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Verzweifelte Hausfrauen
„Don Giovanni“ in Bremen · Von Bettina Beutler-Prahm
„Musikjournalismus in Online- und Printmedien“ – Kann
man damit Geld verdienen, was macht man da genau, und wie zum Teufel
schreibt man eigentlich eine Musikrezension? Letzteres konnte in
dem aktuellen Seminar am Institut für Musikwissenschaft und
Musikpädagogik der Universität Bremen durch den Besuch
der Opernpremiere „Don Giovanni“ in Bremen und einer
beispielhaft für „Oper & Tanz“ geschriebenen
Rezension auch praktisch geübt werden. Wir danken der Redaktion
für den Abdruck des Textes von Bettina Beutler-Prahm.
Die Bremer Inszenierung von Andrea Moses tritt mit dem Anspruch
an, „den ‚Wüstling‘ Don Giovanni aus der
Perspektive der auf ihn fixierten Frauen unter die Lupe“ nehmen
zu wollen – den begnadeten Verführer, der am Ende seiner
Karriere seinem Register mit möglichst vielen sozialen Regelverstößen
immer mehr Frauen hinzufügen muss, um gegen die innere Leere
anzukämpfen. Die Botschaft hört man wohl – allein,
es hapert an der Umsetzung. Das von Christian Wiehle entworfene
gläserne Motel mit Bar, Garagen und Ausverkaufsreklame im
Parterre sowie monoton eingerichteten Schlafzimmern im Obergeschoss
fing die deprimierende Grundstimmung bereits während der Ouvertüre
brennpunktartig ein – diesem Ambiente mit seinem drehbaren
Einheitsbühnenbild entkamen die Protagonisten während
des gesamten Handlungsverlaufs nicht mehr.
Die weitere Umsetzung der Idee stellte sich jedoch zunehmend wie
ein einziger großer Irrtum dar. Gemeinsam mit dem Protagonisten
wurde der Zuschauer auf Sinnsuche zum Ausgleich der im Programmheft
beschworenen „tief empfundenen Leere“ geschickt. In
der auf Bewegungstheater in jeder Hinsicht setzenden Inszenierung
reihten sich durchaus witzige Einfälle wie beispielsweise
eine die Registerarie Leporellos begleitende iPhone-Diashow an
belanglose Peinlichkeiten zur Überbrückung interpretatorischer
Inkonsistenzen und Einfallslosigkeit. Niemand hielt jemals still,
alle zappelten oder turnten entweder herum oder mussten sich in
die Musik karikierende Tanzeinlagen fügen – die Frauenriege
als „desperate housewives“.
Die Verulkung der Protagonisten war stellenweise durchaus kurzweilig
und vergnüglich, das Premierenpublikum amüsierte sich
entsprechend und sparte nicht mit Szenenapplaus. Andrea Moses gibt
in ihrer Inszenierung den komischen, leichten Elementen der Oper
ihren Raum, versagt aber letztlich bei der Interpretation der menschlichen
Tragik; Passagen wie beispielsweise Donna Annas Trauer über
den getöteten Vater oder ihre wiederholte Zurückweisung
Don Ottavios wurden mit bestenfalls humorvollen, im Übrigen
platten, küchenpsychologischen Aktionen gefüllt. Erst
im zweiten Finale konnte mit dem Auftritt des Komturs die der Musik
innewohnende dramatische Tiefe und letztlich auch Ruhe einkehren.
Die von GMD Markus Poschner vorgelegten zügigen Tempi forderten
die Sänger vor allem in den Arien. So machte sich stellenweise
Gehetztheit breit und ließ die Intonation der Sänger
steigen, was vor allem die im Übrigen mit warmem Klang zauberhaft
gesungenen Arien von Luis Olivares Sandoval als Don Ottavio beeinträchtigte.
Auch der für die dramatischen Passagen der Donna Anna letztlich
zu leicht und hoch timbrierte Sopran von Sara Hershkowitz verstärkte
den bereits durch die Personenführung hervorgerufenen Eindruck
einer gewissen Rastlosigkeit. Der Zerlina, von Nadine Lehner mit
rundem, flexiblem Stimmklang und großen schauspielerischen
Fähigkeiten dargestellt, erlegte die Regie eine dermaßen
routinemäßige Erotik auf, dass es schwerfiel, ihr die
Rolle abzunehmen. Dies tat der erfreulichen musikalischen Leistung
des jungen Alberto Albarrán als Masetto jedoch keinen Abbruch.
Das Orchester, das mit historisch informiertem Zugriff musizierte,
ließ die Feinheiten der Partitur gekonnt hindurchschimmern,
ohne dabei über sich hinauszuwachsen, der Chor präsentierte
sich bei seinen wenigen Auftritten souverän.
Wirklich gelungen wirkte die Aufführung eigentlich nur an
den Stellen, in denen sich die Regie so weit zurücknahm, dass
die im musikalischen Werk angelegte Dramaturgie zum Zuge kommen
konnte, vor allem bei den Auftritten des Komturs und den rezitativischen
Wortgefechten zwischen Don Giovanni und Leporello. Das Regiekonzept
lässt die Handlung durch permanente Privatisierung jedoch
häufig buchstäblich ins Leere laufen: So muss der Komtur
im zweiten Finale ziemlich unvermittelt auftreten und sich auf
den Souffleurkasten stellen, um zum steinernen Gast und damit den
Vorgaben des Librettos gerecht zu werden. Dies sowie die stellenweise
Missachtung der Musik durch Dazwischenreden und absichtliches Falschspielen
grenzt an Respektlosigkeit gegenüber dem Werk, die eigentlich über
das hinausgeht, was erforderlich wäre, um das Stück zu
entstauben und neue, interessante Aspekte zu beleuchten. Es mag
durchaus sein, dass die Intentionen lauterer waren – so wie
sich der Don Giovanni an diesem Abend präsentiert hat, bleibt
jedoch der unangenehme Eindruck, die Regie habe die Oper missbraucht,
um das Publikum auf Kosten des Stückes zu amüsieren.
Bettina Beutler-Prahm |