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Wie aus der Retorte
„Leila und Madschnun“ bei der Ruhrtriennale · Von
Georg Beck Dieses Déjà-vu. Tanklaster, festgefahren im Wüstensand.
Ein Bild, das YouTube bis dato exklusiv hatte. Jetzt, zur Eröffnung
von „Wanderung“, Willy Deckers zweiter Ruhrtriennale-Spielzeit,
wird die Cockpit-Perspektive über Kundus als Nahaufnahme nachgereicht.
Nach der jüdischen Welt, nach einem bemerkenswerten „Moses
und Aron“ 2009, nun die muslimische. Nicht mit einem Repertoirestück,
das es dazu nicht gibt, vielmehr als Neukreation des palästinensisch-israelischen
Komponisten Samir Odeh-Tamimi auf einen Text von Albert Ostermaier.
Letzterer schickt eine Patrouille in einen Hinterhalt,
den wiederum der regieführende Intendant Decker und sein bewährter
Ausstatter Wolfgang Gussmann über der Sandbank von Kundus
ausmachen – und heranzoomen.
Als Einheitsbühnenbild, als Stillleben, das in der Wucht,
wie sich dieses Riesengefährt in der Jahrhunderthalle quergestellt
hat, etwas Schicksalhaftes hat. Und zum Schicksal dieser Inszenierung
wird. Mal hebt sich das Ungetüm, vom Kran geliftet, mal dreht
es sich. Dann wieder geht es zu Boden. Aber es verschwindet nicht.
Die Poesie, die Musik, die Bilder, die bald anheben, die dekorativen
Arrangements, die sich reckenden Arme und Hände am Bauch des
Lasters, sterbende Krieger auf der Kühlerhaube – sie
alle kommen nicht dagegen an. Was fehlt, ist die Kraft zur Opposition.
Eine, die stärker, listiger, erotischer wäre als dieses
stumme Menetekel einer Welt auf dem Irrweg der Gewalt.
Die kommt überfallartig. Explosionslärm schießt
durch die Weite der Jahrhunderthalle. Kampfhubschrauber flattern über
dem Dach. Hollywoods idiomatische Kriegsfilmbilder. Es wummert
und blitzt, dass es jedem Game-Kid an der Playstation eine Freude
wäre. Einen Schalter umlegen, ein akustisches Gewitter auslösen.
Sobald der Sturm vorbei ist, werden wir Zeugen der Visionen des
komatösen Soldaten Salam, unseres Alter Ego. Ein Gutmensch,
ein Pazifist im Kampfanzug liegt da im Sand. Salam („Frieden“)
hat Großes vor. Er will Leila und Madschnun zusammenbringen.
Dann wäre Frieden. Was im Okzident „Tristan und Isolde“ ist,
das kennt der Orient als Geschichte der Kinder Qeis und Leila,
die auseinandergerissen werden, woraufhin sie zwangsverheiratet
wird und er fantasierend durch die Wüste irrt, um zu Madschnun,
zum „Wahnsinnigen“ zu werden.
Salam, der allzu brave Soldat, hat „Leila und Madschnun“,
das Epos des altpersischen Poeten Nizami (1141–1209) während
der zweistündigen Decker-Inszenierung immer griff- und lektürebereit
im Tornister. Glaubensstark ist er allzeit bereit, sich in den
Sand zu werfen, um mit bebenden Lippen zu rezitieren. Nichts ist
geblieben von der Härte der Mutter Courage, nichts von der
List des anderen Soldaten namens Schweijk. Eine Figur wie aus der
Retorte. Aleksandar Radenkovic deklamiert denn auch die expressiv-geläufige
Verskunst des Librettisten Albert Ostermaier, als ob er im Beichtstuhl
säße. Eindimensional. So ist es ein kleiner Schritt
vom Krieg-nicht-wollen zum Gar-nichts-mehr-wollen. Am Ende, als
Leila ihn, Salam, irrtümlich für Madschnun hält,
kapituliert er, geht den Weg der Selbstverbrennung.
Samir Odeh-Tamimi, damit beauftragt, die Musik zu diesem Sentimental-Drama
zu schreiben, hatte hörbar ein Problem. Da Hilflosigkeit,
Unglaubwürdigkeit schlecht zu komponieren sind, hat er sich
entschieden, das Verbissene nach außen zu kehren. Dies macht
das Gepresste, Panisch-Manische seines Orchester- und Chorsatzes.
Stotternde, explosionsartig abgeschossene Sechzehntel, Zweiunddreißigstel.
Wobei er zur Pression auch ihr Gegenteil fügt. Lallende, halb
gesungene, halb gesprochene Endlosbänder ohne bestimmte Tonhöhen,
glänzend gemeis-
tert vom ChorWerkRuhr.
Und schließlich tritt zum Gestoßenen das Gezogene.
Immer wieder bekommen es die Bläser, Streicher und Sänger
mit einer Art Glissandi-Gestrüpp zu tun, dem Klang gewordenen
Wahnsinn Madschnuns. Mit Linien, die wie Sägeblätter
nach oben, nach unten geführt werden. Solches geht am Ohr
zwar nicht spur- und schmerzlos vorüber, ist aber kein Problem
für die Solisten des Ensembles musikFabrik unter einem energisch
Dampf machenden Peter Rundel. Zudem hat man sich mit einer herausragenden
Margit Kern (Akkordeon) und einem ihr darin nicht nachstehenden
Jeremias Schwarzer (Blockflöte) sinnvoll verstärkt.
Nur: „Leila und Madschnun“, inszeniert als „theatralische
Erzählung“ zwischen
Schauspiel, Action und Musiktheater, hilft dies nicht. Ein Dauer-Espressivo
macht noch kein Durcharbeitungsangebot. Tristan hatte Isolde. Madschnun,
tapfer gesungen vom Counter Hagen Matzeit, hat in der mädchenhaft
wirkenden Nadine Schwitter eine sprechende, keine singende Leila.
Dieses Bündnis aber bräuchten er und Regisseur Willy
Decker mindes-tens, um den Karren, der im Sand der Jahrhunderthalle
feststeckt, herauszuziehen.
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