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Oper als Reizstoff
Michail Glinkas „Iwan Sussanin“ in Frankfurt
Die Heldentat des Bauern Iwan Sussanin, der 1612 einen entscheidenden Teil der polnischen Armee bewusst in die Irre führte, dafür erschlagen wurde, aber dadurch die Eroberung Moskaus verhinderte, gehört zur russischen Helden- und auch Literaturgeschichte. Da Sussanins Opfer auch den Aufstieg der Romanow-Dynastie als Zaren ermöglichte, wurde schon 1836, bei der Uraufführung von Michail Glinkas Oper, auf Wunsch Zar Nikolaus I. das Werk in „Ein Leben für den Zaren“ umbenannt. Diese Verflechtung von Oper und Politik griff das Frankfurter Team engagiert auf.
Denn die In-Dienst-Nahme der Glinka-Oper ging im Stalinismus weiter. Parallel zur Vereinnahmung und Umdeutung von „Tosca“ in „Kampf für die Kommune“, von „Rienzi“ in „Babeuf“, der „Hugenotten“ in „Dekabristen“, ja sogar „Dornröschen“ in die „Die Sonnen-Kommune“ wurde aus Glinkas „Leben für den Zaren“ in den Jahren um 1930 „Für Hammer und Sichel“. Der von Schostakowitsch als „mediokrer Dichter und großer Lump“ eingestufte Sergej Gorodetzki schrieb 1936 eine neue Textfassung für das Finale, die bis 1989 im gesamten Ostblock verbindlich war. Dieses Jubelfinale des Werkes erhob Boris Jelzin von 1990 bis 2000 zur Nationalhymne. Mit all dem mussten und wollten Regisseur Harry Kupfer, GMD Sebastian Weigle und Dramaturg Norbert Abels produktiv kritisch umgehen.
Anton Rositskiy als Bogdan Sobinin mit Mitgliedern des Chors, des Extrachors und der Statisterie. Foto: Barbara Aumüller
Für das größtenteils im Anti-Kommunismus der Adenauerzeit groß gewordene Premierenpublikum wurde es prompt „unbequem“. Das gesamte Produktionsteam setzte den im Werk immanenten russischen Nationalismus in Beziehung zu den weit über 20 Millionen Toten, die das Land im 2. Weltkrieg zu beklagen hatte. So sind die angreifenden Polen auf der Frankfurter Bühne deutsche Wehrmachtssoldaten in weißen Tarnanzügen, die untereinander auch Deutsch singen und erst im Kontakt mit den Einheimischen ins Russische wechseln. Die verfrühte Siegesfeier in Warschau ist ein zeitgenössischer Ball der Waffenindustriellen, Kriegsgewinnler und Militärs mit Polonaise, Krakowiak und Walzer. Als Höhepunkt wird das neueste Panzer-Modell mit der Aufschrift „Berlin-Warzawa-Moskwa“ hereingerollt. Und für die finale Jubelfeier zitiert das Bühnenteam eine gleichsam auf Moskaus „Rotem Platz“ angesiedelte Parade: Die Militärs „erheben“ sich auf einem hochfahrenden Podest über das gemeine Volk, das die gebrachten Blutopfer in Form der Schuhe und Stiefel der Toten hereinträgt – und dann brechen Regisseur Kupfer und Kostümbildner Jan Tax das hohle Pathos, indem die Militärs ihre Uniformen ablegen, sich in bäuerliche Muschiks verwandeln und somit das „gemeine Volk“ Land und Sieg feiert.
Der von Kupfer gern als „Meister“ bezeichnete Chor hatte also zwischen leidenden Bauern, selbstgefälliger Society, inhumanen Soldaten und russischer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ zu wechseln – was nahtlos gelang – und herausforderte: Prompt gab es schon für die „deutschen Soldaten“ einzelne Buhs, auch betroffen verwirrtes Schweigen und am Ende für das Regieteam einen Buhsturm. Eine Premiere als Abend der unbequemen Einsichten… Glinkas Opernerstling mag für die Entwicklung der russischen Oper in vielerlei Hinsicht wegbereitend sein. Drei Akte lang enthält das Werk „schöne Stellen“, zieht sich aber auch hin. Lediglich der vierte Akt packt: mit Sussanins Opferentschluss, der durch ihn noch veranlassten Warnung der russischen Truppen durch den vom Kind zum jungen Mann reifenden Wanja und mit Sussanins brutalem Opfertod. Das meist dominierende Einheitsbühnenbild Schavernochs mit Kirchenruine und geborstenen Glocken beschwor zwar in voller Bühnenbreite etwas von „russischer Weite“, dafür fehlte aber die Wirkung, wie in Sussanins kleine, vermeintlich „heile“ Kate die kriegerische Außenwelt einbricht. Diese Bühnenweite minderte, so engagiert Sebastian Weigle mit dem Orchester Dramatik und Wirkung entfachen wollte, auch die Wirkung der Stimmen. Bravo-Wogen gab es aber für den verstärkten Chor unter Tilman Michael: eine Klangsäule des Abends. Doch als ganzes Werk bleibt Glinkas „Iwan Sussanin“ eher ein Studienobjekt denn ein Hit im Spielplan.
Wolf-Dieter Peter
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