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Der Oper die Flügel gestutzt
Henzes „L’Upupa“ in Hamburg · Von Christian
Tepe
Einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt Hans Werner
Henzes jüngste, in Hamburg als deutsche Erstaufführung
präsentierte Oper „L’Upupa und der Triumph der
Sohnesliebe“. Die Partitur wartet mit einer Fülle erlesener
Kostbarkeiten auf, die Simone Young und die Philharmoniker Hamburg
zu einem dynamisch fein differenzierten, in stimmungshaften Farben
funkelnden Klangbild zusammensetzen. Zur Krux wird das schwächelnde
Libretto, das sich der mit dem Metier des Musiktheaters doch eigentlich
bestens vertraute Komponist selbst zurechtgezimmert hat. Gänzlich
unverständlich bleibt, warum das Regieteam keinen Rettungsversuch
wagt.
Die Öffentlichkeit kennt Henze als politisch wachen Künstler:
Mit seinen als „ein deutsches Lustspiel“ betitelten
„elf Tableaus aus dem Arabischen“ schwebt ihm ein poetischer
Gegenentwurf zu den ideologischen Zerrbildern des Westens von der
orientalisch-islamischen Kultur vor. Ob es deshalb in dem Märchen
nur so von hochherzigen Tyrannen wimmelt, durch deren Wunderreiche
ein aus dem Geist der deutschen Neoromantik entsprungener idealistischer
Jüngling vagabundiert? Ziel der abendfüllenden Abenteuerreise
Al Kasims ist es, seinem Vater, dem Großwesir, die entflogene
Upupa zurückzubringen. Der Wiedehopf ist für den alten
Mann ein Lebenselixier. Das Tier versinnbildlicht die Macht der
Schönheit und steht für die nicht domestizierbare Natur.
Mit brillant realisierten Tonbandzuspielungen von schemenhaften
Naturlauten wie dem immer wiederkehrenden Flügelschlag des
Wiedehopfes versucht Henze eine Art Naturreservat in die Musik zu
integrieren. Was als Kontrast zwischen Kunst und Natur, zwischen
Zivilisation und Freiheit gedacht sein mag, bleibt aber scheinhaft,
insofern der auf das Band geheftete Tierlaut zum denkbar künstlichsten
Geräusch, zu einem aller Unmittelbarkeit und Unberechenbarkeit
beraubten toten Schall mutiert. Im Zeitalter einer jeden organischen
Ton erstickenden Akustik aus der Retorte, vom Straßenlärm
bis zum Vogelgezwitscher auf Meditationskassetten, hat die Musique
concrète ihren Reiz verloren. Jedenfalls solange sie der
Natur zum Sprechen verhelfen soll.
Zu guter Letzt schenkt der Großwesir, geheilt vom Zwang des
Festhaltenwollens, dem Wiedehopf die Freiheit, um in der „blauen
Stunde“ auch von seinem zu neuen Eskapaden aufbrechenden Lieblingssohn
innerlich Abschied zu nehmen. Das sind musikalisch die stärksten
Momente des Abends. In dem rein instrumentalen Herbstgesang dieses
elften Tableaus ist die Nähe des Todes zu spüren: ein
Sterben ohne affirmative Sinngebung, klar und bewusst. Mit traumwandlerischer
Einfühlungsgabe und einer unforcierten Intensität verleihen
Young und das Orchester den zartgeäderten, geheimnisvollen
Klängen die erforderliche emotionale Tiefe.
Vielleicht nimmt die Musik des letzten Bildes aber auch deshalb
so sehr gefangen, weil es hier endlich einmal nicht mehr darum geht,
den geradezu verlegen machenden Text des Librettos zu veredeln.
Dessen gespreizte Esoterik wird von Josef E. Köpplinger (Inszenierung
und Licht) und Rainer Sinell (Bühne) ohne Einspruch verdoppelt
und bebildert. Fade Opulenz einer modisch austauschbaren Showbiz-Optik
soll konzeptionelle Ideenlosigkeit übertünchen. Die belanglose,
zuckrig-brave Oberfläche verhindert jeden Ansatz einer kritisch
deutenden Gestaltung. Es ist wie Fernsehen, nur leider ohne Taste
zum Ausstellen.
Für etwas Belebung sorgt das gut disponierte Ensemble. Unbekümmert
von Fragen einer zeitgenössischen Weiterentwicklung des Operngesangs
hat der Komponist die Solisten mit dankbaren Partien bedacht. Ha
Young Lee bewährt sich als jüdisches Mädchen Badi´at
mit nahezu schwerelos geführtem Koloratursopran. Eine Spur
zu trocken für den heldenhaften Al Kasim bleibt der kultivierte
Bariton Teddy Tahu Rhodes. Als freundlicher Dämon und Alter
Ego des Al Kasim beschert ein grandioser Roberto Saccà geschmeidig-facettenreichen
Wohllaut. Voller komödiantischer Beredsamkeit singt und agiert
das achtköpfige, von Florian Csizmadia bewährt einstudierte
Vokalensemble aus dem Staatsopernchor.
Doch es bleibt an die Binsenweisheit zu erinnern, dass überzeugendes
Musiktheater mehr ist als nur tadelloser Gesang. Nach einem dekorativ
harmlosen „Sommernachtstraum“ von Britten wurden in
Hamburg nun auch Henzes „L’Upupa“ die Flügel
gestutzt. Wer folgenlose Unterhaltung und genießerisches Vergessen
sucht, mag zufrieden sein. Von dem ungeheuerlichen, aufrüttelnden
Erlebnis Oper ist das alles weit entfernt.
Christian Tepe
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