
Musiktheater in vielen Facetten
Die Europäische Musiktheater-Akademie in Wien
Seit 1992 macht sich die Europäische Musiktheater-Akademie
(EMA) Themen des Musiktheaters – in Wissenschaft
und Praxis – zu eigen. Über Aufgaben und Perspektiven
der Wiener Einrichtung sprach Barbara Haack mit der Generalsekretärin
der EMA, Isolde Schmid-Reiter.
Oper & Tanz: Die Europäische Musiktheater-Akademie ist
jetzt 18 Jahre alt. Welches waren die Ziele, als sie 1992 gegründet
wurde?
Isolde Schmid-Reiter: Die EMA wurde
im Zeichen der Neuorientierung in Europa im Ständetheater Prag gegründet. Sie war von
Anfang an gedacht als Plattform für Musiktheater-Wissenschaftler
und -Praktiker, anfänglich mit dem Ziel, den Partnern aus
den osteuropäischen Ländern „Hilfestellung zur
Selbsthilfe“, wie das meine Vorgängerin formuliert hat,
zu geben. Als ich 1996 zur Generalsekretärin der EMA gewählt
wurde, war es mein Bestreben, die EMA ohne „instruierenden“ Charakter,
der in den ersten Jahren mit den Musiktheatermanagement-Veranstaltungen
im Vordergrund stand, verstärkt als Forum des Austausches
zwischen gesamteuropäischer Musiktheater-Wissenschaft und
-Praxis zu positionieren. So standen in den letzten Jahren bei
unseren Tagungen theateraktuelle und dramaturgische Fragestellungen
im Mittelpunkt. O&T: Wie sind die Strukturen?
Wer steht hinter der Akademie?
Schmid-Reiter: Idealistische Menschen… Die
EMA ist ein Verein, der von einer Generalsekretärin und einem
Vorstandsteam geleitet wird und seine „Grundbedürfnisse“ aus
Mitgliedsbeiträgen
finanziert. Der Vorstand setzt sich derzeit aus elf Mitgliedern
zusammen, wobei versucht wird, möglichst unterschiedliche
Bereiche aus Wissenschaft und Praxis abzudecken. So freue ich mich,
neben Sieghart Döhring vom Forschungsinstitut für Musiktheater
Thurnau als Präsidenten und Hans Herdlein, dem ehemaligen
Präsidenten der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger
als Vizepräsidenten, so namhafte Persönlichkeiten im
EMA-Board zu haben wie den Dirigenten Bertrand de Billy, Gerhard
Brunner, den Direktor des Züricher Universitäts-Lehrgangs
Executive Master in Arts Administration, den ehemaligen Wiener
Ordinarius für Theaterwissenschaft Wolfgang Greisenegger,
den Regisseur Michael Hampe, den gerade verabschiedeten Wiener
Staatsopern-Direktor Ioan Holender ebenso wie dessen Nachfolger
Dominique Meyer, der noch als Direktor des Pariser Théâtre
des Champs-Elysées zu uns gestoßen ist, und den Ordinarius
für Musiksoziologie Mario Vieira de Carvalho von der Universität
Lissabon sowie, als jüngstes Vorstandsmitglied, den Regisseur
und Intendanten der Königlichen Oper Kopenhagen, Kasper Bech
Holten. Generalsekretariat und Vorstand agieren ohne Honorar (und ohne
Spesenvergütung…). Für die einzelnen Projekte versuchen
wir, Subventionen zu bekommen (was trotz unserer guten Reputation
immer schwieriger wird…) und institutionelle Partner zu finden,
die bereit sind, unsere Ideen auch finanziell mitzutragen.
Aktuelle
Fragestellungen
O&T: In wieweit ist der europäische Bezug als Abgrenzung
gegen andere Kulturen (Asien, Amerika etc.) zu sehen?
Schmid-Reiter: Unser Fokus liegt
derzeit hauptsächlich im
europäischen Bereich, was nicht heißen soll, dass amerikanische
Teilnehmer bei uns kein Gehör finden. Für die nächsten
Jahre ist überdies auch eine Veranstaltung mit japanischen
Partnern im Gespräch.
O&T: Sie führen regelmäßig Veranstaltungen
und Kongresse zu bestimmten Themen durch. Was ist der Impetus dieser
Veranstaltungen? Und wie kommt es zur konkreten Themen-Auswahl?
Schmid-Reiter: Wir versuchen, wie
vorhin erwähnt, bei unserer
Themenfindung auf aktuelle Fragestellungen zu reagieren, die Diskussion
um das gegenwärtige Musiktheater zu fördern und uns dafür
den geeigneten Kooperationspartner zu suchen. So haben wir zum
Beispiel, als Direktor Holender mit der Etablierung des Kinderopernzeltes
auf dem Dach der Wiener Staatsoper sein singuläres Projekt
verwirklichte, in Kooperation mit ihm dem Thema „Oper für
Kinder“ eine internationale Tagung gewidmet. Gemeinsam mit
der Wiener Volksoper wurde die „unerhörte Kunst Operette“ diskutiert,
und anlässlich der Neuinszenierung von Wagners Ring des Nibelungen
waren wir im Vorjahr abermals in der Wiener Staatsoper zu Gast,
um mit namhaften internationalen Referenten die Frage nach dessen
gesamteuropäischer Rezeption zu beleuchten.
Die inhaltliche Konzeption, die Planung und die Organisation
obliegen dabei stets dem Generalsekretariat der EMA.
Interdisziplinäres
Forum
O&T: Sind Sie so etwas wie ein Seismograph für aktuelle
Musiktheater-Themen?
Schmid-Reiter: Es würde uns freuen, wenn
wir auch auf diese Art wahrgenommen werden… O&T: Verstehen Sie sich als
ein rein wissenschaftliches Institut oder sind Sie auch im kulturpolitischen
oder musikpädagogischen
Sinne aktiv?
Schmid-Reiter: Wir verstehen uns
als ein interdisziplinäres
Forum für Musiktheater-Wissenschaft und -Praxis in all ihren
jeweiligen Spielarten. Das schließt natürlich Fragen
der Musikpädagogik genauso ein wie aktuelle kulturpolitische
Aspekte. So haben wir uns bei Kongressen, zum Beispiel in Kooperationen
mit dem Europäischen Forum Alpbach und mit der Bayerischen
Theaterakademie, auch mehrfach die Frage nach der „teuren
Kunstform Oper“ gestellt und sie von Kulturpolitikern genauso
beantworten lassen wie von Theaterpraktikern und Musiktheater-Wissenschaftlern
und sogar von Pädagogen.
EMA-Mitglieder und Tagungsteilnehmer setzen sich vorwiegend aus
Menschen zusammen, die in den verschiedensten Bereichen des Musiktheaters
arbeiten. Unsere Zielsetzung ist, sie miteinander ins Gespräch
zu bringen und, anders als bei fachspezifischen Tagungen, den interdisziplinären
Austausch zu fördern.
O&T: Der Sitz der EMA wurde
im Jahr 2009 von Thurnau nach Wien verlegt? Warum?
Schmid-Reiter: Die EMA wurde 1992
unter vorrangiger Beteiligung des Forschungsinstituts für Musiktheater (FIMT) der Universität
Bayreuth gegründet, deshalb waren Vereinssitz und Generalsekretariat
in den ersten vier Jahren auch am FIMT angesiedelt. Als ich 1996
zur Generalsekretärin gewählt wurde, übersiedelte
die operative Zentrale der EMA nach Wien an das Institut für
Theater-, Film- und Medienwissenschaft, an dem ich als Assistenzprofessorin
tätig bin und wo ich, temporär unterstützt von meinem
Mitarbeiter Martin Gassner, neben meinem „eigentlichen“ Beruf
die inhaltlichen und administrativen EMA-Agenden wahrnehme. Der
formale Vereinssitz wurde deshalb aus praktischen Gründen
Ende des Vorjahres nun auch nach Wien verlegt.
Europäischer Aspekt
O&T: Wie sieht die Zusammenarbeit
auf europäischer Ebene
aus? Und wie funktioniert sie in der Praxis?
Schmid-Reiter: Für unsere jährlichen internationalen
Tagungen suchen wir, der jeweiligen inhaltlichen Ausrichtung entsprechend,
institutionelle Kooperationspartner, die, wie erwähnt, die
Infrastruktur zur Verfügung stellen sowie einen nicht geringen
finanziellen Beitrag leisten und auf diese Weise die Veranstaltung
ermöglichen, denn für Auslands-Tagungen erhalten wir
generell keine Subventionen. In Paris konnten wir mit großzügiger
Unterstützung von Dominique Meyer einen seiner Programmschwerpunkte
im Pariser Théâtre des Champs-Elysées, die
Oper des 17. und 18. Jahrhunderts, sowie ihre Erschließung
und inszenatorische Neudeutung interdisziplinär aus vielfältigen
Blickwinkeln beleuchten. In Lissabon wurden anlässlich der
ersten Spielzeit von EMA-Mitglied Christoph Dammann am Teatro Nacional
de São Carlos die unterschiedlichen „Erzählweisen“,
der interpretatorische Pluralismus im zeitgenössischen Musiktheater
diskutiert. Und an der Universität Zürich stand zuletzt
das Thema „Werktreue“ auf dem Programm.
O&T: Welche Planungen gibt
es für die nähere und
fernere Zukunft?
Schmid-Reiter: Derzeit planen wir
Veranstaltungen bis 2013, darunter unter anderem für Bern/Biel und für London. Aktuelle
Veranstaltungen sind jeweils auf unserer Homepage abrufbar.
O&T: Welche Rolle spielen Publikationen
für die EMA?
Schriftenreihe
Schmid-Reiter: Die Ergebnisse und
Erkenntnisse unserer Tagungen werden in der
Reihe „Schriften der Europäischen Musiktheater-Akademie“ publiziert.
Der – mir auch als Wissenschaftlerin – sehr wichtige
Band „Kinderoper“ beispielsweise ist einem Bereich
des Musiktheaters gewidmet, der zum Zeitpunkt des Erscheinens 1994
in der Praxis zunehmend an Bedeutung gewonnen, in der Wissenschaft
allerdings erst sehr zögerlich Beachtung gefunden hatte. Zwischen
den Polen der ästhetischen Herausforderung und der pädagogischen
Verpflichtung, so auch der Untertitel des Buches, wird hier in
Beiträgen internationaler Wissenschaftler und Theaterschaffender
der Aktualitätswert der Musiktheaterarbeit für Kinder
und die Vielfalt ihrer Ausformungen zur Diskussion und unter Beweis
gestellt.
In diesem Jahr veröffentlichen wir zwei Publikationen, über
die ich mich sehr freue: Zum einen „L’Europe Baroque.
Oper im 17. und 18. Jahrhundert“, herausgegeben gemeinsam
mit Dominique Meyer, der ja zum Ende der Spielzeit 2009/10 das
Théâtre des Champs-Elysées in Paris verlassen
hat und bei uns seit September die Wiener Staatsoper leitet. Unmittelbar
bevor steht „Wagners Ring des Nibelungen. Europäische
Traditionen und Paradigmen“, das die produktive Kooperation
mit dem ehemaligen Staatsoperndirektor Ioan Holender dokumentiert. Barbara Haack
Informationen über EMA-Veranstaltungen
und Publikationen bei www.univie.ac.at/ema |