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Kulturpolitik

Planlose Zerstörung

Aufruf zum bürgerlichen Widerstand in Thüringen · Von Stefan Meuschel

Viel Regierungserfahrung zu sammeln, hatten die Thüringer keine Gelegenheit. Ihr im fünften Jahrhundert entstandenes kleines Königreich wurde schon in der Mitte des sechsten von den Franken und Sachsen zerschlagen, und dem Geschlecht der Ludowinger, das 1130 die Thüringer Landgrafschaft errichtet hatte, gebrach es wegen Kreuzfahrereien und Sängerwettbewerben an der Zeit, für Nachkommenschaft zu sorgen. Als es 1247 ausstarb, fiel Thüringen an die sächsischen Wettiner. Und die teilten: erst sich selbst in die Ernestiner und die Albertiner Linie, dann die westthüringisch-albertinischen Gebiete in so viele Duodezherrschaften, dass einerseits die deutsche Klassik, andererseits die standesgemäße Vermehrung im europäischen Adel gesichert war.

Die meisten dieser Krümelstaaten schluckten 1803 die Preußen, die verbliebenen Herzog- und Fürstentümer wurden 1920 mit Weimar als Hauptstadt zu einem neuen Land Thüringen vereinigt, das allerdings bereits 1934 seine Selbständigkeit wieder verlor. Die lebte zwar 1945 wieder auf, endete jedoch schon 1952 mit der Bildung der Bezirke Erfurt, Gera und Suhl. Gerade mal 21 Jahre hatten die Thüringer in der Neuzeit also die Chance, eigenverantwortlich das Regieren zu üben, bevor ihr neuer Freistaat mit Erfurt als Landeshauptstadt 1990 das Licht der Geschichte erblickte.

Und 21 Jahre sind für das Erlernen verantwortungsvoller Regierungsarbeit eindeutig zu wenig. Wäre das anders, gäbe es für die jüngsten kulturpolitischen Entgleisungen der von Ministerpräsident Dieter Althaus geführten CDU-Regierung nicht einmal eine Erklärung. Sie hat einen Plan zur „Neuordnung der Thüringer Theaterlandschaft“ des Inhalts vorgelegt, die Landesförderung für die Theater und Orchester ab dem Jahr 2010 von derzeit 60 auf 48 Millionen Euro abzusenken, wobei für jedes Theater, für jedes Orchester exakt dargelegt ist, mit welchen Betriebszuschüssen es künftig wird rechnen können (die Zahlen sind in Oper&Tanz Ausgabe 4-06 S. 6 dokumentiert). Als hätten die betroffenen Städte und Theater froh zu sein, so glimpflich davonzukommen, schickt die Finanzministerin Birgit Diezel die Ankündigung hinterher, 2014 würde die jährliche Fördersumme um weitere zehn Millionen Euro gekürzt. Der Ministerpräsident will das zwar nicht bestätigen, verweist aber auf die angespannte Haushaltslage.

Der zuständige Kultusminister, Mathematik-Professor Jens Goebel, spielt indes die Unschuld vom Lande. Das alles seien doch nur Vorschläge, beschwichtigt er und schiebt die Verantwortung für die Zukunft der thüringischen Theater und Orchester den Rechtsträgern, also den Städten zu. Da der Freistaat selbst keine Bühne unterhalte, lediglich den Theater und Orchester betreibenden Städten Betriebszuschüsse gewähre, obliege es diesen, die entsprechenden theaterunternehmerischen Entscheidungen zu treffen. Am Beispiel Nordhausen hieße dies, dass die Gesellschafter die bislang 4,3 Millionen Euro, die sie für die Finanzierung von Theater und Orchester jährlich aufbringen, auf 7,4 Millionen Euro aufstocken müssten, um die Kürzung des Landeszuschusses von 4,9 auf 1,5 Millionen Euro auszugleichen. Da auch der Kultusminister weiß, dass die beiden hoch verschuldeten Städte Nordhausen und Sondershausen mit fast 20-prozentiger Arbeitslosenquote selbst bei bestem Willen ihrer Stadtparlamente nie und nimmer in der Lage sein werden, die ab 2010 fehlenden 3,4 Millionen Euro aufzubringen, ist sein Gerede pure Heuchelei. Seine „Neuordnung“ bedeutet für Nordhausen/Sondershausen das Ende als eigenständiger Theater- und Orchesterstandort. Gleiches gilt für Eisenach und Rudolstadt, erst recht für die Thüringen Philharmonie Gotha-Suhl, die überhaupt keine Landeszuschüsse mehr erhalten soll. Nach dem zwar noch nicht ausdrücklich erklärten, aber erkennbaren Willen der CDU-Regierung des Freistaates Thüringen soll es bis 2014 nur noch drei Mehrspartentheater im ehemaligen Kulturland geben: Meiningen in Südthüringen, die Theater & Philharmonie Thüringen in Altenburg-Gera und ein Theaterkombinat Erfurt-Weimar, über dessen Sitz und Struktur wieder ebenso gerätselt und gestritten werden darf, wie das seit 1993 üblich ist. Letzteres ist kein Zufall. Gäbe es in Thüringen einen die Beamtendiktatur attackierenden Günter Verheugen, so würde dieser auf den damals wie heute amtierenden Theaterreferenten im Kultusministerium hinweisen: Eberhard Langenfeld steuerte das 1993iger Konzept, die 1997iger Everding-Kommission und die Bemühungen der damaligen Ministerin Dagmar Schipanski, das DNT Weimer zu amputieren und irgendwie mit Erfurt zusammenzuführen. Der „Sieger“ von damals, noch nicht einmal fünf Jahre ist es her, Weimars Generalintendant Stephan Märki, erklärte denn auch, als er von Goebels „Neuordnung“ hörte, mit den ab 2009/2010 vorgesehenen Fördermitteln für Erfurt und Weimar ließe sich nur noch ein Haus erhalten, das dann das andere mitbespielen müsse.

Zur Rechtfertigung des vorgesehenen kulturellen Kahlschlags macht die Regierung in Erfurt ausschließlich fiskalische Gründe geltend: Der Landeshaushalt müsse angesichts sinkender Einnahmen und hoher Verschuldung entlastet werden und die, so wörtlich „kulturelle Überversorgung“ biete auf diesem Sektor Spielräume für Sparmaßnahmen. In Anbetracht der Tatsache, dass Thüringen lediglich 1,3 Prozent seines Haushalts in Höhe von rund 9,2 Milliarden Euro für kulturelle Zwecke aufwendet und Goebels „Neuordnung“ gerade mal 0,09 Prozent ausmachen würde, verrät diese Argumentation, welch Geistes Kind die Erfinder der „Neuordnung“ sind.

Es geht ihnen nur um Haushalts-, nicht um Kulturpolitik. Es wird nicht nach vernünftigen Lösungen gesucht, es wird keine Strukturdebatte geführt, sondern es wird um eines lächerlichen haushaltspolitischen Effekts wegen eine flächendeckende Zerstörung gewachsenen kulturellen Reichtums in Kauf genommen. Buchstäblich ohne Rücksicht auf Verluste an kulturellem Erbe, an städtischen Strukturen, an Bildungsmöglichkeiten oder auch touristischer Attraktivität. Diese „Neuordnung“ ist keine motivierende Reform, sondern ein Aufruf zum bürgerlichen Widerstand, der sich zwischen Rudolstadt und Nordhausen, Eisenach und Weimar schon zu regen beginnt. Es sollte doch möglich sein, einer CDU-Regierung zu zeigen, wie Werte-Debatten ablaufen.

Stefan Meuschel


Den regionalen Protest gegen die als „Neuordnung der Thüringer Theaterlandschaft“ getarnten Pläne des Kultusministers Jens Goebel, die Landeszuschüsse für Theater und Orchester um rund zwölf Millionen Euro zu kürzen, will die neu gegründete INITIATIVE ERHALT THÜRINGER KULTUR
bündeln und verstärken. Koordinator ist der Weimarer Architekt Peter Mittmann, Großmutterleite 18, 99425 Weimar, Telefon: 03643/77 95 52, Telefax: 77 95 54, E-Mail: mittmann@mittmann.de.

[siehe auch: www.erhaltet-thueringens-kultur.org, E-Mail: info@erhaltet-thueringens-kultur.org. Telefon: 03646/492 06 74]

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