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Wechselvolle Geschichte
Dresden feiert 25 Jahre Wiederaufbau der Semperoper · Von
Michael Ernst Deutschlands schönste Brauerei! Es soll auf dem Dresdner
Theaterplatz tatsächlich – und zwar nicht nur touristische – Nachfragen
geben, ob dieses gewaltige Gebäude zwischen Zwinger und Elbe
die aus der Werbung bekannte Braustätte sei.
Wem es bei derart bloßgestellter Bürgerbildung nicht
die Sprache verschlägt, der könnte mit Ja antworten – denn
was da hinter den historischen Mauern zusammengebraut wird, das
ist durchaus hochprozentig. Es kann abhängig machen. Allerdings,
und hier hört es
erst einmal auf mit den Parallelen: Bier als Kulturgut mag beim
deutschen Volk ja noch angehen, die nachwachsenden Generationen
kommen zumeist ganz von allein auf den Geschmack. Weniger selbstverständlich
verhält es sich (inzwischen?) mit dem Theatergenuss. Da bedarf
es sensibler Anleitung, beständiger Pflege und nicht zuletzt
fürsorglicher Spielplan- und Preispolitik. Barockstadt?
Wenn Dresden heute als Barockstadt gepriesen wird, wird allzu
oft übersehen,
dass neben Pöppelmanns Zwinger und Chiaveris Kirche nicht
mehr viel vom Barock übrig blieb. Die Frauenkirche ist ein
immerhin stilechter Nachbau. Was seitdem um sie herum entsteht,
ist aufgehübschtes Legoland, Pseudostil. Doch wer die Semperoper
barock preist, bedarf einer gehörigen Stilkunde. Fremden Fremdenführern
soll dies regelmäßig unterlaufen. Nicht selten reihen
sie den Wiederaufbau des Hauses dann auch in die per Solidarzuschlag
ermöglichten Bau-leistungen der Zeit nach 1990 ein. Dabei
jährte sich die Eröffnung der jetzigen Semperoper am
13. Februar zum 25. Mal. Zerstörung und Wiederaufbau
Vor einem Vierteljahrhundert, weite Teile Dresdens lagen da tatsächlich
noch in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs, wurde eine akribische
Aufbauleistung abgeschlossen. Originalgetreu nach den erhalten
gebliebenen Plänen Gottfried Sempers, manche Details sogar
noch getreuer als im Original ausgeführt, wurde das in der
Bombennacht vom 13. Februar 1945 zerstörte Theater wiedererrichtet.
Zur Eröffnung gab es – Richard Wagner und Richard Strauss
hätten nahegelegen – Carl Maria von Weber. Ein lokaler
Bezug sollte schon sein; der in Eutin geborene Künstler schrieb
den „Freischütz“ während seiner Kapellmeisterzeit
in Dresden. Und dieses Werk mit der mehrdeutig auslegbaren Wolfsschlucht-Szene
war im August 1944 auch das letzte gewesen, das vor der kriegsbedingten
Schließung des Semper-Baus (in der 982. Vorstellung!) aufgeführt
worden ist.
Dass dieses zwischen 1871 und 1878 errichtete Gebäude gar
nicht von Gottfried Semper, sondern nach dessen Plänen von
seinem ältesten Sohn Manfred ausgeführt wurde, ist inzwischen
beinahe vergessen. Doch Semper senior bekam nach der Revolte vom
Mai 1849 (gemeinsam mit Bakunin, Wagner und vielen anderen) ein
Sachsen-Verbot auferlegt (was wiederum Wien zum Vorteil gereichte,
wo er daraufhin das Burgtheater erbaute). Nur knapp sieben Jahrzehnte
lang bestimmte Sempers Fassade im Stil italienischer Hochrenaissance
das Antlitz des Dresdner Theater- (und ab 1933 Adolf-Hitler-) Platzes. Besuchermagnet
Die Wunden des von Deutschland losgetretenen Krieges schwelten
hier auf den Tag genau vierzig Jahre. Im gegenüberliegenden
Schloss sollte dies noch länger dauern. Seit Februar 1985,
als der politische Popanz die heutige Semperoper wiedereröffnete – genaugenommen
ist dies der dritte Bau, denn von 1841 bis zur Brandkatastrophe
von 1869 stand hier Sempers erste Oper –, hat sich dieses
Theater als Besuchermagnet etabliert. Neben dem von Joachim Herz
inszenierten „Freischütz“ (im Ost- und West-Fernsehen
zeitgleich gesendet!) gab es zur Feier des Hauses Uraufführungen
wie „Cornet“ von Siegfried Matthus, Regie Ruth Berghaus,
und das Ballett „Brennender Friede“ zu Musik von Udo
Zimmermann. In rascher Folge etablierte sich der Musentempel zur
festen Adresse für Wagner- und Strauss-Anhänger, wurde
zum Spielort von Historie und Uraufführung. Stand zunächst
die Frage, ob der langanhaltende Ansturm auf die (damals noch preisgünstigen)
Karten dem Haus oder den Produktionen geschuldet waren, so wäre
heute zu prüfen, ob der imagebeladene Werbeträger mit
der Fünf-Minuten-Uhr oder die kunstsinnige Spielstätte
dreier Sparten – Oper, Ballett und Konzert – zwecks
kultureller Erbauung aufgesucht werden soll.
Verändert hat sich die Kartennachfrage der Einheimischen.
Manche mögen mutmaßen, das Haus sei nach wie vor ausverkauft,
und versuchen schon längst nicht mehr, den Gegenbeweis zu
führen. Die Realistischeren verrechnen die gestiegenen Preise
mit ihrem Einkommensniveau. Wechselndes Stammpublikum entströmt
bunten Bussen sowie den Hotels. Sie buchen Dresden im Kulturpaket.
Längst darbt der lang etablierte Schwarzmarkt, der dem tatsächlichen
Musiktheater-Geschehen ähnlich fern ist wie etwa der seit
2006 jährlich stattfindende Opernball. Der eine wie der andere
Auswuchs ist von der aktuellen Wirtschaftsentwicklung gezeichnet. Regieleistungen
Die sogenannte Fachwelt – veritable Opernfreaks und Kritiker
des Musiktheaters – gibt sich in Sachen Semperoper zerrissen.
Manche preisen die museale Ästhetik, andere schelten das Haus
gerade deswegen. Dabei gab und gibt es, neben platter, hohler Kulinarik,
durchaus exemplarische Regieleistungen auch in Dresden! Harry Kupfers „Katja
Kabanowa“ etwa und Ruth Berghaus‘ „Elektra“ stehen
der keimfreien Ästhetik eines Marco Arturo Marelli entgegen,
Peter Konwitschnys „Verkaufte Braut“, sein „Tannhäuser“ und
die auch juristisch umstrittene „Csárdásfürstin“ verweigern
sich Schönschreibversuchen von Peter Mussbach bis Udo Samel.
In den vergangenen Jahren und Spielzeiten haben so unterschiedliche
Regisseure wie beispielsweise Achim Freyer, Claus Guth, Michael
Hampe, Philipp Himmelmann, Andreas Homoki, Uwe Eric Laufenberg,
Nikolaus Lehnhoff, Johannes Schaaf ihre Handschriften hinterlassen.
Couragierte Haus-Debüts gab es von Annette Jahns, Konstanze
Lauterbach, Vera Nemirova und Katharina Thalbach. Günter Krämers „Fledermaus“-Persiflage
mit fragwürdigem Entertainment stand eigenen Regie-Ambitionen
im Wege, die er bei der Wiederentdeckung von Othmar Schoecks „Penthesilea“ an
den Tag legte. So austauschbare Vielfalt klingt beileibe nicht
nach stringenter Spielplanpolitik, nach „rotem Faden“ schon
gar nicht.
Ewig unvergessen bleibt wohl Beethovens „Fidelio“ in
der Inszenierung von Christine Mielitz. Die Premiere fand zum 40.
DDR-Geburtstag statt. Der wurde bekanntlich mit Lobreden und Straßenschlachten
gefeiert; Dresdens Gefangenenchor assoziierte Mauer und Stacheldraht – ein
mutiger Beweis dessen, was Theater auch kann und eigentlich muss.
Jüngste Achtungserfolge waren der Hinwendung zu Benjamin Britten
(„Peter Grimes“), Hans Werner Henze („L‘Upupa“)
und Paul Hindemith („Cardillac“) zu verdanken, in musikalischer
wie szenischer Hinsicht herausragend gelang erst kürzlich
Händels „Giulio Cesare“, Beachtung verdient demnächst
gewiss die Ausgrabung von Franz Schmidts „Notre Dame“.
Das Werk dieses Glaubensmannes hatte sich Generalmusikdirektor
Fabio Luisi persönlich gewünscht. Dirigieren wird er
es nun aber nicht. Ballett, Kapelle, Chor
Seit ihrer Wiedereröffnung wurde die Semperoper mit unterschiedlicher
Fortune von drei Intendanten geleitet. Max Gerd Schönfelder
wurde 1990 von Christoph Albrecht abgelöst, dem folgte 2003
Gerd Uecker, der zum Ende der laufenden Spielzeit an Ulrike Hessler übergeben
wird. Weit bewegter gingen die Personalwechsel in den einzelnen
Sparten vor sich. Das international bekannte Haus
mit dem offiziellen Namen Sächsische Staatsoper Dresden beinhaltet
ja auch das Ballett, dem einst Tom Schilling und Harald Wandtke,
später Vladimir Derevianko und heute Aaron S. Watkin,
immer aber auch Arbeiten und Gastspiele von William Forsythe über
John Neumeier bis hin zu Uwe Scholz künstlerische Prägung
verliehen. Vor allem ist die Semperoper freilich untrennbar mit
dem laut Eigenwerbung „ältesten kontinuierlich bestehenden
Orchester der Welt“ verbunden, mit der Sächsischen Staatskapelle.
1548 gegründet, ist der Klangkörper mit Namen wie Heinrich
Schütz, Johann Adolf Hasse, mit Weber, Wagner und Strauss
verbunden, wurde geleitet von Koryphäen wie Ernst von Schuch,
Fritz Busch, Karl Böhm, Joseph Keilberth, Rudolf Kempe, Otmar
Suitner, Kurt Sanderling, Herbert Blomstedt, Giuseppe Sinopoli
und Bernard Haitink. Seit 2007 ist der Italiener Fabio Luisi Generalmusikdirektor
der Staatskapelle, ihm wird 2012 Christian Thielemann als Chefdirigent
folgen.
Wegen planerischen Ungeschicks und wohl auch wegen persönlicher
Eitelkeiten ist das Dirigentenkarussell kürzlich mal wieder
außer Takt geraten. Luisi warf vorzeitig hin, mit sofortiger
Wirkung; für seine Positionen im Spielplan musste kurzfristig
Ersatz gefunden werden. Auffällig in diesem Zusammenhang eine
wenigstens verbale Parallele: Als im März 1933 Fritz Busch
nach über zehn Jahren als Generalmusikdirektor der Sächsischen
Staatskapelle aus dem Amt gedrängt wurde, vermerkte er in
seinem Arbeitsbuch knapp „!!! aus“. Doppelt unterstrichen
das Ganze. Im Februar 2010 berichteten die Dresdner Neuesten Nachrichten
unter der fettgedruckten Überschrift „Aus“ vom
Theaterdonner um die fristlose Kündigung Luisis, dessen Vertragszeit
eigentlich im Sommer 2012 enden würde.
Nicht zu vergessen in der Riege der Ensembles: Der Staatsopernchor,
der – trotz Kürzungen und Schließung des Opernchorstudios
im Sommer 2009 – seinen Teil zur exzellenten musikalischen
Qualität des Hauses beiträgt. Zerstörungs-Mahnmal?
Nach dem abrupten Finale – Insiderspott: Immer, wenn Thielemann
anrückt, flieht Luisi (das war in Berlin so, ist nun in Dresden
nicht anders) – stand das Haus vor gewaltigen Problemen.
Allein während der Festtage „25 Jahre Neue Semperoper“ (13.
Februar bis 7. März) waren Konzerte, die Wiederaufnahme von
Hindemiths „Cardillac“ und immerhin zwei „Ring“-Aufführungen
mit GMD Luisi vorgesehen und mussten von verschiedenen Gäs-ten übernommen
werden. Dem schwachen Glanz der eher beliebig wirkenden Festtage
tat dies kaum mehr einen Abbruch. Nach einem ziemlich grandiosen
Alfred Brendel-Projekt Anfang Februar zelebrierte Daniel Barenboim
seine solopianistische Huldigung zum 200. Geburtstag von Chopin,
gab Klaus Maria Brandauer als neue Zusammenarbeit mit der Staatskapelle
den „Ahab“ nach Herman Melvilles Roman „Moby
Dick“ bekannt. Dessen Premiere wird im September 2010 sein,
nicht in der Semperoper, sondern beim Hauptsponsor der Staatskapelle,
der Manufaktur eines Automobilproduzenten, wo nach der Flutkatastrophe
2002 schon Harry Kupfers „Carmen“ Quartier finden konnte.
Mehr als nach vorn wurde in den Festwochen freilich der Geschichte
gedacht, ausführlich auch der Baugeschichte des Hauses. Als
interessante Anregung hat der Architekt des Wiederaufbaus, Wolfgang
Hänsch, die Errichtung eines Mahnmals ins Gespräch gebracht.
Es soll symbolisch den Bühnenschrott der Zerstörung mit
aufsteigenden „Schicksalsvögeln“ verbinden. Flut-Folgen
Eine Brauerei ist dieser Bau nie gewesen, auch wenn bei den beliebten
Hausführungen immer mal wieder nach Braukesseln gefragt wird.
Dass es hinter den geschichtsträchtigen Mauern jedoch beständig
gärt, mag ein gutes Zeichen fortwährenden Aufbruchs sein.
Nur einmal wurde das vor 25 Jahren wiedereröffnete Haus gründlich
durchspült – die Flut im Sommer 2002 hinterließ ihre
schlammigen Spuren auch in diesem Musentempel und vernichtete wertvolle
Bestände. Dem Bewahren der reichen Vergangenheit dient das
gemeinsame Engagement von Staatsoper und Mitteldeutschem Rundfunk:
Der mehrfach prämierten CD-Reihe „Edition Staatskapelle“ folgt
nun eine „Semperoper Edition“. Sie wurde zu den Jubiläumsfeierlichkeiten
erstmals präsentiert.
Michael Ernst |