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Selten schafft es ein Kunstwerk auf die Titelseiten der
Gazetten. Im vergehenden Winter ist es Giacomettis Skulptur „Der Schreitende“ gelungen.
Warum? Weil es das Objekt ist, das – je nach Wechselkursberechnung – den
höchsten bzw. zweithöchsten Kaufpreis aller Zeiten für
ein Kunstwerk erzielt hat: alles in allem rund 75 Millionen Euro.
Dabei handelt es sich noch nicht einmal um ein Unikat: Sechs Originale
wurden 1961 gegossen. Verkäuferin war die Commerzbank als
Nachfolgerin der Dresdner Bank, die das Objekt 1980 für 750.000
Dollar gekauft hatte.
Es scheint also nicht generell so zu sein, dass Geld,
wie man manchmal meinen könnte, einen Bogen um die Kunst macht.
Auch jenseits dieses Spitzenbeispiels zeigt der Kunstmarkt dies
sehr deutlich.
Allerdings wird eine klare Trennungslinie deutlich: die zwischen
Haben und Sein, zwischen besitzbarer und transitorischer, „nur“ erlebbarer
Kunst wie dem Theater oder der Musik. Aus der Sicht privater Investoren
wie der mutmaßlichen Käuferin des Giacometti ist dies
eigentlich nachvollziehbar. Bei derartigen Beträgen wird selbst
der leidenschaftlichste Kunstliebhaber auch ein knallhartes wirtschaftliches
Kalkül im Hinterkopf haben. Diese Bevorzugung des Habens gegenüber dem Sein scheint sich
aber auch in den Köpfen der öffentlichen Kunst- und Kultur-Financiers
festgesetzt zu haben. Eines der jüngsten Beispiele ist die
Stadt Köln: Nur wenige Monate, nachdem der Kämmerer vollmundig
verkündet hat, zur Sanierung des Stadtsäckels müsse
der Kulturetat um 30 Prozent reduziert werden (ganz so schlimm
kam es dann – jedenfalls bisher – doch nicht), beschloss
der Rat der Stadt den Abriss des schönen, bescheidenen, im
harmonischen Ensemble mit dem benachbarten Opernhaus entworfenen
und zusammen mit ihm denkmalgeschützten Schauspielhauses.
Dies jedoch – man ist zur Zeit fast geneigt zu sagen: ausnahmsweise – nicht
etwa, um das Schauspiel gänzlich abzuwickeln. Nein: Es soll
aller Kassenknappheit zum Trotz ein neues Haus an anderer Stelle
gebaut werden - gegen den eindringlich erklärten Willen der
betroffenen Künstler und eines großen lebendigen Teils
der Bürgerschaft.
Ist dies nun ein großherziges, zu unrecht verschmähtes
Signal der Politik zugunsten der Kunst? Wohl kaum. Dass die Mehrkosten
des Neubaus gegenüber denen der sicherlich notwendigen Sanierung
des bestehenden Hauses über Jahre hinweg zu Lasten des Kulturetats
und damit vor allem der ausübenden Kunst gehen werden, ist
nicht zu bezweifeln. Über ihre Höhe besteht übrigens
noch keinerlei Klarheit – abgesehen davon, dass es sich um
einen gehoben zweistelligen Millionenbetrag handelt. Der Verdacht
muss sich aufdrängen, dass es den handelnden Politikern nicht
darum geht, der darstellenden Kunst neue Freiheiten zu eröffnen,
sondern vielmehr darum, sich selbst ein steinernes Denkmal zu setzen – im
Namen der Kunst auf deren Rücken.
Doch zurück zum Giacometti: Die Rendite von über 10.000
Prozent in 30 Jahren zeigt einmal mehr ein besorgniserregendes
Phänomen, das in erheblichem Maße für die Wirtschaftskrisen
des vergangenen Jahrzehnts mitverantwortlich ist: Geld hat die
Neigung zur Blasenbildung – quasi eine eigene Form der Gravitation,
und das offenbar an fast jedem Objekt. Dies wäre nicht weiter
schlimm, wenn es nicht eigentlich einmal als neutrales „Zwischentauschmittel“ für
reale Werte erfunden worden wäre. Wenn aber Preisentwicklungen
nichts mehr mit Wertentwicklungen zu tun haben, so kann es einem
um die Volkswirtschaften der Welt, die auf Geld als verbindlichem
Wertmaßstab aufbauen, schon bange werden. Das psychologische
Moment, das dahinter steht, ist in letzter Zeit gerne in einem
Schlagwort zusammengefaßt worden: Gier! Doch greift das nicht
zu kurz? Gerade die Blasenbildung führt doch dazu, dass dem
vermeintlichen Geldwert kein adäquater realer und damit erfahr-
und genießbarer Wert mehr gegenübersteht. Ist es nicht – ebenso
wie bei den Erbauern des neuen Schauspielhauses – auch ein
erheblicher Anteil an jenseits des Materiellen beheimatetem Geltungsdrang,
darauf gerichtet, der Welt zu zeigen, ich kann (mir) etwas leisten,
das kein anderer kann? Wäre das dann eine Insel des Seins-Bewußtseins
in der Welt des Habens? Der Gefährlichkeit des Tuns täte
es allerdings keinen Abbruch.
Kleine Kuriosität zum Schluss: Von dem Verkaufserlös,
den die Commerzbank erzielt hat, wird der Steuerzahler voraussichtlich
nicht einen Cent sehen – dabei hatte er der Commerzbank im
Vorjahr mit 16,4 Milliarden Euro unter die Arme greifen dürfen.
Er kann also getrost weiterhin reale Werte schaffen – materielle
und immaterielle. Tobias Könemann
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