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Berichte

Klinische Wagner-Etüden

Der „Ring des Nibelungen“ an der Staatsoper Unter den Linden

Der neue „Ring“ von Dmitri Tcherniakov an der Berliner Lindenoper hat sich als absurd, ja ärgerlich erwiesen, trotz einer international hochkarätigen Sängerequipe und einem, wenn auch teils viel zu laut dirigierenden Christian Thielemann als Ersatz für den erkrankten Daniel Barenboim.

Lauri Vasar (Gunther), Andreas Schager (Siegfried), Mandy Fredrich (Gutrune), Mika Kares (Hagen), Anja Kampe (Brünnhilde), Staatsopernchor. Foto: Monika Rittershaus

Lauri Vasar (Gunther), Andreas Schager (Siegfried), Mandy Fredrich (Gutrune), Mika Kares (Hagen), Anja Kampe (Brünnhilde), Staatsopernchor. Foto: Monika Rittershaus

Alles, was Wagnerphilologie und szenische Wagnerexegese an Wagners „Ring“ zu schätzen wussten: Das Werk sei eine parabelhafte Tetralogie von der Welt Anfang und Ende, es zeige das wahre Bild von der Verfassung der Welt, es sei Familiensaga, Politthriller und Mythenentwurf (aus dem Geist der Antike, in germanischer Vermummung, mit quasi Strindbergschen Problemen), politische Parabel der Gründerzeit, ein antikapitalistisches Endspiel und was noch – all das wird einem im neuen „Ring“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden, inszeniert von Dmitri Tcherniakov, vorenthalten. Tcherniakov ignoriert Wagners szenische Phantasie, auch seine Intentionen und inszeniert großzügig über das gesungene Wort hinweg. Er zeigt stattdessen das „Forschungszentrum E.S.C.H.E“, mit Stresslabor, Anatomiesaal, Büro, Verhörzimmer, Innenraum mit Baum, Beobachtungs-Emporen mit Markisen und vielen Gängen, Fahrstühlen und zwei Untergeschossen mit Versuchstieren in Käfigen sowie quasi ferngesteuerten, versklavten Goldschmieden hinter Glas. Man wohnt einem „Ring“ als Versuchslabor“ im kostümlichen (Elena Zaytseva) und bildnerischen (Dmitri Tcherniakov) Geist der 1960er-Jahre bei, soweit dies eindeutig erkennbar ist.

Castorf immerhin nahm Wagners „Ring“ als erklärtes Revolutionsstück ernst – Tcherniakov nicht. Seine klinische Etüde in modernem Dekor und Alltagsoutfit desillusioniert, ironisiert, verspießert und verzwergt Wagners Mammutwerk.

In der „Götterdämmerung“ muss jeder Regisseur Farbe bekennen, muss vom Ende her erklären, wie er Wagners „Ring“ und seine Botschaft versteht, muss sein Inszenierungskonzept plausibel beglaubigen und seine Message mitteilen. Wagners Intention ist die eines kapitalismuskritischen Weltuntergangs mit hoffnungsvollen Andeutungen auf eine bessere Menschheit, eine Gesellschaft, frei vom Fluch des Goldes, das Brünnhilde bei ihrem Opfertod den Rheintöchtern zurückgibt und damit die Ordnung der Natur wiederherstellt und Götter und Menschen erlöst, Lichtalben und Schwarzalben. Es überlebt allerdings Alberich. Die Gefahr ist nicht aus der Welt. Aber die grandiose, versöhnlich-optimistische Schlussmusik lässt keinen Zweifel an (vielleicht illusionärer) Zuversicht auf eine bessere Welt.

Tcherniakov nimmt dem Zuschauer nicht nur alle Illusionen, er raubt ihm auch jede Hoffnung. Trister, banaler, hoffnungsloser sah man den Schluss der „Götterdämmerung“ nie. Der Leichnam Siegfrieds wird von Bestattern auf dem Leichenwagen, abgedeckt mit jener Silberfolie, unter der einst Wotan seine „Wunschmaid“ in Schlaf bettete, in den hinlänglich bekannten Betonsaal des „Forschungszentrums E.S.C.H.E.“ gefahren.

In Tcherniakovs gewiss bühnentechnisch eindrucksvollen, aber sterilen, jeder Poesie abholden Inszenierung wurde Wagners Monumentalwerk jede Romantik, jeder Realismus, aber auch jede gesellschaftskritisch-optimistische Idee ausgetrieben. Tcherniakov bricht konsequent mit allen Inszenierungsklischees. Stattdessen banales Heute, überflüssige küchenpsychologische Kommentar-Einblendungen oder Videos.
Der Destruktion des Monumentalwerks im Szenischen steht die musikalische Aufwertung durch Christian Thielemanns Dirigat gegenüber. In teils ohrenbetäubender (und sängerunfreundlicher) Lautstärke zelebrierte er meist einen ungebremst monumentalen Wagnerstil (dass er durchaus auch für leise Töne einen Sinn hat, bewies er allerdings auch), der den Zuschauern schier den Verstand raubte und beispiellose Begeisterung erzeugte. Den berechtigten Ovationen für Thielemann und die Staatskapelle, die neben langsamen, mulmigen Durststrecken immer wieder einen grandiosen sinfonischen Wagner zelebrierten, vor allem in den Orchesterzwischenspielen, entsprach der gnadenlose Buh-Orkan des Publikums, dem Tcherniakov nach der „Götterdämmerung“ ausgesetzt war. Thielemann, der sich mit diesem „Ring“ als Nachfolger für Daniel Barenboim empfiehlt, zeigt sich immer wieder als kraft- und temperamentvoller Meister der „Kunst des Übergangs“ und Künstler der Klangmagie, auch wenn er nicht gerade als Anwalt einer analytisch scharfen Durchleuchtung der Partitur gelten kann. Romantisches Parfum und gefühlte Stimmung sind eher seine Sache.

Sängerisch war dieser „Ring“ durchwachsen. Der Star unter den Sängern war ohne Frage Andreas Schager als „Siegfried“, er war Pennäler, Spaßvogel, Tanzbär, Hanswurst, Kindskopf, Flegel, Pascha, Blödelheini, Möchtegern-Macho und mehr. Er tritt bis zur „Götterdämmerung“ im Jogginganzug auf, dann in Badeklamotten, bürgerlicher Alltags-Kleidung, schließlich im bordeauxfarbigen Anzug und in sportlich grünem Outfit einer „Jagdgesellschaft“, die zugleich die Handballgruppe Hagens ist. Der ersticht ihn beim Handballspiel von hinten mit dem Pfahl der Flagge des Vereins, Siegfried schleppt sich noch in das „Stresslabor“, wo er auf der Krankenhausliege verblutend sein Leben aushaucht. Alle Götter, Nornen, Rheintöchter und zahllose Statisten (Ärzte, Pfleger, Krankenhausangestellten) eilen daraufhin gemächlich herbei und machen betroffene Mine. Schagers nie nachlassende vokale Kraft (er könnte ruhig etwas weniger aufs Gaspedal treten bei seinem Organ), sein heldischer Tenor, seine immer wortverständliche Diktion sind bewundernswert. Er ist heute ein Solitär unter den Wagnertenören.

Michael Volle singt einen imposanten, klug phrasierenden, volltönenden Wotan. Er dürfte gegenwärtig konkurrenzlos sein. Auch die attraktive, jugendliche Brünnhilde von Anja Kampe übertrifft in der „Walküre“ fast alle ihre Sängerkolleginnen des hochdramatischen Fachs in der Natürlichkeit des Vortrags, enormer Strahlkraft auch bei den Spitzentönen und Wärme, schließlich auch an Wortverständlichkeit. Die „Götterdämmerungs“-Brünnhilde kann sie dann leider nur noch schreiend, nahezu wortunverständlich bewältigen.

Die Sieglinde der litauischen Sopranistin Vida Miknevičiūtė ist sensationell in Erscheinung und Stimmkraft. Die Fricka von Claudia Mahnke ist brav, der Hunding des finnischen Bassisten Mika Kares eindrucksvoll. Sängerische Wermutstropfen sind der amerikanische Tenor Robert Watson als Siegmund, er hat Kraft, aber seine Stimme ist nicht wirklich schön, oft eng geführt und zu klein, sowie Rolando Villazon als Loge. Er singt weithin unverständlich, um nicht zu sagen unschön, weiß aber durch komische darstellerische Qualitäten zu punkten.

Anna Kissjudit singt Erda (im blauen Straßenkleid) balsamisch-edel. Der Gunther von Lauri Vasar machte im hellbauen Businessanzug auch stimmlich eine virile Figur, der Alberich von Johannes Martin Kränzle überzeugte als Bariton außerordentlich, als (fast) nackter Darsteller hingegen weniger. Der Hagen von Mika Kares ist Urgestein an schwarzem Bass. Die Gutrune von Mandy Fredrich kommt als Soubretten-Blondine im Format einer spaßigen Partyschickse daher. Fasolt (Mika Kares) und Fafner (Peter Rose) singen bassprächtig. Die Rheintöchter (Evelin Novak, Natalia Skrycha und Anna Lapkovskaja) und die Nornen (Noa Beinart, Kristina Stanek und Anna Samuil) sind superb. Der Chor der Staatsoper Berlin war darstellerisch außerordentlich gefordert. Einstudiert von Martin Wright zeigte er sich wie immer bravourös.

Fazit: Dieser neue „Ring“ Unter den Linden macht nicht wirklich glücklich.

Dieter David Scholz

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