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„Star Wars“ des 17. Jahrhundets
Philipp Glass Oper „Kepler“ in Linz uraufgeführt · Von
Wolfgang Huber-Lang Fünfzehn Jahre lang lebte und arbeitete der große Astronom
und Mathematiker Johannes Kepler (1571-1630) in Linz. Dieses nur
Eingeweihten vertraute Detail aus seinem Leben war Anlass für
die Programmverantwortlichen von „Linz 2009 Kulturhauptstadt
Europas“, eine Oper über den Erforscher der Planetenbewegung
in Auftrag zu geben. Dank seiner Freundschaft mit Dennis Russell
Davies, Chefdirigent des Bruckner Orchesters und Opernchef am Landestheater
Linz, konnte der US-Komponist Philip Glass – in der oberösterreichischen
Landeshauptstadt in den vergangenen Jahren bereits mit „The
Voyage“ und „Orphée“ vertreten – für
die Komposition gewonnen werden. Die Uraufführung seiner „Kepler“-Oper
am 20. September am Linzer Landestheater wurde ein umjubelter Erfolg.
Glass, der sich schon mit „Einstein on the beach“ (1976)
und „Galileo Galilei“ (2002) großen Physikern
gewidmet und auch ein Projekt über Isaac Newton in Planung
hat, entschied sich im Internationalen Jahr der Astronomie gegen
eine herkömmliche Handlungs-Oper und für ein „inneres
Porträt“ Keplers, das die Grundzüge seiner revolutionären
Gedanken sichtbar machen sollte. Bezüge zu seinem Aufenthalt
in Linz, wo er als Mathematik-Professor unterrichtete und seine „Harmonices
Mundi“ mit dem dritten Gesetz der Planetenbewegung veröffentlichte,
sucht man daher im Libretto der Theatermacherin Martina Winkel
vergeblich. Sie hat Tagebucheinträge Keplers und Bibelzitate
zusammengestellt. In lateinischer wie in deutscher Sprache entwickelt
sich so der Grundkonflikt zwischen dem menschlichen Erkenntnisstreben
und der kirchlichen Forderung, den göttlichen Willen gehorsam
und unhinterfragt zu akzeptieren. Gedichte von Andreas Gryphius
werden dazu verwendet, die abgehoben wirkende und himmelwärts
gerichtete Denkanstrengung mit den höchst irdischen Schrecken
des Dreißigjährigen Krieges zu konfrontieren. Das „echte
Theatererlebnis“, das sich Rainer Mennicken, als Linzer Landestheater-Intendant
Co-Auftraggeber der Oper, von der Produktion gewünscht hatte,
erforderte also vom Publikum eine gewisse Bereitschaft zur Abstraktion.
Glass hat für „Kepler“ seinen eingängigen,
aus Wiederholung und Variation gewobenen Klangteppichen, die sich
seit dem Film „Koyaanisqatsi“ in den Gehörgängen
auch eines breiten Publikums festgesetzt haben, einen fordernden,
treibenden Grundgestus verliehen. Manchen ruhigen, zur Meditation
einladenden Passagen, in denen sich alles, nicht nur die Planeten,
in geordneten Bahnen zu bewegen scheint, steht eine weitaus stärker
spürbare latente Unruhe gegenüber: Der Griff nach den
Sternen, so harmlos geometrisch-abstrakt er auch formuliert sein
möge, rührt an die letzten Dinge, zumal bei Kepler die
bis dato gültigen Kreisbahnen zu Ellipsen wurden. „Es
ist bereits ein großer Trost, dass man uns nicht verbrennt,
sondern gewährt, dass wir am Leben bleiben“, singt er.
Johannes Kepler gilt die einzige ausgeformte Rolle und die einzige
Solostimme. Der erste Akt konzentriert sich dabei auf seine wissenschaftliche
Tätigkeit, der zweite auf sein persönliches Leben. Der
Tiroler Bassbariton Martin Achrainer meistert den Part eindrucksvoll.
Dass er zwischen lebender Aufbahrung und gravitätischem Schreiten
nur wenig darstellerische Akzente setzen kann, liegt am Charakter
dieser zweiundzwanzigsten Glass-Oper, die mehr Oratorium als Musiktheater
ist. Rund um Kepler agieren sechs von Kostümbildner Karel
van Laere in weiße Gewänder gehüllte Solisten (zwei
Sopranistinnen, ein Mezzosopran, sowie je ein Bass, Tenor und Bariton – bei
der Premiere gesungen von Cassandra McConnell, Karen Robertson,
Katerina Hebelkova, Pedro Velázquez Díaz, Seho Chang
und Florian Spiess). Fungiert dieses Vokalsextett als Echo oder
innere Stimme, stellt der von Georg Leopold hervorragend einstudierte,
junge und international besetzte Landestheater-Chor das Umfeld
des Denkers dar. Mit seinen lateinischen Passagen erinnert er nicht
selten eher an eine Messe als an eine Oper des 21. Jahrhunderts,
immer wieder übergeworfene knisternde Metallfolien reflektieren
das grelle Bühnenlicht.
Der flämische Videokünstler und Regisseur Peter Missotten
versetzt in Ermangelung einer umzusetzenden Handlung selbst alles
in Bewegung, um der vorwärts drängenden Musik auch auf
der Bühne eine Entsprechung zu geben: Immer wieder ist die
Drehbühne im Einsatz, Videoprojektionen setzen das menschliche
Auge und die Planeten in Beziehung, kantige Bauteile, die an die
dekonstruktivistische Architektur der österreichischen Baukünstler
Coop Himmelb(l)au erinnern, senken sich unendlich langsam und bedrohlich
vom Schnürboden herab, um später wieder hochgezogen zu
werden. In diesem Ambiente sind die „Star Wars“ präsenter
als die Sternengucker des 17. Jahrhunderts.
Die Sterne scheinen für die „Kepler“-Uraufführung
jedenfalls günstig gestanden zu haben. Der Jubel am Ende war
groß und lautstark, der Komponist glücklich. Bis 9.
Januar sind Vorstellungen in Linz angesetzt. Dazwischen gastiert „Kepler“ im
November in einer konzertanten Version an der Brooklyn Academy
of Music.
Wolfgang Huber-Lang
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