Erfolgreiche Überzeugungsarbeit
„tanznetz.de“ – Ein digitales Tanzprojekt
von Nina Hümpel
Ab ihrem sechsten Lebensjahr geht Nina Hümpel in ihrer Heimatstadt
Lübeck fast täglich zum Ballettunterricht. Mit zwölf
nimmt sie Folklore, modernen und Jazz-Tanz hinzu. Die Leidenschaft
für die Kunst der Bewegung liegt in der Familie. Die Großmutter
war Tänzerin, verzichtete schließlich zugunsten von
Ehe und Familie auf ein Engagement bei Kurt Jooss. Die Enkelin
schlägt sich gleich nach dem Abitur die Bühnenlaufbahn
aus dem Kopf – „bei 1,78 Metern Körpergröße
und schwachen Gelenken“. Dennoch schafft sie es, den Tanz
zu ihrem Lebensmittelpunkt zu machen. Mit ihrem 1996 gestarteten „tanznetz.de“ ist
sie eine Pionierin im Bereich Tanz im Netz. Malve Gradinger sprach
mit ihr für „Oper & Tanz“.
Malve Gradinger: Frau Hümpel, heute gehört das Surfen
im Internet zum Alltag wie Telefonieren und Fernsehen. Aber 1996
war das Internet für die meisten noch beängstigendes
Neuland. Wie sind Sie eigentlich damals dazu gekommen, „tanznetz.de“ zu
gründen?
Nina Hümpel: Mein Mann hat
eine kleine Internet-Agentur und macht Konzepte für Internet-Firmenauftritte.
Als ich 1994 meine Zwillinge bekam und meine Assistentenstelle
an der Uni Eichstätt
aufgeben musste, hatte er die Idee, ich solle eine Tanzzeitschrift
im Internet gründen. 1996 hat er dann zusammen mit seinem
Bruder, der Programmierer ist, „tanznetz.de“ eingerichtet.
Die Technik war mir dadurch abgenommen. Aber ich musste ja erst
einmal recherchieren, mich vertraut machen mit den wenigen Seiten,
die es damals gab. Was Riesenkosten verursachte – in der
Zeit vor den Flat-rates. Abgesehen von der Investition musste ich
einen enorm langen Atem haben. Denn die anvisierten Nutzer aus
der Tanzwelt, für die ich diese Seite gemacht habe, waren
die allerletzten, die ins Internet gegangen sind. Die Anerkennung
kam schließlich doch. Mittlerweile beteiligt sich etwa die
Hälfte aller deutschen Tanzkritiker an dieser „Community“.
Altmeister Horst Koegler schreibt für uns sogar sein „koegler
journal“,
ein Tagebuch zu allen möglichen Events und Themen. Fotografen,
unter anderem der renommierte Gert Weigelt, überlassen uns
ihre Fotos. Gradinger: Was heißt „Community“?
Hümpel: „tanznetz.de“ ist ein gemeinschaftliches
Veröffentlichungsorgan, in das Kritiker, Tänzer, Tanzmediziner,
Pädagogen, Choreografen honorarfrei einstellen, was sie an
Erfahrung und Wissen haben. Das ist das Besondere an „tanznetz.de“:
Niemand verdient Geld. Lediglich die Redaktionsarbeit ist minimal
abgedeckt, aber auch erst durch die nur sehr allmählich angelaufene
Fachwerbung. Selbst ich als Redakteurin musste und muss noch nebenbei
jobben. Zurzeit gebe ich Tanzgeschichte-Unterricht in der Münchner
Iwanson-Schule. Von 1996 bis 2001 habe ich als freie Lektorin und
Redakteurin bei privaten TV-Sendern und Medien-Unternehmen gearbeitet.
Was ich damit sagen will: Wer etwas in „tanznetz.de“ hineingibt,
bekommt in irgendeiner Form auch wieder etwas heraus. Die Motivationen
mitzumachen sind ganz unterschiedlich. Es gibt ältere Kritiker,
die nicht mehr auf bezahlte Jobs angewiesen sind, aber noch gelesen
werden wollen. Journalisten, die für Regionalzeitungen schreiben,
sind daran interessiert, ihre Artikel einer überregionalen
Leserschaft zur Verfügung zu stellen. Anfänger suchen
ein Forum, wo sie sich ausprobieren können. Wir haben tatsächlich
die Erfahrung gemacht, dass junge Autoren durch ihre Beiträge
in „tanznetz.de“ relativ bald bezahlte Aufträge
bekamen. Nicht zuletzt findet jeder hier kostenlos eine breite
Palette von Informationen, sei es im Archiv oder in der aktuellen
Presseschau.
Gradinger: Wie ist Ihr „tanznetz“ aufgebaut?
Hümpel: „tanznetz.de“ bietet drei große
Bereiche an: einmal die mir direkt zugeschickten Kritiken und die
per Links zu anderen Printmedien ermöglichte Presseschau;
zweitens die Diskussionsforen und drittens einen umfassenden Terminkalender.
Gradinger: Wie funktionieren die „tanznetz“-Diskussionsforen?
Hümpel: Eigentlich ähnlich wie eine Selbsthilfegruppe. „tanznetz“-User
informieren sich gegenseitig. Es gibt jeweils thematisch geordnete
Foren für Eltern, für Schüler und ein Forum für
Ballettschul-Leiter und Pädagogen. Darin wird alles rund um
den Tanz diskutiert, von der gewünschten Ballettausbildungsstätte,
dem geeigneten Ballett-Internat über Ballett-Bekleidung, Körperhygiene
bis zu allen möglichen beruflichen, tanztechnischen und tanzmedizinischen
Fragen. Und schließlich noch die Foren für Ballettfans,
die sich über Premieren, ihre Lieblingstänzer, neue Rollen
und Beförderungen austauschen, sei es im Hamburg Ballett,
im Staatsballett Berlin oder im Bayerischen Staatsballett.
Gradinger: Viel genutzt wird sicher
der Terminkalender...
Hümpel: Die Sparte „Termine – Auditions“ ist
die boomendste Rubrik. Ich glaube, es gibt kaum ein Portal in Deutschland,
das so viele Tanz-Auditions veröffentlicht. Auch die Auditions
von Musical-Veranstaltern und Luxus-Linern findet man bei uns.
Jobsuchende Tänzer schauen da fast täglich rein. Und
natürlich haben wir die Termine von Premieren, Festivals,
Workshops, Tagungen, Aufnahmeprüfungen von staatlichen und
nicht-staatlichen Tanzausbildungsstätten.
Gradinger: Das hört sich nach immenser Arbeit an...
Hümpel: Jetzt nicht mehr. Aber die Arbeit
von 14 Jahren steckt drin. Unendliche Male habe ich die Pressereferenten
angerufen,
immer wieder erklärt, dass sie ihre Termine umsonst in „tanznetz“ veröffentlichen
können. Erklärt, wie man sich registriert, wie man sich
anmeldet, wie man die Maske ausfüllt, wie man Terminänderungen
eingibt. Es war ein langer mühsamer Prozess, bis dieser Kulturbereich
sich dem Internet offen gezeigt und auch „tanznetz“ als
Plattform vertraut hat.
Jetzt tragen sich alle Institutionen, Theater, Veranstalter,
Schulen selbst ein. Auch die Pressereferenten der österreichischen
und Schweizer Theater geben zum großen Teil ihre Termine
ein.
Gradinger: Bekommen Sie Subventionen?
Hümpel: Nach anfänglichen leider vergeblichen
Versuchen habe ich von der Kulturstiftung des Bundes über
deren „Tanzplan
Deutschland“-Förderung, die in Bayern unter dem Titel „Access
to Dance“ läuft, 2005 eine Unterstützung erhalten
und damit das Portal „Access to Dance – Tanzportal
in Bayern“ eingerichtet. Alles, was sich im Bereich Tanz
in Bayern tut, findet man in diesem Bayern-Portal.
Gradinger: Die elektronischen Medien
entwickeln sich rasend schnell weiter...
Hümpel: Natürlich möchte man mit neuen technischen
Herausforderungen und Möglichkeiten weiterwachsen. So fange
ich jetzt langsam an, auch einen Bereich „Bewegt-Bild“ aufzubauen.
Es gibt bereits einen kleinen Videokanal „Tanz in Schulen“.
Dort sind die von einer Jury ausgewählten Filme zu sehen,
die von den „Tanz in Schulen“-Projektleitern aus ganz
Deutschland eingesandt werden. Die Zukunftsvision ist, dass man
einen Kanal hat für Highlights des klassischen Balletts, einen
für Tanztheater-Videos und einen zum Thema „Zeitgenössischer
Tanz“. Außerdem möchte ich einen Kanal einrichten,
in dem ältere erfahrene Tanzkritiker und Tänzer aus ihrem
Berufsleben erzählen. Die Konzepte sind da, interessierte
Künstler wollen mitmachen. Allerdings sind Filme nicht mit
unserer Nonprofit-Strategie zu finanzieren. Da bin ich noch auf
der Suche nach geeigneten Förderungen.
Zur Person Nina Hümpel
Geb. 1965 in Lübeck
1985-91 Studium der Theater- und Tanzwissenschaft an der LMU
in München. Privates Training in klassischem Ballett, Folklore,
Modern- und Jazzdance. Diverse Praktika und Assistenzen bei Theatern,
Verlagen und verschiedenen Kulturinstitutionen. Tanzunterricht
für Kinder und Jugendliche an verschiedenen Ballettschulen
1993-95 Assistentin und Dozentin im Studiengang Kulturpädagogik
an der Katholischen Universität Eichstätt, Seminare über
Tanz- und Theatergeschichte
1996 Gründung des Internet-Portals „tanznetz.de“
Seit Okt. 2005 Mitglied von „Tanzbasis e.V.“ zur Förderung
des Tanzes in München im Rahmen von „Tanzplan Deutschland“.
Mitglied der Jury des Bayerischen Landesverbandes für Zeitgenössischen
Tanz (BLZT)
Seit 2007 Herausgeberin des Internet-Portals „Access to Dance – Tanzportal
Bayern“
Seit 2010 Mitglied der Tanzjury der Stadt München
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