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Probensitze für Chorsänger
Arbeitsmedizinische Empfehlungen für Musiker · Von
Martin Fendel Über die positiven Auswirkungen von guter Körperhaltung,
dynamischem Sitzen und ergonomischer Sitzmöbelgestaltung für
Menschen, die vorwiegend sitzende Tätigkeiten ausüben,
wurde in den letzten Jahren von Orthopäden und Arbeitsphysiologen
viel geschrieben. Ihre Empfehlungen erfreuen sich großer
Popularität und haben im Angebot vieler Sitzmöbelhersteller
zu stärkerer Berücksichtigung ergonomischer Anforderungen
geführt. Ziele dieser Empfehlungen sind eine wirksame Verhinderung
manifester Rückenerkrankungen mit resultierender Arbeitsunfähigkeit
und ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen, vor allem aber
auch die Steigerung von Wohlbefinden, Arbeits-und Lebenszufriedenheit
der Betroffenen.
Bedeutung der Sitzgestaltung
Was die Gestaltung von Musikerstühlen angeht, gibt es jedoch
bisher nur wenige Hinweise; und noch weniger finden sich im Hinblick
auf spezielle Sitzgelegenheiten für Chorsänger. In Chorproberäumen
sind oftmals völlig ungeeignete, weder der Gesundheit noch
einer begeisternden Klangentfaltung zuträgliche Sitzplatzverhältnisse
anzutreffen. Aufgrund der besonderen körperlichen und mentalen
Anforderungen durch das Singen sollte jedoch bei Berufssängern
der Gestaltung des Arbeitsplatzes und insbesondere der Auswahl
geeigneter Sitzmöbel größte Aufmerksamkeit geschenkt
werden.
Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates spielen als
Ursache von Arbeitsunfähigkeit und vorzeitiger Verrentung
nicht nur bei Musikern eine prominente Rolle. Hierbei sind verschleiß-
und überlastungsbedingte Schmerzen der Wirbelsäule und
ihrer muskulären und bindegewebigen Begleitstrukturen besonders
häufig, gefolgt von funktionellen Beschwerden im Hand-/Arm-/Schultergürtelbereich.
Diese Strukturen sind an jeder Musikausübung mehr oder weniger
entscheidend beteiligt und dadurch besonderen Belastungen ausgesetzt. Überlastungsbedingte
Funktionsstörungen stellen naturgemäß für
Musiker ein besonderes Handicap dar. Schon geringe Symptome können
Spielunfähigkeit bedeuten und bei Nichtbeachtung zu hartnäckigen
oder bleibenden Strukturschäden werden. Gute Arbeitsstühle
unterstützen durch besondere Konstruktionsmerkmale eine Sitzhaltung,
die die beteiligten Strukturen weniger belastet und damit einer
Entwicklung von Beschwerden und Gesundheitsstörungen effektiv
vorbeugt.
Unter Berücksichtigung arbeitsphysiologischer Erkenntnisse
(Stichwort „dynamisches Sitzen“) ist natürlich
ein Teil der allgemeinen Gestaltungsempfehlungen für Arbeitsstühle
auch auf „Chorgestühl“ anwendbar. Besonders für
Sängerinnen und Sänger spielen jedoch neben gesundheitlichen
Aspekten gleichwertig auch künstlerische Aspekte eine Rolle,
da bei ihnen „Sang und Klang“ unmittelbar und in hohem
Maß von der Körperhaltung beeinflusst sind. Auch unter
diesem Blickwinkel ist also die Arbeitsplatzgestaltung von Interesse,
und ein geeigneter Sitz hat durchaus positive Auswirkungen auch
auf den künstlerischen Gestaltungsprozess. Körperhaltung beim Singen
Welche Körperhaltung beim Singen und Musizieren als „falsch“ oder „richtig“ gelten
kann, ist in hohem Maße individuell und Gegenstand unendlicher
Diskussionen und Kontroversen. Natürlich wird das entscheidend
von Baumerkmalen und spieltechnischen Anforderungen des jeweiligen
Instruments einerseits und den körperlichen, konstitutionellen
und konditionellen Voraussetzungen des Spielers/Sängers andererseits
bestimmt. Die Frage, ob Sitzen oder Stehen die günstigere
Haltung sei, fällt besonders für Sänger und Bläser
eindeutig zugunsten des Stehens aus. Aus optischen Gründen
ist dies nicht immer realisierbar. Vor allem aber ermüdet
stundenlanges Stehen und führt zu muskulären Verspannungen,
Konzentrationsschwäche und körperlichen Beschwerden.
Daher sollten wenigstens in den Proben Stehen und Sitzen im Wechsel
möglich sein – idealerweise unterbrochen von kurzen
kollektiven Entspannungs- und Dehnungs-übungen. Grundsätzlich
sollten längere Sitzphasen immer wieder durch Stehen unterbrochen
werden, und umgekehrt.
Aus gesundheitlichen Erwägungen ist eine möglichst aufrechte
Sitzhaltung zu fordern, bei der die Gleitflächen der Wirbelsäulensegmente
weitgehend horizontal übereinander zentriert sind und das
Gewicht des Oberkörpers (Kopf, Arme, Schultergürtel,
Brustkorb) lotrecht über den Sitzbeinhöckern ausbalanciert
wird. Der natürliche, doppelt S-förmige Krümmungsverlauf
der Wirbelsäule muss erhalten bleiben, um ihre federnde Funktion
und dreidimensionale Beweglichkeit zu unterstützen. Häufige
Wechsel der Sitzposition mit Änderung der Gewichtsverteilung
und Unterbrechungen der aktiven Arbeitshaltung durch Entspannungsphasen
in passiver, zurückgelehnter Haltung werden unter dem Begriff „dynamisches
Sitzen“ aus orthopädischer Sicht empfohlen.
Die Beachtung dieser einfachen Regeln gewährleistet eine optimale
Verteilung der Druck- und Scherbelastung der unteren Wirbelsäulensegmente
bei minimiertem Kraftaufwand der Haltemuskulatur und beugt Verspannungen
durch zu langes Ausharren in starrer Körperhaltung vor. Sie
fördert Durchblutung, Gasaustausch und Stoffwechsel und steigert
die Wahrnehmungsfähigkeit und Aktivitätsbereitschaft.
Gleichzeitig ermög-licht sie eine stabile Ausgangsposition
für die beim Musizieren ständig erfolgenden Spiel- und
Ausdrucksbewegungen. Der effektive und ermüdungsfreie Stimmeinsatz
beim Singen erfordert ein hohes Maß an Rumpfstabilität
bei gleichzeitig uneingeschränkter Bewegungsfreiheit des Oberkörpers
und der Arme in allen Raumebenen. Ein stabiles „Alignement“ in
aktiver, aufrechter, vorderer Sitzhaltung ist auch Voraussetzung
für den effizienten, schonenden Einsatz der
am Singen beteiligten Gesichts-, Kiefer-, Zungen- und Kehlkopfmuskeln
und erleichtert die Vokalisation in allen Stimmregistern. Das Singen
erfordert eine „freie Atmung“, dies bedeutet fein abgestimmte
Bewegungskoordination von Zwerchfell, Atem- und Beckenbodenmuskulatur.
Die Aufrichtung der Wirbelsäule und des Oberkörpers verbessert
die sängerische Atemführung („Stütze“, „Appoggio“)
unter optimaler Ausnutzung der Atemräume und ermöglicht
eine rationelle Atemarbeit ohne Verkrampfung. Hierzu ist freies
Stehen oder Sitzen mit seitlich locker herabhängenden Armen
eine sehr wichtige Voraussetzung.
Ergänzend zu diesen Haltungsempfehlungen ist ein fester, großflächiger
Kontakt beider Füße mit dem Boden in physiologischer
Achsenstellung und ohne Anspannung der Zehen aus physischen (Balance
und Standsicherheit), aber auch aus psychischen Gründen („Erdung“, „Standfestigkeit“)
erforderlich. Dies ist in erster Linie vom Verhältnis der
Sitzhöhe zur Unterschenkellänge abhängig und sollte
bei der individuellen Einstellung des Stuhls berücksichtigt
werden. Gestaltung von Sitzmöbeln
Mit diesen Überlegungen lassen sich für die ergonomisch
sinnvolle Sitzgestaltung für Sänger klare Anforderungen
formulieren. Zu empfehlen sind ausschließlich Sitzgelegenheiten,
die das aufrechte aktive, dynamische Sitzen wie beschrieben fördern.
Dabei ist entscheidend, dass die wichtigsten Merkmale, nämlich
Höhe und Neigungswinkel von Sitzfläche und Rückenlehne,
individuell an die jeweiligen Körpermaße angepasst werden
können. Eine nach vorne leicht geneigte Sitzfläche (ca. 30°) ermöglicht,
durch Unterstützung einer leichten Vorwärtskippung des
Beckens und Öffnung des Beckenwinkels den Oberkörperschwerpunkt
besser zu zentrieren, die gesamte Wirbelsäule zu strecken
und die physiologische Lordose der unteren Lendenwirbelsäule
beizubehalten. Diese Beckenposition wirkt sich auf die Statik der
gesamten Wirbelsäule positiv aus und trägt entscheidend
zur Verbesserung der Körperhaltung bei. Der Stuhl sollte also
mit einstellbarer Sitzflächenneigung ausgestattet sein. Zur
Entspannung des Rückens in Pausen und zur Unterstützung
der Lendenwirbelsäule ist eine in der Höhe verstellbare,
anatomisch geformte Rückenlehne notwendig. Eine feste Polsterung
von Sitz und Lehne mit rutschhemmendem, atmungsaktivem Textilgewebe
ist ebenso zu fordern wie eine Sitzflächengestaltung, die
durch geeignete Konturierung das Abrutschen nach vorne oder zur
Seite verhindert und an der Vorderkante abgerundet ist.
Schließlich sollte der Stuhl fest und frei stehen und die
Bewegungsfreiheit nicht durch Armlehnen oder montierte Arbeitsflächen
oder Halterungen einschränken. Die Verstellmechanik muss geräuschlos
arbeiten, übersichtlich logisch angeordnet und einfach zu
bedienen sein. Im Hinblick auf Stapelbarkeit, Platzbedarf und Transportfreundlichkeit
sollten auch Gewicht und Formgebung des Stuhles benutzerfreundlich
gewählt werden. Weitere Arbeitsmittel
Das Halten von Noten (oftmals sperrigen,
schweren Klavierauszügen)
mit den Händen ist unschön, ermüdend und verhindert
die freie Bewegungs- und Ausdrucksdynamik. Neben der speziellen
Stuhlauswahl für Sänger/Musiker ist daher auf den ebenfalls
unabdingbaren Einsatz von höhen-und neigungswinkelverstellbaren
Notenpulten hinzuweisen. Dieser ist Voraussetzung für die
beim Singen notwendige aufrechte Kopfhaltung und die dadurch erst
mögliche „Freiheit der Kehle“. Eine abgesenkte
Kopfhaltung führt zu Einengung und Behinderung des Stimmapparates.
Anlässlich einer Überprüfung der Arbeitsplatzgestaltung
muss im Hinblick auf eine Reduktion der Belastung des Sehorgans
(Noten lesen, zeitgleich Blickkontakt zum Dirigenten und zu Mitsängern)
auch an ausreichende und möglichst gleichmäßige
Raumausleuchtung gedacht werden. Damit lässt sich der Entwicklung
so genannter asthenopischer Beschwerden (Augenbrennen, Tränen,
Jucken, Austrocknen der Hornhaut, Sehermüdung mit der Folge
von Kopfschmerzen und muskulärer Verspannung) wirksam vorbeugen.
Der Richtwert für die Leuchtstärke beträgt 500 lux
(neutralweiß oder Warmton), wobei sowohl direkte Blendungen
als auch Zwielicht vermieden werden müssen. Auch die einwandfreie
Lesbarkeit des Notenmaterials (Zeichengröße, Kontrastdichte,
Hintergrund) ist in diesem Zusammenhang nicht zu vergessen.
Einen häufigen Streitanlass bietet das Raumklima. Die Auffassung,
was als behaglich, leistungssteigernd und gesundheitsförderlich
gelten kann, ist individuell sehr unterschiedlich. Hier sollte
im Einzelfall ein demokratischer Konsens zwischen den Beteiligten
hergestellt werden, der sich natürlich auch an der technischen
(und finanziellen) Realisierbarkeit zu orientieren hat. Als Empfehlung
gelten in etwa folgende Richtwerte (bei normaler Indoor-Bekleidung):
Temperatur 17–21°C, rel. Luftfeuchte 30–60 Prozent,
Luftbewegung max. 0,3 m/s.
Bezüglich der akustischen Ausstattung des Probenraumes ist
zu bemerken, dass aufgrund der Vorgaben der Lärm-/Vibrations-Arbeitsschutzverordnung
die Einhaltung einer Schallexposition der Beschäftigten von
maximal 85 dB(A) als gemittelter Wochenexpositionspegel dauerhaft
sicher zu gewährleisten und
von maximal 80 dB(A) anzustreben ist. Dies lässt sich durch
den Einsatz einer ortsbezogenen Kombination von raum-bzw. bauakustischen
Maßnahmen mit organisatorischen Vorkehrungen und gegebenenfalls
persönlichen Gehörschutzmitteln erzielen. Auf nähere
Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden; wir empfehlen
jedoch – insbesondere im Zuge geplanter Um- oder Neubaumaßnahmen
- ausführliche fachliche Beratung durch auf Musikproduktionen
spezialisierte Akustiker in Anspruch zu nehmen. Im folgenden sind
die empfohlenen Ausstattungskriterien noch einmal tabellarisch
zusammengefasst:

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