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Brennpunkte: „Friss, Vogel, oder stirb
Theatergutachten oder Theater-gut-achten · Von Sylke Kamin-Urbanek
Im Rahmen der aktuellen Diskussion um die künftige Struktur
der Kultur- und Theaterlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern sind
u.a. verschiedene Gutachten (Künstlerisches Konzept von Wolfgang
Bordel und Stefan Malzew / Rechtsgutachten zur Umstrukturierung
von RA Joachim Benclowitz) erstellt worden, die sich mit der Frage
der Umstrukturierung der Standorte Theater Vorpommern und Theater
Neubrandenburg/Neustrelitz beschäftigen. Diese Konzepte sehen
eine Reduzierung der Gesamtzahl von neuen Produktionen und erhebliche
Verringerung der künstlerischen Mitarbeiter sowie überregionalen
Einsatz der verbleibenden vor und können dadurch auch Einfluß auf
die momentan zu führenden Verhandlungen über einen HTV
für Neubrandenburg/Neustrelitz haben. Unsere Landesdelegierte
Sylke Kamin-Urbanek mit einem kritischen Kommentar zu dieser grundsätzlichen
Problematik.
„Theatergutachten“ oder „Theater gut achten“.
Es ist schon kurios – ausgesprochen, ohne das Schriftbild
vor sich zu sehen, denkt man gar nicht darüber nach, welch
verschiedene Bedeutung sich da ergeben kann. Und gerade die unterschiedliche
Bedeutung kann Tod oder Leben für ein Theater bedeuten. Theater, über
deren Existenz ein „Gutachten“ erstellt wird befinden
sich ganz und gar nicht in einer guten Lage. , Leider nein – diese
Theater wurden in ihren Mitteln meistens so stark beschnitten,
dass es ihnen unmöglich ist, trotz jahrelanger Sparmaßnahmen,
weiter zu existieren, ohne dass drastische Maßnahmen wie
Entlassungen, Spartenschließungen oder Lohnverzicht ihnen
zum Verhängnis werden. In der Tat ein Verhängnis – denn
ein Theater hat einen kulturpolitischen Auftrag – und diesen
versucht es zu erfüllen. Das schafft es aber nur mit einem
Spielplan und einem entsprechenden Ensemble. Fehlen weiterhin die
finanziellen Mittel, gibt es möglicherweise ein „Gutachten“,
in welchem wirtschaftliche Faktoren die ausschlaggebenden sind.
Nicht die künstlerischen, nicht die kulturpolitischen, nein
die wirtschaftlichen. Es gibt bei diesen „Gutachten“ durchaus
etliche, die neue Ideen wirtschaftlich zusammenpressen und Theaterformen
entstehen lassen, die theoretisch auf dem Papier sehr logisch funktionieren.
Aber Papier ist ja bekanntlich geduldig. Papier interessiert es
hübsch wenig, ob dabei weiterhin Kunst herauskommt oder ob
man nur noch ein Invest-Betrieb ist, dessen künstlerischer
und kulturpolitischer Auftrag gar nicht mehr erwähnt wird.
Nach dem Motto „Friss, Vogel, oder stirb“ (übrigens
ein Zitat aus Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“)
.
Dieser Teil des Zitats ist sicher sehr bekannt, aber der Satz
geht bei Humperdinck weiter „Kuchenheil dir erwirb!“ Wie
interessant – das sagt die Hexe zu Gretel, die, bewegungsunfähig
durch Zauberei, den Spuk über sich ergehen lassen muss. Hänsel
sitzt derweil im Käfig und ist auch handlungsunfähig.
Bezogen auf unsere Theater und „Gutachten“ bedeutet
es nichts anderes! Es wird ein Gutachten erstellt, das Theater
erwirbt sich damit sein „Kuchenheil“, um dann sowieso
irgendwann „im Backofen zu landen“. Hänsels Schicksal
im Käfig scheint besiegelt, hätte er nicht seine beherzte
und mutige Schwester, die ihn vor dem Backofen bewahrt, da sie
taktisch klug abwägt und sich im richtigen Moment gemeinsam
mit dem Bruder der Hexe entledigt. Die Theater brauchen auch eine „Schwester“,
in dem Fall beherzte und mutige Politiker, die sich zu ihren Theatern
bekennen und sie gut achten. Da ist es wieder, unser Wortspiel: „Theater
gut achten“ - das verlangen wir von der Politik . Wir brauchen
Politiker, die darum kämpfen, dass unsere kulturelle Landschaft
nicht versinkt. Die Theater sollten der Politik vertrauen können
- „kulturpolitischer Auftrag“ - Kultur und Politik
in einem Wort – ist unseren Politikern die Bedeutung dieses
Wortes überhaupt bewusst? Diese Verschmelzung zweier Welten?
Kultur und Theater sind liberal – nach allen Seiten offen,
aber sind das unsere Politiker auch? Die Politik handelt mit ihren
Strukturempfehlungen alleine, künstlerische Leiter und Intendanten
werden in Entscheidungen nicht einbezogen, so sind leider die bitteren
Erfahrungen, die vielerorts gemacht wurden und werden. Das Wort
KULTURPOLITIK verliert seine Bedeutung - eigentlich müsste
es aus unserem Wortschatz gestrichen werden – oder nicht?
Aber wenn Politiker es lernen, THEATER GUT zu ACHTEN, dann gibt
es doch Hoffnung. Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt
... Sylke Kamin-Urbanek |