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Spätes Erinnern
Die Komische Oper Berlin erinnert mit Stolpersteinen an jüdische Künstler
Auf Initiative des Intendanten und Chefregisseurs der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, und des Förderkreises Komische Oper Berlin e.V. wurden im Januar 2015 im Vorfeld der Premiere von „Eine Frau, die weiß, was sie will!“ von Oscar Straus durch den Künstler Gunter Demnig drei Stolpersteine vor dem Haupteingang des Opernhauses verlegt. Stolpersteine erinnern inzwischen in vielen deutschen Städten an Menschen, die von den Nationalsozialisten im Dritten Reich verfolgt, deportiert und getötet wurden. Mit den drei Stolpersteinen erinnert die Komische Oper Berlin – stellvertretend für viele andere vertriebene und ermordete Mitarbeiter des damaligen Metropol-Theaters – an drei Menschen, die in ganz unterschiedlichen Bereichen im Haus an der Behrenstraße gewirkt haben: Kuba Reichmann war Konzertmeister, Hans Walter Schapira Bibliothekar und Inspektor und Fritz Spira Schauspieler und Sänger.
Stolpersteine an der Komischen Oper. Foto: Karin Schmidt-Feister
1927 erfreuen „Die schöne Helena“ und 1929 „Ritter Blaubart“ von Jacques Offenbach die Zuschauer im Metropol-Theater Berlin in der Behrenstraße (seit 1947 Komische Oper). „Oscar Straus, der Wiener, ist künstlerisch Berliner!“, reimt die Presse nach der Uraufführung von „Marietta“ im September 1929. Richard Tauber betört an der Seite von Gitta Alpár und Vera Schwarz mit tenoralem Schmelz in Paul Abrahams jazzigem Foxtrottbouquet „Die Blume von Hawaii“ (1931 uraufgeführt in Leipzig und im gleichen Jahr am Metropol als Berliner Erstaufführung herausgebracht, 1932 verfilmt). „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“, fragt kokett singend Fritzi Massary in Oscar Straus´ Operettenknüller „Eine Frau, die weiß, was sie will!“ (uraufgeführt am 1. September 1932, Textbuch: Alfred Grünwald), Mischa Spolianskys „Hundert Meter Glück“ (1933) lockt das Publikum ins Metropol-Theater, während die Theaterunternehmer Fritz und Alfred Rotter am 23. Dezember 1932 im extra gemieteten Großen Schauspielhaus Paul Abrahams „Ball im Savoy“ (Libretto: Alfred Grünwald, Fritz Löhner-Beda) mit ihren Metropolstars, allen voran Rosy Barsony als moderne Frau von Welt, und dem Komponisten am Pult zur umjubelten Uraufführung bringen und en suite spielen.
1934 wird niemand der hier Genannten, der gefeierten Sängerinnen und Sänger, Komponisten, Librettisten und Theaterleiter mehr am Metropol-Theater, einer Bühne in Berlin oder an einer Bühne im NS-deutschen Reich arbeiten können. Meister Offenbach ist totgesagt. Sie alle sind Juden. Am Ende von zwölf Jahren deutscher NS-Herrschaft steht der schlimmste Zivilisationsbruch der Menschheitsgeschichte. Das „Deutsche Bühnen-Jahrbuch“ (DBJ) weist 1934 in seinem 45. Jahrgang keine namentlichen Einträge für Engagements dieser und vieler anderer Künstlerinnen und Künstler als Darstellende Mitglieder, Musiker, Tänzer, Bühnen- und Musikvorstände sowie Mitarbeiter in Technik, Büro und Theaterkasse mehr aus.
Seit Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 unterstehen alle Theater dem Reichsminister für Propaganda, Joseph Goebbels. Das „Reichskulturkammergesetz“ (vom 22.9.1933) und seine Durchführungsbestimmungen (1.11.1933) traten zum 15.11.1933 in Kraft. Jeder Künstler muss fortan Mitglied einer Fachschaft sein; diese ist die Voraussetzung, um im Deutschen Reich arbeiten zu können. Jüdischen Künstlern wird gekündigt.
Im „Theatergesetz“ vom 15. Mai 1934 heißt es: „Künstlerisches und sonstiges Personal des Theaters ist zu treuer Gefolgschaft (…) verpflichtet. Die Anstellung von Bühnenleitern, Intendanten, Theaterdirektoren, Ersten Kapellmeistern und Oberspielleitern bedarf der Bestätigung durch den Minister.“ Die Durchführungsbestimmungen traten am 18. Mai 1934 in Kraft.
Der politischen Gleichschaltung und Eliminierung der Juden galt das „Reichskulturkammergesetz“ (22.9.1933) unter Federführung von Propagandaminister Joseph Goebbels. Die Verweigerung der Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer (RKK, 250.000 Mitglieder) mit ihren diversen Fachschaften (darunter die Reichstheaterkammer und die Reichsmusikkammer) aus politischen oder rassischen Gründen bedeutete das abrupte Ende der beruflichen Karriere. Eine Nichtaufnahme oder Ausschluss bedeutete faktisch ein Berufs- und Veröffentlichungsverbot, und dies galt von Beginn an ausdrücklich für alle Personen ohne ausreichenden „Arier“-Nachweis. Aber auch andere nicht-regimekonforme Künstler wie die sogenannten „Kulturbolschewisten“, deren Werke als zu modern oder als „entartet“ gebrandmarkt wurden, zählten zu den Opfern der Personalpolitik der Reichskulturkammer. Der totale Austausch der Eliten wurde sowohl gesetzgeberisch als auch mit brutaler Gewalt vollzogen. Österreich und die Tschechoslowakei boten vielen Künstlern für fünf Jahre Zuflucht und teilweise Arbeitsmöglichkeiten. Doch die NS-Herrschaft und ihre Gesetzgebung breiteten sich europaweit aus, erst in Österreich, dann in der Tschechoslowakei.
Hunderttausende Menschen, vor allem Juden und aktive Antifaschisten, flüchteten; besonders viele Künstler emigrierten zunächst nach England; unter ihnen Lotte Lehmann und Tenor-Superstar Richard Tauber – der im Adlon bespuckt wurde und via Wien 1937 nach London emigrierte – bis hin zum Theater-Arzt im Metropol-Theater, Albert Ullmann, der 1936 die Flucht nach New York schaffte, aber dort bereits 1942 verstarb.
Die Komische Oper Berlin. Foto: Gunnar Geller.
Kuba Reichmann, Künstler aus dem Metropol-Ensemble, gelang die Einreise in die USA. Reichmann arbeitete von 1931 bis 1933 als Konzertmeister am Metropol-Theater Berlin und ist als Musikvorstand im DBJ aufgeführt. Eine Spur seines Emigranten-Lebens findet sich auf der „Liste der ausländischen Passagiere“ des Passagierdampfers „MS Batory“ als Crew-Mitglied im Jahr 1936. Er war einer von insgesamt drei Musikern an Bord des Schiffes für eine Kurz-Kreuzfahrt von New York via Bermuda nach New York. Der Eintrag auf dieser Liste lautet: Reichmann, Kuba, musician, 33, male, single, able to read and to speak
English, Nationality: stateless, Place of birth: Germany, Last permanent residence: USA, N.Y.
Der Eintrag „staatenlos“ bedeutet, dass Kuba Reichmann einer von rund 40.000 Menschen ist, die ihre politischen Rechte, ihren diplomatischen Schutz verloren und deren Vermögenswerte beschlagnahmt wurden. Die Ausbürgerung erfolgte nach dem „Ausbürgerungsgesetz“ vom 14. Juli 1933. Ab 1936 begann der NS-Staat eine Politik der Massenausbürgerung. Betroffen waren nunmehr hauptsächlich die ins Ausland geflüchteten jüdischen Verfolgten des Regimes. Mit dem Entzug der Staatsangehörigkeit schaltete das NS-Regime Juden und Oppositionelle „legal“ aus.
Hans Walter Schapira wurde am 17.05.1907 in Berlin-Tiergarten geboren. Nach einer kaufmännischen Lehre begann der junge Mann am wiedereröffneten Metropol-Theater als Sekretär und Bibliothekar. Von 1929 bis 1933 gehörte er zum namentlich aufgeführten Ensemble im DBJ. Hans Walter Schapira war auch Kassierer und Theaterdiener; 1932 und 1933 war er als Inspektor tätig. Auch sein Name ist nach 1934 an keinem Theater im Deutschen Reich im DBJ mehr vermerkt. Er war Jude und verlor seine Arbeit. Recherchen ergaben, dass Schapira seit August 1939 jüdischer Patient in den Heilstätten Berlin-Wittenau war. Die Beurkundung seines Sterbedatums und Sterbeortes in der historischen Einwohner-Meldekartei Berlin (lückenhaft im Landesarchiv Berlin vorhanden) lautet: Sterbedatum u. -ort: 27.12.1940 in Chelm/Chelmno. Dieser Ort bei Lublin ist eine NS-Tarn-Adresse im Rahmen der T4 „Euthanasie“-Mordaktionen gegen „unwertes“ Leben und jüdische Patienten in Heilanstalten. Die absichtliche Falschbeurkundung von Sterbeort und Sterbedatum war systematischer Teil der perfiden NS-Praxis: zum einen, um die Angehörigen über das Ausmaß des Mordes im Unklaren zu lassen und zum anderen, um die jüdische Wohlfahrt mit jedem weiteren Monat angeblicher Pflege eines Juden in einer psychiatrischen Einrichtung weiter finanziell zu schröpfen (im Falle von Hans Walter Schapira sechs Monate).
Das Alte Zuchthaus Brandenburg wurde als 2. NS-„Euthanasie“-Anstalt der Aktion T4 als Tötungsanstalt eingerichtet und verschleiernd als „Landes-Pflegeanstalt Brandenburg a.H.“ bezeichnet. Im Februar 1940 begannen die Nazis hier mit der planmäßigen Tötung von Menschen durch Kohlenmonoxid. Im Jahr 1940 wurden 9.772 Menschen erstickt. Hans Walter Schapira ist einer von ihnen. Er wurde am 9. Juli 1940 nach Brandenburg „verlegt“ und dort am gleichen Tag ermordet.
Dagmar Manzel und Max Hopp in der Neu-Auflage von Oscar Straus‘ „Eine Frau, die weiß, was sie will!“ an der Komischen Oper Berlin. Foto: Iko Freese/drama-berlin
Ein Eintrag im Gedenkbuch Berlins (Seite 1.230) gilt Spira, Fritz. Am 1.8.1877 in Wien als Sohn eines Antiquitätenhändlers geboren, sollte Jacob Fritz Spira Kaufmann werden. Doch gegen den Willen der Eltern besuchte er die Schauspielschule in Wien und trat 1897 am Stadttheater Olmütz als jugendlicher Liebhaber sein erstes Engagement an. Dieser Rollentypus und der des Bonvivants verließen ihn in den folgenden Jahren nicht mehr. Seit 1901 war Fritz Spira auch in Berlin als Bühnendarsteller und Film-Schauspieler gefragt. 1905 kam er ans Berliner Lustspielhaus, 1906 ans Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, 1908 ans Residenztheater in Frankfurt am Main. Nach dem Ersten Weltkrieg sang und spielte er wieder in Berlin – so 1923 an der Komischen Oper (Friedrichstraße 104), 1928 am „Theater im Admiralspalast“ (Friedrichstraße 100), als freier Schauspieler an den „Rotterbühnen“ und beim Film. Er betätigte sich auch als freier Theater-Unternehmer und verkörperte seit 1910 Neben- und Hauptrollen im Stumm- und Tonfilm. Im Deutschen Bühnenjahrbuch von 1930 bis 1933 ist Fritz Spira als darstellendes Mitglied des Metropol-Theaters Berlin aufgeführt. Längst hatte er das Fach gewechselt und trat hier als Charakterdarsteller und Père noble auf. Seit 1905 war Spira mit der Berliner Schauspielerin Charlotte Andresen verheiratet. Sie hatten zwei Töchter, die später selbst bekannte Schauspielerinnen wurden. Zum Schutz der Familie ließ sich der jüdische Schauspieler von seiner nicht-jüdischen Frau scheiden und flüchtete 1934 vor dem Naziregime nach Polen, spielte am deutschsprachigen Stadttheater Bielitz, war hier auch Oberspielleiter. Ab Mitte 1935 lebte er wieder in Wien, wo er als Jude kaum noch Arbeitsmöglichkeiten fand. Nach dem Anschluss Österreichs bemühte er sich vergeblich, ins Ausland zu entkommen. Fritz Spira wurde am 3.3.1941 im Rahmen der so genannten „Polen-Aktion“ (der Enteignung und Vertreibung von 10.000 Wiener Juden) deportiert. Er wurde vermutlich 1943 im KZ Ruma in Serbien ermordet.
Die drei Stolpersteine vor dem Haupteingang der Komischen Oper sollen künftig an Kuba Reichmann, Hans Walter Schapira, Fritz Spira und die vielen anderen erinnern, die Berlin in der Weimarer Republik bis zur Machtübergabe an die Nationalsozialisten zu einer pulsierenden weltoffenen Kulturmetropole machten.
Karin Schmidt-Feister |