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Theater Gut Achten! Dazu ruft der Intendant des Theaters Neubrandenburg/Neustrelitz
im aktuellen Spielzeit Kurier auf und setzt dies zugleich als Motto
für die neue Spielzeit. Es sollte indes nicht nur für
dieses Theater, sondern für die gesamte Kulturlandschaft gelten.
Dieses Land, das seine Identität seit Jahrhunderten über
seine Kultur definiert und gerade aus dem kulturellen Diskurs immer
wieder maßgebliche Impulse zur gesellschaftlichen, politischen
und wirtschaftlichen Entwicklung erfahren hat, verkennt zunehmend
den wirtschaftlichen Nutzen seiner Kulturinstitutionen. Leider
wird der Begriff „Theatergutachten“ in letzter Zeit
viel mehr im Zusammenhang mit notwendigen, finanziell bedingten
Strukturveränderungen aus rein ökonomischen Gesichtspunkten
verwandt, statt über die gesellschaftliche Funktion und Aufgabe
des Theaters nachzudenken (s.
dazu auch den Kommentar auf Seite 6 von Sylke Kamin-Urbanek).
Die Diskrepanz zwischen politischen Lippenbekenntnissen
und gelebter Wirklichkeit lässt uns nicht los, verfolgt uns geradezu, uns,
die wir tagtäglich mit den Unzulänglichkeiten der Kulturfinanzierung
konfrontiert werden, wenn wir in langwierigen, mühseligen
Haustarifverhandlungen um den Erhalt der Kulturinstitutionen kämpfen.
Wenn wir durch den inzwischen schon nahezu institutionalisierten
Verzicht der betroffenen Beschäftigten die Versäumnisse
der politisch Verantwortlichen auszugleichen versuchen. Sisyphos
lässt grüßen! Resignation macht sich breit, sei
es in Halle, in Bautzen, in Plauen/Zwickau, Neubrandenburg, Greifswald,
Dessau, Weimar, Nordhausen, Annaberg, Hagen, Wuppertal, um nur
einige Standorte zu nennen. Sie alle leiden unter einer chronischen
Unterfinanzierung, die die jeweiligen Strukturen bedroht. Das Problem bei der Frage der auskömmlichen Finanzierung sind
oftmals gar nicht die ohnehin schon allzu arg gebeutelten Kommunen,
die eigentlich willens sind, ihre Theater zu halten. Die Länder
senken jedoch stetig ihre Kofinanzierungsbeiträge und der
Bund gräbt den Kommunen zunehmend die Steuereinnahmen ab.
Darüber hinaus leiden die Kommunen unter den ihnen von den
Ländern vermehrt zugewiesenen Aufgaben, die es zu erfüllen
gilt. Somit bleibt ihnen oftmals gar nichts anderes übrig,
als an die „freiwilligen“ Aufgaben heranzugehen. Diese
sogenannten freiwilligen Aufgaben sind entgegen ihrem Wortlaut
eigentlich nicht „freiwillig“, sondern stellen die
Bereiche dar, die in eigener Verantwortung – kommunaler Selbstverwaltung – zu
erfüllen sind, bedeuten jedoch formal nicht unmittelbare Verpflichtung
zur Finanzierung. Und diese Bereiche sind nun mal in der Regel
die sozialen, Bildung und Kultur betreffenden Strukturen. Der größte
Irrtum an der ganzen Geschichte ist die Kurzsichtigkeit dieser
rigiden Sparvorgaben, denn gerade wirtschaftlich wird der Faktor
Kultur und kulturelles Angebot für die Infrastruktur und für
die wirtschaftliche Attraktivität einer Region massiv unterschätzt.
Man stelle sich vor, wie eine Region wie Dessau-Roßlau ohne
das Anhaltische Theater dastehen würde, ein Weltkulturerbe
mit seinem Bauhaus-Museum und den Meisterhäusern – ohne
Theater?!
Theater mit ihren Infrastrukturen haben eine größere ökonomische
Bedeutung, als sie sich in Ticketverkäufen und Subventionen
messen ließe. Prof. Dr. Ulrich Blum, Präsident des Instituts
für Wirtschaftsforschung Halle, konstatierte bereits bei der
Theaterkonferenz 2007 in Dessau: Nur kulturell erfolgreiche Gesellschaften
können auch ökonomisch erfolgreich sein. In seinem Impulsreferat
führte er neben vielen anderen für die Gesellschaft nutzbringenden
Aspekten auch den wirtschaftlichen Aspekt der sogenannten Umwegrentabilität
an: Das durch den Kultursektor hereinströmende Geld stellt
einen wesentlichen Teil der Stabilität für das im Umfeld
dieser Kulturbereiche liegende Gewerbe dar. Ohne „Subventionen“ im
Kultursektor fallen viele Einnahmen weg, und diese Beträge
liegen oftmals wesentlich höher als die Unterstützungsleistungen.
Politisch gibt es zwar das Bekenntnis zur kulturellen
Bildung und zum Erhalt der kulturellen Landschaft; erst kürzlich hob Kulturstaatssekretär
Bernd Neumann hervor, dass das Ansehen Deutschlands im In- und
Ausland sehr eng mit den Leistungen für Kunst und Kultur zusammenhänge,
Kunst und Kultur sei die Hefe im Teig der Kulturnation Deutschland.
Indes fehlen die erforderlichen Schritte, dies auch in die Tat
umzusetzen. Theater müssen sich vielmehr ständig dafür
rechtfertigen, dass sie Geld kosten, in welcher Größe
und dass sie überhaupt noch existieren. Die pausenlose Selbstrechtfertigung
der kulturellen Einrichtungen muss aufhören. Wir müssen
uns endlich davon verabschieden, mit kurzfristigen Sparpaketen
das der Gefahr des unwiederbringlichen Verlustes auszusetzen, was
erwiesenermaßen jahrhundertelang als der Motor der gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Entwicklung gegolten hat. Die Zukunft der
Städte und die Zukunft der Theater, die Zukunft der Kultur
und die Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung und Leistungsfähigkeit
hängen unmittelbar zusammen: Wir brauchen keine Theatergutachten,
wir müssen Theater gut achten, und das bitteschön nachhaltig. Gerrit Wedel |