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Berichte

Deutungsfragen in Salzburg

Viel Regietheater bei den diesjährigen Festspielen

Viel Verdi haben die Salzburger Festspiele heuer im sommerlichen Opernprogramm, viel Wiener Philharmoniker und viel zu gucken. Selbstbescheidung scheint gerade nicht so en vogue zu sein.

Krzysztof Warlikowski nimmt sich im Großen Festspielhaus Verdis Shakespeare-Vertonung „Macbeth“ vor und mit ihr eine Menschheitsfrage: Wo kommt das Böse her? Das Deutungsangebot des Regisseurs: Die Lady Macbeth, heimliche Hauptfigur der Oper, kann keine Kinder bekommen. Kinder sind überall zu sehen, ob als Wiedergänger des ermordeten Banco, ob als Leichen, nachdem Macbeth die Familie von Macduff hat umbringen lassen, oder als Babypuppe, serviert auf einer Bratenplatte. Eindrücklicher ist die Traumatisierung der Lady kaum zu bebildern. Aber führt diese wirklich unausweichlich zu Machtlust und Blutdurst? Und warum verrätseln Warlikowksi und seine Ausstatterin Małgorzata Szczęśniak dann so vieles? Als Hexen treten erst blinde Frauen auf und später Kinder mit Masken, über einen Bildschirm laufen Szenen aus „Il Vangelo secondo Matteo“ von Pier Paolo Pasolini. Das zieht viel Aufmerksamkeit ab, besonders von der Musik.

„Macbeth“ mit Vladislav Sulimsky (Macbeth) und Asmik Grigorian (Lady Macbeth). Foto: SF/Bernd Uhlig

„Macbeth“ mit Vladislav Sulimsky (Macbeth) und Asmik Grigorian (Lady Macbeth). Foto: SF/Bernd Uhlig

Philippe Jordan und die Wiener Philharmoniker leuchten in die finstersten Ecken dieser Splatter-Oper, dynamisch kontrastreich, präzise artikuliert und farbenreich. Asmik Grigorian kann nicht verleugnen, dass sie eine lyrische Sopranistin ist. Ihre Lady hat mehr Wärme, als man der Figur abnehmen möchte, dafür bleiben ihre Koloraturen gelegentlich im Ungefähren. Auch Vladislav Sulimskys Bariton fehlt es an der Schärfe, die Verdi sich für die Titelpartie gewünscht hätte.

Nächster Verdi ist der späte „Falstaff“, noch ein Shakespeare-Stoff, eine Komödie mit Abgründen. Christoph Marthaler zieht ihr freilich ein paar Zähne zu viel. So nimmt er Falstaff den Bauch und dessen Darsteller Gerald Finley einiges an Präsenz. Da passt es, dass Finley hervorragend, wenn auch weniger draufgängerisch als distinguiert und hochdifferenziert singt; von seiner angesagten Kehlkopfentzündung ist seinem Bariton am Premierenabend nichts anzuhören. Das optische Gravitationszentrum ist, auch qua Leibesfülle, der Filmregisseur Orson Welles. „Falstaff“ soll nämlich verfilmt werden. (Den Grund für diese Regie-Volte müssen Nichteingeweihte im Programmheft nachlesen.) Trauben von Statisten wuseln als Filmcrew durch Anna Viebrocks 1970er-Jahre-Paradies und legen ein paar urkomische Slapsticks hin, die für die Handlung allerdings entbehrlich sind, während die Protagonisten oft herumstehen und -sitzen.

Das ist vielleicht gar nicht schlecht für die kniffligen, teils polyrhythmischen Ensembles. Die exquisite Sängerriege, unter ihnen Elena Stikhina als Alice mit golden schimmerndem, beweglichem Sopran, liefern sie passgenau. Und die Wiener Philharmoniker unter Ingo Metzmacher geben wenig Sentiment, dafür Struktur und viel Pfeffer dazu. Aber was war jetzt mit dem Wäschekorb? Der bleibt am Ende leer, und ins Wasser fällt nicht Falstaff, sondern Welles. Wütende Buhrufe für das Regieteam.

Nach all dem Gewimmel ist Bohuslav Martinůs „The Greek Passion“ eine Wohltat, denn die Regie von Simon Stone konzentriert sich auf das Wesentliche. Martinů hat in den 1950er-Jahren den Roman „Christus wird wiedergekreuzigt“ von Nikos Kazantzakis vertont: Alljährlich führen die Bewohner eines griechischen Dorfs Passionsspiele auf. Der Priester besetzt die Darsteller für das nächste Mal – und jeder von ihnen wird sich seiner Rolle langsam anverwandeln. Zum Prüfstein wird die Ankunft einer Gruppe von Flüchtlingen, deren Dorf von den Türken zerstört wurde. So nimmt das Stück ein zentrales politisch-ethisches Thema des 21. Jahrhunderts vorweg.

Lizzie Clachan hat die Bühne der Felsenreitschule leergelassen, Mel Page hat die Dorfbewohner in Grau- und Cremetöne gekleidet und die Flüchtlinge in das Bunt der Armut. Nachdem die Eingesessenen die Ankömmlinge vertrieben haben, bleiben nur ein paar warnrote Rettungswesten auf der Bühne zurück, ein erschütternd ikonisches Bild. Die Konfliktlinien von Fremdenfeindlichkeit und Barmherzigkeit vertraut Stone ganz den Hauptfiguren an: Da wird der Priester (mit statuarischem Bariton gesungen von Gábor Bretz) zum keifenden Demagogen. Der Händler Yannakos als Petrus lässt sich zunächst auf die Idee ein, die Flüchtlinge zu übervorteilen. Es gehört zu den stärksten Momenten, wie der Tenor Charles Workman die innere Wandlung Yannakos‘ singt und verkörpert. Und Sebastian Kohlhepp, ebenfalls Tenor, gelingt ein berührendes Porträt des Christus-Darstellers Manolios mit allen Zweifeln und Widersprüchen.

Diese eigentümliche Mischung aus Drama und Oratorium hat Martinů in ein Kaleidoskop an Klängen gefasst. Volksmusik kommt ebenso vor wie Hollywood-Anklänge. Die Wiener Philharmoniker spielen unter der Leitung von Maxime Pascal farbig und plastisch, der Festspiel-Kinderchor und der Wiener Staatsopernchor machen Martinůs rasche Wechsel von sakraler Homophonie zu Kriegsgeschrei in den Volksszenen flexibel mit. Die Musik schildert eindringlich, wie sich die Stimmung im Dorf radikalisiert. Am Ende liegt Manolios in seinem Blut, und die Flüchtlinge ziehen weiter.

Mozarts „Figaro“ geht schon gleich schlimm los: Ein Mann fällt rücklings durch eine Tür auf die Bühne, die Hemdbrust rot verfärbt. Der Schütze nimmt ihm die Geldbörse aus der Brusttasche und verschwindet, kurz darauf erscheint ein Priester und entsorgt ungerührt den Leichnam. In einer Bar nebenan schaut Susanna derweil Figaro zu, wie er Gläser zählt.
Eigentlich kommt in da Pontes Libretto niemand zu Tode – also wird Martin Kušej ja wohl irgendwann deutlich machen, was er sich bei diesem Regieeinfall gedacht hat. Tut er aber nicht. Es wird viel mit Pistolen gefuchtelt im Haus für Mozart, mafiöse Machtstrukturen zeigen sich, die Blumenmädchen werfen blutbefleckte Unterkleider, der Graf ist ein Mörder und kaltblütiger Macho. Dass er verletzlich nur da ist, wo es um die eigene Eitelkeit geht, das wussten wir schon.

Seltsam unverbunden wirkt dieser Abend. Zwischen Susanna und Figaro ist keinerlei erotische Spannung zu spüren. Krzysztof Bączyk singt und spielt den Figaro lebendig und klangschön, aber irgendwie für sich. Dagegen zeigt sich seine schlaue Verlobte (Sabine Devieilhe) nicht nur für Cherubinos Werbungen empfänglich, sie lässt sich auf die Zudringlichkeiten des Grafen ein. Mozart hat das offengelassen. Aber das Uneindeutige, Schwebende der Oper ist nicht Kušejs Sache. Da kann Lea Desandre als Cherubino gurren, wie sie will.

Der Dirigent Raphaël Pichon und das hochinspirierte Continuo geben den Sängern Raum zum Atmen und Nachspüren. Nur scheint der junge Franzose mit den Wiener Philharmonikern seine Mühe zu haben. Oft fehlt es dem Orchesterklang an Schmelz, und wo die Gestaltung Anleihen bei der Originalklangbewegung nimmt, bleibt sie unspezifisch.

Ganz anders gehen »Les Musiciens du Prince – Monaco« im Haus für Mozart zu Werke. Die sind sozusagen das Hausorchester der Pfingstfestspiele, deren Künstlerische Leiterin Cecilia Bartoli ist. Hellwach und mit allen stilistischen Wassern gewaschen spielen sie in Glucks „Orfeo ed Euridice“, einer Übernahme von den Pfingstfestspielen. So kann der Dirigent Gianluca Capuano in die Extreme gehen. Die Musik atmet beseelt, hält aber auch mal die Luft an, dann wieder verschwindet sie ins fast Unhörbare, und im nächsten Moment springen Pauke und Kontrabässe raubtiergleich aus dem Hinterhalt. Immer dabei: der fabelhaft homogene, lebhaft artikulierende Chor Il Canto di Orfeo.

Die Titelrolle singt natürlich Bartoli höchstselbst, in gewohnter Intensität: Mit jeder Faser gibt sie sich dem Schicksal des Orfeo hin. Auf den Ausdruck kommt es an und nicht auf kleinere klangliche Unebenheiten ihres Mezzosoprans. Christof Loys Regie konzentriert sich auf die Interaktion zwischen Orfeo, Euridice und Amore. Die ganze Tragödie spielt sich in einem holzvertäfelten Treppenhaus ab (Bühnenbild: Johannes Leiacker). Wenn vor dem ersten Einsatz das Tanzensemble hereinkommt und die Frauen auf die Stufen sinken, dann nehmen sie damit Euridices Tod vorweg.

Die Sopranistin Mélissa Petit macht Euridices Zweifel fühlbar: Warum soll sie den Frieden des Totenreichs verlassen, wenn der Geliebte sie nicht einmal ansieht? So entgleitet sie Orfeo ein zweites Mal. Wieder kommen die Tänzer und Tänzerinnen herein, wieder sinken und rollen die Frauen die Treppenstufen herab, aber die Götter werden Orfeos Klage nicht noch einmal erhören. Kein Ausweg, nirgends.

Verena Fischer-Zernin

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