachtetes Spielzeug samt Holzschwert, Mimes turbulente Überdrehtheit (Peter Marsh), die „Darth-Vader-Kriegsmaschine“ Fafner (Anthony Robin Schneider) und eine insgesamt fesselnd expressive Personenführung. Die gipfelte in der erneuten Begegnung Wanderer/Erda: ein anheimelnd intimes Boudoir mit großem Doppelbett – und Simon Bailey machte mit der hinreißend dunkel timbrierten Zanda Švëde ein zwar erotisch grundiertes, aber letztlich eben doch männlich dominiertes Welten-Ende-Zentrum aus der Szene.

Das folgte dann in einer zeitlos nah kostümierten „Götterdämmerung“, deren Personenregie wohl zwei Wochen mehr Probenzeit im kommenden Zyklus-Jahr gut tun werden. Neben dem fast über-lautstarken Festspielchor und der durchweg sehr guten Solisten-Riege fehlten nur dem Hagen Robert Pomakovs szenische Präsenz und vokal schwarze Abgründigkeit. Dafür machte erneut Zanda Švëde aus ihrem Waltrauten-Auftritt eine emotional bannende Vorausdeutung. Der zu dürren Brettern heruntergewirtschaftete Wald wurde nach Wolfsteiners anrührend gesungenem Tod Siegfrieds zum finalen Scheiterhaufen für ihn und Libors vokal strahlende Brünnhilde geschichtet. All das dirigierte Erik Nielsen mit schönen Einzelheiten und dann wuchtigen Ballungen; ob mit großer Linie, wird wohl erst im Zyklus besser zu beurteilen sein.

Inzwischen war längst ein anderer groß gewachsen: der im „Siegfried“ reichlich verlotterte Alberich von Craig Colclough hatte sich für die Gibichungen-Welt in Anzug mit Gold-Weste geschmissen, manipulierte seinen Sohn Hagen – doch als der am Ende versagte und die Rheintöchter fröhlich mit dem Ring davontänzelten, erwürgte er ihn. Dann trat er ins Zentrum der Bühne: Mit all seinem zusätzlichen Wissen wird dieser hemmungslose Finsterling die nächste Welteroberung angehen und sich von Wohlklang umspielen lassen! Nach allem Beifall und Bravo stieg dann im mitdenkenden Musiktheaterfreund die Frage empor: Angesichts absurder Geld-Anhäufung, gespenstischer Datenmacht-Konzentration, privatem Wechsel zwischen Unsichtbarkeit und Einfluss-Protzerei – sind die Alberiche dieser unserer Welt nicht schon längst in Position? Wagners „Ring“ bleibt eine sehr aktuell mahnende und warnende Parabel…

Wolf-Dieter Peter

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