Teufels Werk und Schwesters Beitrag
Eötvös-Uraufführung und -Premiere in München · Von
Marco Frei
Dass in der bayerischen Landeshauptstadt außerhalb der Münchener
Biennale für neues Musiktheater gleich zwei zeitgenössische
Opern auf einmal zu erleben sind, ist – leider – nicht
gerade gewöhnlich. Umso größer war die Aufregung,
als der ungarische Komponist Péter Eötvös in München
weilte, um zwei seiner Werke zu betreuen (oder zu besuchen); nämlich
einerseits die Premiere seiner „Drei Schwestern“ (Tri
Sestri) nach Anton Tschechow an der Bayerischen Theaterakademie
und andererseits die Uraufführung seiner neuen Oper „Die
Tragödie des Teufels“, die die Bayerische Staatsoper
in Auftrag gegeben hatte. Zwar war der Weltpremiere die größere
Aufmerksamkeit beschieden, dafür aber gewann die Akademie-Aufführung
mit Studenten den Eötvös-Wettlauf.
Denn wenn einem Regisseur zum Tod des Teufels nicht mehr einfällt,
als eine riesige Treppe auf die Bühne zu hieven, die sich
unverändert und immerfort im Kreis dreht – mit einigen
Statisten, die beliebig über die Bühne purzeln (von Protagonisten
kann in Balázs Kovaliks Inszenierung wahrlich keine Rede
sein) –, so ist das schon betrüblich. Dabei geht es
doch in des Teufels Tragödie um abgründige Sozialkritik.
Das Libretto von Albert Ostermaier, der schon beim Musiktheater „Sing
für mich, Tod“ nach dem Leben des Komponisten Claude
Vivier mitgemischt hatte (die Uraufführung war im September
im Rahmen der Ruhrtriennale), fußt auf Imre Madáchs „Die
Tragödie des Menschen“ von 1861. Dieses Drama reflektiert
wiederum teilweise Goethes „Faust“.
Und da ist also der Teufel (vortrefflich: Georg Nigl), der an
der Vertreibung Adams (Topi Lehtipuu) und Evas (Cora Burggraaf)
aus dem Paradies nicht gerade unschuldig ist: In zwölf Bildern
jagt er das Paar durch die Menschheitsgeschichte. Aber: „Das
Böse löst sich von der Figur des Teufels und diffundiert“,
erklärte Ostermaier vorab. Damit werde die Tragödie des
Teufels zur Tragödie des Menschen, weil er das Böse in
sich selbst vorfinde. Größter Unterschied zur Vorlage:
Bei Madách befreit Eva ihren Adam aus den Klauen des Lucifer,
in der Oper bringt Adam – angestachelt von Lucy (Ursula Hesse
von den Steinen) – seine schwangere Eva um. Freilich ließe
sich Ostermaiers Libretto diskutieren; und dass Péter Eötvös
zu den großen Opernschöpfern des späten 20. und
frühen 21. Jahrhunderts zählt, ist sicherlich vollkommen
unstrittig.
Doch schon im Musiktheater „Lady Sarashina“ von 2008
hatte man den Eindruck, dass Eötvös’ klangliche
Erfindungen mitunter am Dekorativen vorbeischliddern und sich etwas
wiederholen. Das könnte man stellenweise auch seiner neuen
Opernkreation vorwerfen, und dennoch: Auch in des „Teufels
Tragödie“ arbeitet Eötvös bühnen- und
publikumswirksam mit verschiedenen musikalischen Materialien, mischt
virtuos die Farben und findet klangdramaturgisch konzise Lösungen,
was das Bayerische Staatsorchester klangsinnlich verlebendigte.
Wie häufig bei Eötvös ist auch hier das Orchester
in zwei Ensembles aufgeteilt: Eines befand sich im hinteren Teil
auf der Bühne, hier musizierten Bläser und fast alle
Streicher (Kodirigent: Christopher Ward).
Das andere leitete Eötvös selbst, es saß im Graben
und war größtenteils mit dem reichhaltigen Schlagwerk
besetzt. Und doch waren es vornehmlich die dezidiert kammermusikalisch
erdachten Momente, die in der konsequenten Reduktion einen schier
unendlichen Reichtum an schöpferischer Erfindung offenbarten.
Dies gilt insbesondere für das neunte Bild („Lucifers
Lied“): Kunstvoll lässt Eötvös hier den ausgedehnten
Monolog des Teufels nur vom Klavier begleiten. Dass Balázs
Kovaliks Regie die bilderreiche Flexibilität des Klangs nicht
erkannte und umsetzte, ist bedauerlich: Vieles erschien allzu hölzern
und starr.
Rosamund Gilmores umsichtige Inszenierung von Eötvös’ Meisterwerk „Tri
Sestri“ von 1998, die zuvor an der Bayerischen Theaterakademie
Premiere hatte, zeigte, dass es auch anders geht: Ihre Regie schenkte
der Musik sehr viel Raum zur Entfaltung. Stimmlich und darstellerisch
leisteten die Gesangsstudenten Großes, wobei sie nicht zuletzt
vom fantastisch gestaltenden Münchner Rundfunkorchester unter
der musikalischen Leitung von Ulf Schirmer profitierten (Kodirigent:
Joachim Tschiedel). So wünschte man sich eine derart sinnstiftende
Inszenierung auch für des Teufels Tragödie, und dass
Eötvös in seiner neuen Oper keinen Countertenor einsetzt – im
Gegensatz zur Originalfassung der „Drei Schwestern“,
die für die Produktion der Bayerischen Theaterakademie leider
nicht gewählt wurde –, ist ebenfalls schade.
Marco Frei
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