Gefährdungspotenziale und Prävention
Bundesweite Studie zur Tänzergesundheit
Von Eileen M. Wanke, Gesa Kröger und David A. Groneberg
Anlass der Studie
Abb. 1: Körperlicher Einsatz bei Tanzschaffenden. Foto: Wanke
Tanzschaffende* werden der Gruppe der künstlerisch Beschäftigten zugeordnet und sind Künstlerinnen und Künstler und – in Abhängigkeit vom Berufsbild innerhalb dieser Berufsgruppe – Hochleistungssportlerinnen und -sportler gleichermaßen (Abb. 1). Die mit der Berufsausübung verbundenen tanzspezifischen Bewegungselemente sind mit den Bewegungsabläufen des alltäglichen Lebens nicht vergleichbar. Endgradige Gelenkstellungen und tanztechnik-bedingte Zwangshaltungen im Bereich des Muskel- und Skelettsystems, in Kombinationen mit maximalen Belastungen des Herzkreislaufsystems, sind nur einige berufsbezogene Anforderungen, die zu den täglichen Arbeitsinhalten gehören. Aufgrund des Fehlens klassischer, den Arbeitsprozess erleichternder Arbeitsmittel, wirken die Arbeitsbelastungen direkt auf den nahezu ungeschützten Körper ein. Selbst kleinere körperliche Defizite können schlecht oder gar nicht kompensiert werden und führen in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und der Tanzrichtung zu einer Einschränkung der Berufsausübung, die bis zur Berufsunfähigkeit reichen kann. Somit kommt jeder auch noch so kleinen akuten Verletzung beziehungsweise jedem chronischem Fehl- oder Überlastungsschaden eine maximale Bedeutung zu. Dies gilt nicht nur für die Therapie, sondern vor allem auch für die Prävention gesundheitlicher Probleme dieser in jeder Hinsicht exponierten Berufsgruppe.
Zwar gibt es innerhalb des professionellen Bühnentanzes stark voneinander zu unterscheidende Tätigkeitsfelder, die differenziert betrachtet werden müssen. Andererseits können arbeitsplatzbezogene Faktoren mit Gefährdungspotenzial definiert werden, die für alle gelten.
Die Stiftung TANZ Transition Zentrum Deutschland hat nun gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin, unterstützt vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie der Abteilung Prävention der Unfallkasse Berlin, eine Umfrage im Bereich aller Tanzschaffenden durchgeführt, um die Themen Gesundheitsgefährdung und Prävention im Tanzbereich mit Fakten zu untermauern.
Das Projekt
Die Betrachtung der Folgen der hohen und aus den charakteristischen Bewegungselementen resultierenden Beanspruchungen für das Bewegungssystem gehörte von jeher zu den Schwerpunkten medizinischer Studien im professionellen Bühnentanz unter Fokussierung der Tänzerinnen und Tänzer. Dementsprechend zahlreich sind die damit in Zusammenhang stehenden Publikationen seit den Anfängen der medizinischen Betrachtungen.
Während sich die Datenlage hinsichtlich akuter Verletzungen (im Sinne des Arbeitsunfallgeschehens) mittlerweile stark verbessert hat, sind detaillierte Daten zu berufsbezogenen chronischen Fehl- oder Überlastungsschäden – insbesondere hinsichtlich repräsentativer Probandenzahlen – bisher nicht ausreichend vorhanden.
Ebenso fehlen Informationen zu individuellen physischen und psychischen Aspekten sowie Verhaltensweisen (Lebens- und Ernährungsgewohnheiten, Risikoverhalten, alltags- und arbeitsbezogene Probleme, Informationsbeschaffung, Umgang mit Belastungen) der Tanzschaffenden nahezu völlig. Diese sind aber letztlich für die Risikobewertung relevanter Erkrankungen und letztlich für eine wirksame Prävention in diesen Berufsgruppen unerlässlich.
Im Fokus dieser bundesweit angelegten Studie standen somit nicht nur die Tanzenden selber, sondern vielmehr auch die angrenzenden Berufe. Es handelte sich bei der Studie um das bisher größte, bundesweit angelegte Projekt, das nicht nur das Ziel hatte, Daten zu aktualisieren, sondern vielmehr das Wissen um gesundheitliche Gefährdungen bei Tanzschaffenden als Basis für die Entwicklung von präventiven Maßnahmen zu erweitern sowie letztlich die Argumentation für eine Anerkennung von berufsbezogenen Erkrankungen zu verbessern. Die bundesweite Umfrage wurde zweisprachig im Bereich aller Tanzschaffenden durchgeführt.
Ergebnisse
Ersten Ergebnissen zufolge nahmen an der Befragung insgesamt 613 Tanzschaffende teil. Davon waren zirka 60 Prozent Lehrende und 40 Prozent professionelle Bühnentänzerinnen und -tänzer. Etwa zwei Drittel der Befragten waren weiblich. Das durchschnittliche Alter betrug 36 Jahre.
Zufriedenheit und Gesundheitsverhalten
Abb. 2: Berufsbedingte psychische Belastungen bei Tanzschaffenden in % (n=613) (Top-, Middle-, Low-box)
Nur ein Drittel aller Tanzschaffenden sind mit dem gewählten Beruf „voll und ganz“ zufrieden. Dies scheint vor allem mit der Einkommensunsicherheit und der daraus resultierenden Zukunftsangst zusammenzuhängen. Diese Faktoren stellen ganz offensichtlich so große Belastungen dar, dass die Zufriedenheit mit dem Beruf stark beeinträchtigt wird (Abb. 2).
Das tägliche Konsumverhalten von (il)legalen Substanzen (auch Alkohol) spiegelt im Großen und Ganzen jenes der „Normalbevölkerung“ wieder.
Einen Informationszuwachs im Sinne einer verbesserten Aufklärung wünschen sich die Tanzschaffenden vor allem in den Bereichen „Ernährung“ und „Gesundheitsverhalten“. Dabei handelt es sich um Bereiche, die für die Prävention berufsbedingter Probleme von großer Bedeutung sind.
Eigener Gesundheitszustand
Mehr als ein Drittel der Tanzschaffenden schätzte den eigenen Gesundheitszustand nur als befriedigend oder sogar schlechter ein, zwei Drittel immerhin als gut oder besser. Hier sind weitere Analysen erforderlich.
Erkrankungen
Abb. 3: Lokalisation chronischer Fehl- und Überlastungsschäden in % (n=613)
Etwa ein Drittel aller Tanzschaffenden leiden unter einer dem Gebiet der Allgemeinmedizin oder Inneren Medizin zuzuordnenden chronischen Erkrankung. Auch wurden häufig stressbezogene Erkrankungen, wie zum Beispiel Burn-out sowie Depression oder andere stressbezogene Symptome genannt. Mehr als vier Fünftel gaben an, unter immer wiederkehrenden orthopädischen Beschwerden zu leiden. Zu den häufigen Körperregionen für Probleme gehören die Lendenwirbelsäule, das Kniegelenk und der Fuß-Zehenbereich (Abb. 3).
Jede/r Tanzschaffende erleidet zirka drei neue chronische Fehl- oder Überlastungsschäden pro Jahr. Als Ursachen wurden vor allem die Ermüdung beziehungsweise chronische Überlastung genannt.
Insgesamt zeigen bereits die ersten Ergebnisse zahlreiche neue Aspekte, die nicht nur weitere detaillierte Auswertungen in der nächsten Zeit nach sich ziehen müssen, sondern vielmehr auch weitere Ansätze für zielgerichtete betriebliche Präventionsmaßnahmen bieten. Gleiches gilt für die berufsbedingten Erkrankungen, die Anerkennung dieser sowie die Entwicklung von Konzepten, die helfen sollen, den Körper von Tanzschaffenden gesünder erhalten zu können.
*der Begriff „Tanzschaffende“ umfasst (ehemalige) Bühnentänzer/innen, sich in der Berufsausbildung zum/r Bühnentänzer/in befindlichen Tanzschüler/innen und Tanzstudent/en/innen ab 18 Jahre, Trainingsleiter/innen, Choreograf/innen, Ballettmeister/innen, Direktorium.
Autoren der Studie:
PD Dr. Dr. med. Eileen M. Wanke (wissenschaftliche Projektleitung); Institut für Arbeitsmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin; Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Goethe-Universität, Frankfurt/Main
Gesa Kröger, Institut für Arbeitsmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. David A. Groneberg, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Goethe-Universität Frankfurt/Main
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