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Schwerpunkt: Operette
„Das gefährlichste Gift“
Die Verfolgung jüdischer Operettenkomponisten unter dem NS-Regime
Von Albrecht Dümling
Bereits ab 1907 gab der antisemitische Leipziger Verleger Theodor Fritsch ein „Handbuch der Judenfrage“ heraus, das über „die wichtigsten Tatsachen zur Beurteilung des jüdischen Volkes“ informieren wollte. Das in hoher Auflage verbreitete Buch enthielt einen Aufsatz „Das Judentum in der Musik“, der behauptete, in der Tonkunst hätten Juden als Schmarotzer und Zerstörer gewirkt. Die Gattung der Operette hätten sie „in die Sphären niederster Publikumsinstinkte“ heruntergebracht. Genannt wurden dabei die Komponisten Paul Abraham, Leo Ascher, Heinrich Berté, Edmund S. Eysler, Leo Fall, Jean Gilbert, Bruno Granichstaedten, Hugo Hirsch, Viktor und Friedrich Hollaender, Georg Jarno, Leon Jessel, Emmerich Kálmán, Richard Mises, Oskar Nedbal, Rudolf Nelson, Jacques Offenbach, Willy Rosen, Mischa Spoliansky und Oscar Straus. Andere Operetten-Komponisten, wie Robert Stolz sowie der „jüdisch versippte“ Ralph Benatzky, seien wohl Arier, unterschieden sich aber in nichts, was die Qualität ihrer Produkte anbelangt, von den genannten Juden. Äußerst bedenklich sei der hohe Anteil jüdischer Librettisten, und dies nicht nur bei jüdischen Komponisten: „Der Arier Franz Lehár und der jüdisch versippte Eduard Künneke bezogen und beziehen ihre Texte ausschließlich aus jüdischen Händen!“
Das Hitler-Regime wollte das deutsche Kulturleben von allen jüdischen Einflüssen „säubern“, weshalb es einige der beliebtesten Operetten jüdischer Künstler sofort verbot. Dies entsprach auch den Vorstellungen von Richard Strauss, dem Präsidenten der neugegründeten Reichsmusikkammer, der Operetten als unseriöse Konkurrenz zur Oper ablehnte. Das erfolgreichste Bühnenwerk der Weimarer Republik, Paul Abrahams Operette „Die Blume von Hawaii“, verschwand 1933 umgehend von den Spielplänen, ebenso das Singspiel „Im weißen Rössl“, an dem mehrere jüdische Autoren mitgewirkt hatten. Zuständig für die „Säuberungen“ im Bereich der Operette und des Musiktheaters war der „Reichsdramaturg“ Rainer Schlösser, der im Propagandaministerium die Theaterabteilung leitete. Mit seinen Verbotsmaßnahmen traf er allerdings auf erheblichen Widerstand der betroffenen Bühnen, die damit auf ihre erfolgreichsten Stücke verzichten mussten und erhebliche wirtschaftliche Einbußen befürchteten. Besonderes Missfallen rief das Verbot der Operetten von Jacques Offenbach und Emmerich Kálmán hervor. Als schließlich auch die Werke von Franz Lehár wegen der daran beteiligten jüdischen Librettisten in Misskredit gerieten, versuchte Schlösser, Übereifrige zu bremsen. Denn es gab nicht genügend attraktive „arische“ Alternativen, die er den Theatern als Ersatz anbieten konnte.
In seiner Not wandte sich Schlösser am 12. September 1934 an seinen obersten Dienstherrn, den Reichsminister Goebbels. In diesem Schreiben führte er aus, Anfang 1933 seien 80 Prozent der aufgeführten Operetten textlich wie musikalisch jüdischen Ursprungs gewesen. 10 Prozent der Werke stammten von einem arischen Komponisten und einem jüdischen Textautor. Nur 10 Prozent der gespielten Operetten könnten als „rein arisch“ bezeichnet werden. Angesichts dieser Situation sei es unmöglich gewesen, „die jüdischen Bestandteile in der Operette restlos auszumerzen“. Er habe außerdem Rücksicht zu nehmen auf die wirtschaftlichen Interessen der Veranstalter und auf die Wünsche des Publikums, welches die Aufführung namhafter Operetten verlangte, „und namhafte Operetten waren durchweg jüdische Operetten“. Der Übergang zu einem rein arischen Spielplan, so der Reichsdramaturg, sei nur stufenweise zu erreichen.
Operetten rein jüdischen Ursprungs wie die Emmerich Kálmáns, hatte Schlösser sofort verboten. Aber auf Werke arischer Komponisten mit jüdischen Librettisten, etwa die Operetten von Johann Strauß, Carl Millöcker, Franz v. Suppé und Carl Zeller, so der Reichsdramaturg in seinem Schreiben weiter, könne man einstweilen nicht verzichten. Dies gelte ebenso für die Werke von Franz Lehár. In jedem Fall sei noch viel Arbeit zu leisten. „Die Erfahrungen haben gezeigt, dass die Bühnenleitungen nur zu gern aus Bequemlichkeit immer wieder jüdische Operetten zur Genehmigung vorlegen. Ohne energischen Widerstand wäre ein Ende dieser Versucher nicht abzusehen.“
Während der Hamburger Reichstheatertagung machten die privaten Theaterdirektoren im Juni 1935 auf die schlechte wirtschaftliche Lage ihrer Häuser aufmerksam und forderten deshalb die Freigabe wenigstens einer Kálmán- und einer Leo-Fall-Operette pro Spielzeit. Dies wurde vom Ministerium nicht bewilligt. Erfolgreicher in seinem Widerstand war das Stadttheater Nürnberg, das auch 1935 noch weiterhin Leo Falls Operette „Die Rose von Stambul“ auf dem Spielplan hatte. Auf den Protest des Propagandaministeriums antwortete der Intendant des Hauses, das Stück werde mit ausdrücklicher Genehmigung des Gauleiters Julius Streicher gespielt. Obwohl dieser als Herausgeber des Hetzblattes „Der Stürmer“ im NS-Staat zu den vehementesten Judengegnern gehörte, setzte er sich für das Werk von Leo Fall ein und ebenso für die Operetten „Schwarzwaldmädel“ (Leon Jessel), „Die Försterchristl“ (Georg Jarno) und „Das Dreimäderlhaus“ (Heinrich Berté). Trotz des geltenden Aufführungsverbots standen diese sonst verbotenen Werke deshalb auch in der Saison 1935/1936 auf dem Nürnberger Spielplan. Empört wies die Reichsdramaturgie das Nürnberger Theater in einem Gutachten auf die Brisanz der genannten Werke hin: „Gerade diese drei Operetten enthalten das gefährlichste Gift, da sie in die eigensten Bezirke des deutschen Menschen vorstoßen. In ‚Försterchristl‘ und ‚Schwarzwaldmädel‘ wird der deutsche Wald, die deutsche Landschaft in geradezu ekelerregender Weise verkitscht und versüßlicht. Durch diese beiden Machwerke würde der Geschmack eines kritiklosen Publikums für jedes echte Volksstück restlos verdorben.“
Wegen des anhaltenden Konflikts mit dem Nürnberger Theater besprach Goebbels die Angelegenheit sogar mit Hitler. Dieser entschied, dass der Gauleiter das letzte Wort behalten solle. Da Julius Streicher vor allem Jessels Operette „Schwarzwaldmädel“ liebte, blieb sie weiter auf dem Spielplan. Wie man hört, waren in der Stadt der Reichsparteitage die regelmäßigen Aufführungen von Wagners „Meistersingern“ oft nur spärlich besucht, während das Publikum immer wieder zum „Schwarzwaldmädel“ drängte. Nach dem 6. Juli 1937 durfte diese Operette aber auch in Nürnberg nicht mehr gegeben werden.
Das Hitler-Regime wollte das deutsche Kulturleben von allen jüdischen Einflüssen „säubern“, weshalb es einige der beliebtesten Operetten jüdischer Künstler sofort verbot.
Hans Severus Ziegler, der Intendant des Weimarer Nationaltheaters, wusste, wie beliebt die Operetten der jüdischen Komponisten Paul Abraham, Emmerich Kálmán und Leon Jessel beim Publikum waren. Um solche Werke als „undeutsch“ zu diffamieren, präsentierte er sie ab Mai 1938 in der von ihm initiierten Düsseldorfer Ausstellung „Entartete Musik“ unter der Überschrift „Jüdisches Theater von einst im Jazz-Rhythmus“. Obwohl auch in den Operetten jüdischer Komponisten weiterhin der Wiener Walzer eine große Rolle spielte, unterstellte er damit eine Seelenverwandtschaft der „Nicht-Arier“ zu „Negermusik“. Er appellierte an den „Rasseninstinkt“ der Deutschen und machte deshalb einen schwarzen Jazzmusiker mit Judenstern zum Symbol seiner Ausstellung. Schon früher hatte Ziegler gefordert, die Produkte jüdischer Komponisten vorzugsweise durch die „klassischen“ Operetten aus dem Wien des 19. Jahrhunderts zu ersetzen, also durch die Walzer-Operetten von Franz v. Suppé, Johann Strauß, Carl Millöcker sowie durch die neueren Werke Franz Lehárs. Ziegler wünschte sich eine „Veredelung“ der Operette, ihre Annäherung an die Oper wie bei Lehár. Er setzte in Weimar deshalb gerne Lehárs „Land des Lächelns“ auf das Programm, wobei er den Namen des im KZ Buchenwald inhaftierten jüdischen Librettisten Fritz Löhner-Beda verschwieg. Richard Strauss war über diese Repertoire-Entscheidung nicht glücklich, wie sich Zieg-ler erinnerte: „Wenige Wochen nach der Ausstellung kam Richard Strauss nach Weimar. Er meinte, wir hätten in der Ausstellung den ganzen Franz Léhar vergessen – das sei die Entartung der Operette!!“ Ziegler kommentierte diese Äußerung von Strauss so: „Dem Léhar – unter uns – hat er die ‚Lustige Witwe‘ nie verzeihen können, die gleichzeitig mit dem ‚Rosenkavalier‘ herauskam und natürlich das große Geschäft machte!!“
Emigrantenschicksale
Obwohl in den meisten Operetten damals der Walzerrhythmus dominierte, hatte der aus jüdischer Familie stammende Emmerich Kálmán schon 1921 in seiner „Bajadere“ einen Shimmy verwendet. Bruno Granichstaedten brachte 1925 in seiner Operette „Orlow“ eine Jazzband auf die Bühne, welche Shimmy, Blues und Boston spielte. Der Nichtjude Ernst Krenek machte 1927 in „Jonny spielt auf“ einen Jazzmusiker sogar zum Opernhelden. Diesen Trend setzte Kálmán mit seiner „Herzogin von Chicago“ fort, die im April 1928 in Wien herauskam. Er integrierte in seine neue Operette jetzt den Charleston, den Josephine Baker zwei Jahre zuvor nach Europa gebracht hatte.
Der aus Ungarn stammende Paul Abraham, der erst 1930 nach Berlin gekommen war, knüpfte daran an. Mit seinen Revueoperetten „Die Blume von Hawaii“ und „Ball im Savoy“ feierte er allergrößte Erfolge, gefiel doch dem Publikum neben der witzigen Handlung auch die Mixtur verschiedener musikalischer Stilelemente von Jazz bis Csárdás. Zu den Mitwirkenden gehörte hier ein amerikanischer Jazzsänger namens Jim Boy. Laut Altmanns „Opernstatistik“ gab es für „Die Blume von Hawaii“ in der Spielzeit 1931/1932 1.725 Aufführungen und 1932/1933 immerhin noch 682. Nach dem Verbot der „Blume von Hawaii“ verließ Abraham schnell Berlin, den Ort seiner größten Erfolge. Er kehrte nach Budapest zurück, wo er einige neue Werke herausbrachte.
Zu den jüdischen Operettenkomponisten, die 1933 aus Berlin flohen, zählte auch Oscar Straus. Er hatte in der deutschen Hauptstadt bei Max Bruch studiert und danach als musikalischer Leiter des literarischen Kabaretts Überbrettl unter anderem mit Arnold Schönberg zusammengearbeitet. Angeregt durch den sensationellen Erfolg von Franz Lehárs „Lustiger Witwe“ schuf er 1907 seine Operette „Ein Walzertraum“. Nach dem Weltkrieg komponierte Straus in Berlin Operetten für die Diva Fritzi Massary, unter anderem „Der letzte Walzer“ und „Eine Frau, die weiß, was sie will“. Wegen seiner jüdischen Herkunft verließ er 1933 Berlin und übersiedelte in seine Sommervilla im österreichischen Bad Ischl, der Sommerresidenz der Operettenkollegen Johann Strauß, Franz Lehár, Leo Fall und Emmerich Kálmán. Hugo Hirsch, 1884 in der Provinz Posen geboren, war ebenfalls zum Musikstudium nach Berlin gekommen. Hier wurden seine Operetten „Der Fürst von Pappenheim“, „Der blonde Traum“ und das Lustspiel „Fräulein Mama“ so oft gespielt, dass Hirsch von den Tantiemen leben konnte. Hitlers Machtergreifung zwang ihn 1933 zur Flucht nach London.
Ralph Benatzky war 1926 in die Reichshauptstadt gezogen. Zusammen mit Robert Stolz und Bruno Granichstaedten sowie dem Textautor Robert Gilbert schuf er 1930 die Operettenrevue „Im Weißen Rössl“, die ein Sensationserfolg wurde. Obwohl Benatzky nicht jüdischer Herkunft war, befürchtete er Schwierigkeiten wegen seiner jüdischen Ehefrau, zumal die NS-Presse auch ihn als Juden bezeichnete. Er übersiedelte deshalb bereits 1932 in die Schweiz. Während das „Weiße Rössl“ in Deutschland wegen seiner jüdischen Mitautoren bereits 1933 verboten worden war, durften andere Werke Benatzkys weiter gespielt werden.
Wien nach dem „Anschluss“
Der „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich trieb auch die sich dort aufhaltenden Operettenkomponisten Bruno Granichstaedten, Oscar Straus, Leo Ascher, Emmerich Kálmán, Robert Stolz und Joseph Beer in die Flucht.
Oscar Straus war nach Erfolgen in Zürich, Paris und Hollywood Ende 1937 nach Österreich zurückgekehrt. Der „Anschluss“ zwang ihn wenige Monate später zur Flucht. Nach einem Aufenthalt in Zürich ließ er sich in Paris nieder. Leo Ascher wurde in der Reichskristallnacht verhaftet. Nach seiner Entlassung floh er noch 1938 über Frankreich und England nach New York, wo er sich als Jurist für Urheberrechtsangelegenheiten durchschlug. Joseph Beer errang in den 1930er-Jahren Erfolge mit verschiedenen Bühnenwerken, insbesondere mit „Polnische Hochzeit“, uraufgeführt 1937 in Zürich. Nach dem „Anschluss“ floh Beer nach Paris.
Emmerich Kálmáns Operetten „Die Csárdásfürstin“, „Gräfin Mariza“ und „Die Herzogin von Chicago“ waren ab 1933 aus den deutschen Spielplänen verdrängt worden. Sogar Theodor W. Adorno hatte damals zur „Herzogin von Chicago“ geschrieben: „Es wäre vielleicht doch wichtiger, Produkte dieser Art auszumerzen, als von den Programmen Mahlersymphonien abzusetzen.“ Angesichts der wachsenden politischen Instabilität in Österreich kündigte Kálmán 1937 den Mietvertrag seines Sommersitzes in Bad Ischl. Als Jude floh er 1938 von Wien zuerst nach Zürich, dann nach Paris.
Sogar Theodor W. Adorno hatte damals zur „Herzogin von Chicago“ geschrieben: „Es wäre vielleicht doch wichtiger, Produkte dieser Art auszumerzen, als von den Programmen Mahlersymphonien abzusetzen.“
Der aus Graz stammende Robert Stolz war 1925 nach Berlin übergesiedelt, wo 1930 der Film „Zwei Herzen im Dreivierteltakt“ durch seine Musik zum Welterfolg wurde. Die gleichnamige Operette kam im September 1933 in Zürich zur Uraufführung. Auch am „Weißen Rössl“ war Stolz beteiligt gewesen. Obwohl dieses Werk verboten wurde, war der Komponist sonst nicht von Verfolgungsmaßnahmen betroffen, denn Stolz war wie Benatzky Nichtjude. Da er das neue Regime aber ablehnte, war er 1936 von Berlin nach Wien übersiedelt. Bei mehreren Autofahrten hatte er dabei in seiner großen Limousine mehreren verfolgten jüdischen Kollegen zur Flucht nach Österreich verholfen. Kurz nach dem „Anschluss“ floh Robert Stolz selbst nach Paris.
Treffpunkt Paris
Die französische Hauptstadt wurde vorübergehend zu einem Treffpunkt aus Deutschland und Österreich vertriebener jüdischer Künstler. Schon vor Stolz hatten seine Kollegen Kálmán, Straus und Beer hier Zuflucht gefunden. Stolz und der Textautor Alfred Grünwald wurden bei Beginn des Zweiten Weltkriegs als „feindliche Ausländer“ interniert. Die polnische Jüdin Yvonne Louise Ulrich, seine spätere Frau „Einzi“, die er in Paris kennengelernt hatte, verhalf Stolz dank ihrer guten Kontakte zur Entlassung aus dem Internierungslager und danach zur Emigration nach New York.
Obwohl Kálmán von der Internierung verschont blieb, fühlte er sich nach dem Kriegsbeginn in Frankreich nicht mehr sicher. Vorsichtshalber ließ er sich und seine Familie in einer Pariser Kirche katholisch taufen. Am 20. März 1940 bestieg er in Genua ein Schiff, das ihn in die USA brachte. Der Einmarsch deutscher Truppen in Paris im Juni 1940 zwang auch die übrigen exilierten Künstler erneut zur Flucht. Oscar Straus zog in das noch unbesetzte Südfrankreich, wo er mehrere Monate auf ein Visum für die USA wartete. Joseph Beer floh nach Nizza im nicht besetzten Teil Frankreichs. Da es auch dort keine Sicherheit gab, ging er 1942 in ein Versteck und überlebte so den Krieg. 1987 ist Beer in Nizza gestorben. Auch Hugo Hirsch konnte zusammen mit seiner nichtjüdischen Frau in Frankreich sein Leben retten. Er kehrte nach Deutschland zurück, wo zwei seiner Operetten verfilmt wurden. Dennoch war Hirsch fast vergessen, als er im August 1961 in West-Berlin starb.
Zuflucht in den USA
Wegen der militärischen Erfolge der deutschen Wehrmacht in ganz Europa gab dort fast kein Land mehr den geflohenen Juden Sicherheit. Die besten Überlebenschancen boten die USA, die allerdings nur eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen aufnahmen.
Robert Stolz, der im April 1940 in New York ankam, war in Hollywood mit zwei Filmen erfolgreich, am Broadway als Produzent. Seine Bearbeitung von Lehárs „Lustiger Witwe“ füllte ebenso die Kassen wie von ihm dirigierte Konzerte unter dem Titel „A Night in Vienna“. Trotzdem kehrte Stolz 1946 nach Wien zurück, wo er wieder seine alten Titel propagierte. Wesentliche Unterstützung kam von seiner Frau Einzi, die sich als geschickte Managerin erwies. 95-jährig ist Robert Stolz 1975 bei Plattenaufnahmen in Berlin gestorben. Oscar Straus verdiente sich seinen Lebensunterhalt in den USA als Dirigent eines Konzertprogramms „From Strauß to Straus“, mit dem er in vielen Städten gastierte. Nachdem er 1948 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, kehrte er nach Europa zurück und nahm erneut seinen Wohnsitz in Bad Ischl. Auch hier hatte Straus wieder Glück: Seine noch in den USA vollendete Operette „Die Musik kommt“ kam noch im gleichen Jahr in Zürich zur Uraufführung.
Ralph Benatzky hatte sich in der Schweiz vergeblich um die Einbürgerung bemüht, weshalb er im Mai 1940 in die USA übersiedelte. Anders als Stolz erhielt er dort keine Aufträge und kehrte 1946 in die Schweiz zurück. Immerhin sicherte eine Neufassung des „Weißen Rössl“ ihm den Lebensunterhalt. Auch der erfolgsverwöhnte Emmerich Kálmán musste zu seiner großen Enttäuschung feststellen, dass es am Broadway kaum ein Interesse für Operetten gab. Er wandte sich deshalb 1942 mit „Miss Underground“ dem Musical zu, konnte das Werk aber nicht mehr vollenden. Erst 1949 ist der Komponist nach Europa zurückgekehrt. Ab 1951 lebte Kálmán in Paris, wo er 1953 starb.
Noch unglücklicher verlief das Schicksal Paul Abrahams. Im Februar 1939 hatte er Ungarn verlassen und nach einem Jahr in Paris schließlich in New York Zuflucht gefunden. Dort waren seine in Europa vielgespielten Werke unbekannt geblieben, so dass er auf kein Interesse stieß. Der Misserfolg in den USA machte den Komponisten seelisch krank. In seiner Verwirrung stellte er sich einmal mitten auf die Straße und dirigierte ein imaginäres Orchester. Er wurde daraufhin in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Nach mehreren Jahren wurde er schließlich als geheilt entlassen. Abraham besaß aber nur ein Besucher-Visum für die USA, so dass ihm die Abschiebung nach Ungarn drohte. Freunde verhalfen ihm schließlich 1956 zur Ausreise nach Deutschland, wo er erneut in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde. 1960 starb er in Hamburg. Die Wiederentdeckung seiner Operetten an der Komischen Oper Berlin hat Abraham nicht mehr erlebt.
Ein besonderer Fall war Leon Jessel, dessen „Schwarzwaldmädel“ von führenden Nationalsozialisten geliebt wurde. Der Komponist betrachtete sich selbst als Opfer der jüdischen Theaterdirektoren und konnte nicht verstehen, dass man ihn als Juden verfolgte. Obwohl seine neuen Werke nur noch im Ausland aufgeführt werden konnten, blieb der Komponist mit seiner nichtjüdischen Frau in Berlin. Dort starb Jessel Anfang 1942 nach Misshandlungen durch die Gestapo. Auch Edmund Eyslers 1927 in Wien uraufgeführte Operette „Die goldene Meisterin“ war von vielen Nazis verteidigt worden. Der Komponist war deshalb noch im selben Jahr zum Wiener Ehrenbürger ernannt worden. Möglicherweise wegen seiner Ehrenbürgerschaft konnte er die Nazizeit, geschützt durch Verwandte und Freunde, in Wien überleben. Zu seinem 75. Geburtstag erhielt Eysler 1979 den Ehrenring der Stadt und bald darauf ein Ehrengrab.
Bis heute hat die deutsche Operette die Verluste durch die 1933 begonnenen „Säuberungen“ nicht überwunden. Gerade jüdische Komponisten und Textautoren hatten für das kreative Potenzial gesorgt, das sich in der multikulturellen Atmosphäre von Berlin und Wien entfalten konnte, in anderen Kultur- und Sprachbereichen jedoch auf viel weniger Resonanz stieß. Erst in den letzten Jahren kam es zu erfolgreichen Wiederbelebungen.
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