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Kulturpolitik

Noch ist es ein Flickenteppich

Nachhaltigkeit an deutschen Bühnen

Die mit dem Angriffskrieg Russlands einhergehenden wirtschaftlichen Sanktionen der EU und das als Reaktion verhängte Gasembargo haben dazu geführt, dass in Deutschland über die Energieversorgung neu nachgedacht werden muss. Jetzt ruft die Bundesregierung private Haushalte wie Wirtschaftsbetriebe dazu auf, Strom und Gas zu sparen. Der Appell, mit Ressourcen nachhaltig umzugehen, richtet sich auch an die deutschen Theater und Bühnen und das nicht erst seit Ende Februar 2022. Doch wie können Akteure in der Kultur handeln, um Nachhaltigkeit in ihrem Betrieb wirksam durchzusetzen? Welche Maßnahmen und konkreten Projekte gibt es, und wie tiefgreifend ist der Handlungsbedarf bei den Bühnen bereits angekommen?

Nachhaltiges Bühnenbild bei „Eurotrash“ am Hamburger Thalia Theater . Foto: Krafft Angerer

Nachhaltiges Bühnenbild bei „Eurotrash“ am Hamburger Thalia Theater . Foto: Krafft Angerer

Es hat sich in unserer Gesellschaft fest verankert, dass – bevor gehandelt wird – zunächst Absichtserklärungen das angestrebte Ziel untermauern. Die bedeutendste ist die Agenda „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen, in der 17 universelle Ziele für eine nachhaltige Entwicklung bis in das Jahr 2030 formuliert sind. Diese Agenda, an der sich einige Kulturinstitutionen orientieren, zum Beispiel das Staatsschauspiel Dresden, ist in verschiedene Ebenen unterteilt, Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft, und umfasst Aspekte von Bekämpfung von Armut und Hunger über die Frage nach Geschlechter-Gleichheit und hochwertiger Bildung bis hin zu Nachhaltigkeit in Konsum und Produktion sowie Maßnahmen zum Klimaschutz. Letztere sind für Deutschland sicherlich die Punkte mit besonders großem Nachholbedarf, wobei man die Frage stellen darf, inwiefern einige der übergeordneten Ziele überhaupt von der Kultur durchgesetzt werden können.

Ein branchenspezifisches Positionspapier ist die durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte „Nachhaltigkeits-Deklaration für den Kulturbereich“, die sich ebenfalls auf die UN-Charta bezieht und Grundsätze wie Leitsätze zum selbstverpflichtenden Agieren formuliert. Zu deren Erstunterzeichnern gehören unter anderem die Wuppertaler Bühnen und die Württembergische Philharmonie Reutlingen. Das generelle Problem gerade dieses Bekenntnispapiers ist, dass wenig Konkretes angesprochen wird und dass es von Seiten der kulturellen Akteure zumindest schlecht an die Öffentlichkeit kommuniziert wird. Die guten Absichten versanden in wenig aussagekräftigen Texten.

Wirksamer erscheinen daher breit angelegte Veranstaltungen mit Seminaren und Workshops, die die Einrichtungen über Wissenstransfers zur „Weiterbildung“ befähigen, beispielsweise am 11. und 12. November 2022 in Lausanne.

Das Förder- und Netzwerkprojekt „m2act“ lud gemeinsam mit der Université de Lausanne und weiteren Organisationen zu einer Veranstaltung ein, die „eine Plattform für Kulturschaffende und Nachhaltigkeitsexpert*innen ist und Wissensaustausch, Vernetzung und Zusammenarbeit rund um das Thema Nachhaltigkeit in den Darstellenden Künsten in den Fokus stellt“, so die Veranstalter. Die dabei vertretenen zahlreichen Organisationen und Referenten stammten aus unterschiedlichsten Bereichen der Kultur und setzen sich in konkreten Projekten und Ideenansätzen für einen ökologisch nachhaltigeren Kulturbetrieb (Wirtschaft ohne Kohlenstoff, pflanzenbasierter Gastronomiebetrieb, etc.) ein.

So war auch das Projekt „StuFF in Cycles“ vertreten, das durch Nadia Fistarol, Bühnenbildnerin und Leiterin des Praxisfeldes Bühnenbild an der Zürcher Hochschule der Künste, und Barbara Ehnes, Bühnenbildnerin und Professorin für Bühnen- und Kostümbild an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, ins Leben gerufen wurde. Kern des Projekts ist das Erstellen eines Open-Source-Katalogs umweltfreundlicher Materialien und wiederverwertbarer Strukturen, um den Wegwerfkreislauf in Theatern zu beenden und Theaterschaffende auf die bereits existierenden Zukunftstechnologien aufmerksam zu machen.

Einblicke in die Arbeit der Bühnenbildnerinnen konnten Theaterstudierende und -schaffende am 4. September in einer Podiumsdiskussion zwischen Fistarol und Ehnes mit dem Werkstattleiter der städtischen Bühnen Frankfurt, Hinrich Drews, und dem Designer und CEO des Zellulose-Technologie-Start-Ups „Zelfo“, Richard Hurding, erhalten, die im Deutschen Nationaltheater Weimar im Rahmen des Kunstfestes 2022 abgehalten wurde. Hurding stellte einige bereits existierende, nachhaltige Werkstoffe vor, die aus Ausgangsstoffen hergestellt werden wie Orangenschalen und Tomatenstängeln, aber auch einen 3D-Drucker-fähigen Kunststoff, der aus einem Abfallprodukt des Altpapierrecyclings entsteht, dem sogenannten „Schlamm“. Der in Schwedt produzierende Unternehmer erwähnte, dass er keine Probleme habe, Ausgangsmaterialen zu finden. Ortsansässige Firmen, wie die Papierfabrik Leipa, könnten ihm mehr liefern, als er verarbeiten kann. Das Problem sei momentan noch die Wirtschaftlichkeit. Jenseits des ökologischen Faktors liegt in den Zukunftsmaterialien ein künstlerisches Potenzial. So berichtete Ehnes von einem Pilzkomposit-Material – ein Hanfsubstrat, das mit Pilzen geimpft wird und wachsen kann. Dessen Oberflächenstruktur und Farbe könne je nach zugegebener Nährstofflösung beeinflusst werden. Wichtig sei letztlich auch vom Bedürfnis loszukommen, für jede Produktion ein völlig neues Bühnenbild entwerfen zu müssen. Man müsse Bühnen entwerfen, die leicht wieder auseinanderbaubar seien und Bühnenteile unter den Bühnenbildnern austauschbar machen, argumentiert Fistarol.

Im Praktischen kann man Ehnes nachhaltiges Bühnenbild in Produktionen wie „Eurotrash“ erleben, derzeit am Thalia-Theater in Hamburg zu sehen. Ehnes‘ Bühnenbild wird hier wie folgt beschrieben: „Sie hat eine Wendeltreppe gebaut, die sich dynamisch in die Höhe schraubt. Ins Nichts. Eine Konstruktion, die ganz auf Nachhaltigkeit setzt. Auf Wiederverwertbarkeit. Auf den Kreislauf der Dinge. Das Treppengerüst besteht aus alten Stahlrohren, die im Theater zuvor Vorhänge und Technik trugen. Das Geländer ist aus Hanfseilen gefertigt, die früher als Handzüge dienten. Und die Stufen sind aus Parkettplatten gesägt, die im Stück ‚Ode an die Freiheit‘ verwendet wurden.“

Sehr wirksam sind letztlich auch Werkzeuge zur Ermittlung des eigenen CO2-Fußabdrucks. So ermittelte unter anderem das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen mithilfe des kostenlosen Tools der NGO „Juliette’s Bicycle“ bereits für die Spielzeit 2019/2020 seine Bilanzen, um Einsparpotenziale besser erfassen zu können. Berücksichtigt wurden neben Energie, Wasser und Abfall auch die Reisetätigkeiten der Besuchenden, Gastierenden und des Personals. Den größten Sektor bildete dabei mit 70 Prozent des Gesamtaufkommens die Energie, deren Umstellung von fossiler Gas-Energie auf Fernwärme bereits zu Verbesserungen geführt habe. Darüber hinaus konnte durch Verbesserung von Abfallmanagement und Recyclingquoten auch finanzielle Entlastung geschaffen werden – ein positiver Nebeneffekt.

Ein weiterer wichtiger Sektor mit Einsparpotenzial ist die Mobilität. Hier gibt es ebenso vielfältige wie einfache Lösungsmöglichkeiten. Das Staatstheater Stuttgart hat eine Mobilitätsstrategie entwickelt, die auf folgende Maßnahmen setzt: Umstellen des Fuhrpark von Verbrenner auf Elektroantrieb, bevorzugtes Nutzen von Lasten-Pedelecs, Verlagern von Dienstfahrten von Automobil auf Personennahverkehr und Fahrrad und Setzen von Anreizen für Jobtickets. Darüber hinaus kann bei Gastspielen durch das Vermeiden von Flügen wie bei den Bamberger Symphonikern ebenfalls viel erreicht werden.

In der Summe gibt es viele Möglichkeiten, in Fragen der Nachhaltigkeit aktiv zu werden. Das größte Problem stellt dabei der Flickenteppich dar, der durch die große Anzahl an Theatern und verschiedenen lösungsorientierten Projekten und Institutionen entsteht. Abhilfe schaffen könnten übergeordnete Netzwerke, die alle Einrichtungen miteinander verbinden. Vorreiter im symphonischen Bereich ist dabei die Institution Orchester des Wandels Deutschland e.V., in der sich zahlreiche Orchester mit dem gemeinsamen Ziel der Reduktion des CO2-Fußabdrucks organisieren. Das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit, das durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien Claudia Roth gefördert wird, sieht sich als Anlaufstelle in Fragen der Betriebsökologie und fördert und kommuniziert Pilotprojekte. Daneben gibt es das Netzwerk „Performing for Future“, dem Akteure aus Stadt- und Staatstheatern sowie Freiberufler und Kulturschaffende angehören (s. O&T, 2022 Ausgabe 4+5). Gerade letzteres dient den in ihren Kulturbetrieben oftmals noch als Einzelkämpfer agierenden Personen als Plattform, um Ideen der Nachhaltigkeit ins eigene Haus zu tragen.

Aufgabe für die Zukunft wird sein, möglichst flächendeckend das bereits bestehende Wissen zu bündeln, Umweltstandards für alle Theater und Bühnen zu verfassen und vor allem eine Plattform zu schaffen, die allen Akteuren bekannt ist und auf der Austausch und Vernetzung erfolgen können.

Patrick Erb

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