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Aus der „taktlos“-Sendung zum Thema „Stimmen“ in Würzburg

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Kulturpolitik

Singen wir wieder?

Aus der „taktlos“-Sendung zum Thema „Stimmen“ in Würzburg

Im Vorfeld der Bundesschulmusikwoche im September in Würzburg, veranstaltet vom Verband Deutscher Schulmusiker (VDS), ging es in der „taktlos“-Sendung des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung am 6. September um die Frage: „Singen wir wieder?“ Das Thema des Kongresses für über 1.500 Musiklehrer an allgemein bildenden Schulen hieß in diesem Jahr „Stimmen“. Theo Geißler sprach im Bayerischen Rundfunk mit der Gesangsprofessorin Marie-Louise Gilles, mit Markus Köhler, Schulmusiker, stellvertretender Bundesvorsitzender des VDS und Verbandsvorsitzender in Bayern, sowie mit der Erzieherin Diana Schmitt, deren Kindergarten in Bergrheinfeld mit dem „Felix“ ausgezeichnet wurde, einem Gütesiegel des Deutschen Sängerbundes für das Singen in Kindergärten.

Theo Geißer: Herr Köhler, beschäftigen sich die Schulmusiker explizit mit dem Thema „Stimmen“, um auf ein Defizit des aktuellen Musikunterrichts hinzuweisen?

Markus Köhler: Es ist sicherlich so, dass Singen oder auch die Stimme in den letzten Jahren ihren zentralen Stellenwert wieder gewonnen haben. Wenn wir an die sechziger, siebziger Jahre denken, dann hat sich sicherlich in den letzten 10 bis 20 Jahren die Situation verbessert. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass Musikunterricht mehr beinhalten muss als nur das reine Singen. Es geht um den Umgang mit der Stimme und um eine sorgfältige vokalpraktische Arbeit.

 
Markus Köhler und Diana Schmitt im Gespräch. Fotos: M. Hufner
 

Markus Köhler und Diana Schmitt im Gespräch. Fotos: M. Hufner

 

Geißler: Frau Schmitt, Sie wurden kürzlich mit dem „Felix“ ausgezeichnet. Haben Sie in Ihrem Kindergarten besondere pädagogische Konzepte? Irgendwelche Besonderheiten beim Einstieg ins Singen mit den Kindern?

Diana Schmitt: In erster Linie steht bei uns die Freude am Singen im Vordergrund. Diese Freude geben wir an die Kinder weiter. Da braucht man gar nicht so viel im Hintergrund, wenn man diese Freude in den Tagesablauf einbringt.

Geißler: Am anderen Ende der Gesangsausbildungsleiter ist Marie-Louise Gilles beheimatet. Sie betreuen ja im Grunde genommen die schönsten Früchte der Arbeit von Herrn Köhler und auch von Frau Schmitt. Hat sich bei den bundesrepublikanischen Gesangsstudenten etwas getan? Merkt man, dass da gute Vorarbeit geleistet wurde?

Marie-Louise Gilles: Vor allem weiß ich, wie wichtig es ist, dass man unten sät, um oben ernten zu können. Aber es ist noch lange nicht so weit, dass das, was an Basisarbeit von Kindergärtnerinnen, Erzieherinnen und Schulmusikern geleistet wird, oben ankommt. Das Bild ist noch ziemlich traurig. Wir quälen uns immer noch durch die Aufnahmeprüfungen, und es singt niemand mehr so, wie man es sich wünscht und wie es einmal war.

Köhler: Es geht zunächst mal darum, das Fach Musik an allgemein bildenden Schulen auch als allgemein bildendes Fach zu sehen. Es kann nicht Aufgabe irgendeines Schulfaches sein, auch am Gymnasium nicht, auf einen bestimmten Studiengang explizit vorzubereiten. Selbstverständlich ist es unsere Aufgabe, Talente zu finden, Talente zu fördern und diese Talente dann an die richtigen Stellen weiter zu geben. Aber genauso wie ein junger Geiger, Pianist oder Saxophonist dann gezielten Instrumental-Unterricht bekommen muss, ist es natürlich auch für jemanden, der sich stimmlich äußern möchte, wichtig, in frühen Jahren eine entsprechende Gesangsausbildung zu erhalten. Dass das Ganze dann mit Spaß und Freude durch die Arbeit in Schulchören und durch das Singen in der Klasse unterstützt wird, ist selbstverständlich.

Geißler: Fehlt es vielleicht an dieser Unterstützung in der Breite? Wie sollte die aussehen? Haben wir nicht genug Privatmusikerzieher im Bereich der Stimmbildung?

Gilles: Es gibt viel zu wenig richtig stimmtechnisch ausgebildete Erzieherinnen. Die singen zwar mit den Kindern, aber meistens viel zu tief und unphysiologisch. Ich habe meinen Studenten immer gesagt: Du kannst mit einem Holzbein gehen, du kannst mit einem falschen Gebiss kauen, aber wenn deine Stimme kaputt ist, ist das irreparabel. Da muss die Stimmtechnik in den Lehrplänen für die Lehrenden einen größeren Stellenwert bekommen.

Geißler: Frau Schmitt, haben Sie in Ihrer Ausbildung alles gelernt, was Sie an Handwerkszeug brauchten, um jetzt mit den Kindern musikalisch so gut umzugehen, oder ist eher die Erfahrung im Laufe der Zeit gewachsen?

Schmitt: Wir hatten in der Ausbildung schon Musikunterricht und haben auch einzelne Elemente behandelt. Zum Beispiel die Instrumente: Wie werden sie genannt, wie werden sie gespielt? Man hat auch Lieder dazu gesungen. In den letzten Jahren hat sich aber in der Erzieherausbildung mehr getan als wir damals hatten. Was wir tun, ist eher in der Praxis gewachsen.

Geißler: Wie ist es mit der Ausbildung gerade von Lehrern an Grund- und Hauptschulen im Bereich Musik? Werden die mit ausreichenden Kenntnissen ausgestattet um einen guten Musikunterricht machen zu können?

Köhler: Dazu muss zunächst einmal sichergestellt werden, dass überhaupt Grund- und Hauptschullehrer ausgebildet werden, die auch das Fach Musik studieren. Glücklicherweise sind wir hier in Bayern auf dem richtigen Weg. Da ist es seit einigen Jahren so, dass wirklich jeder angehende Grundschullehrer eine Basisqualifikation in Musik bekommt, in die auch der Bereich Stimme integriert ist. Wenn wir aber dann in unsere Grundschulen schauen, stellen wir fest, dass dort an den wenigsten Schulen wirklich qualifizierte Musiklehrer vorhanden sind, dass der Musikunterricht in der Regel von den Klassenlehrern erteilt wird. Es ist leider so, dass Musikunterricht an den Grundschulen nur sehr sporadisch stattfindet. Es gibt natürlich auf der anderen Seite der Skala auch viele Schulen, an denen der Musikunterricht eine bedeutende Stellung hat. Aber ich würde mir sehr stark mehr Schulen wünschen, wo diese Bedeutung erkannt wird und wo eben auch mehr Kollegen dieses Fach unterstützen können.

Geißler: Singen lernen ist ja etwas anderes als ein Instrument lernen. Man ist beschränkt oder eben auch beschenkt mit einer natürlichen Ausstattung, mit dem Stimmapparat. Den kann man dann mit mehr oder weniger Erfolg trainieren. Andererseits ist das Singen eine uralte kulturelle menschliche Ausdrucksform und der Satz „Jeder kann singen!“ ist angeblich zumindest unwiderlegt. Aber nicht jeder mag singen. Und wenn man singt, gibt man sehr viel preis von seiner eigenen Persönlichkeit. Das führt gelegentlich zu Paranoia-Effekten, die einen dann blockieren mögen.

 
Marie-Louise Gilles, Opernsängerin und Gesangspädagogin.
 

Marie-Louise Gilles, Opernsängerin und Gesangspädagogin.

 

Gilles: Natürlich kann jeder singen. Jeder kann auch laufen. Aber ob er so schnell laufen kann wie ein Olympialäufer, das ist die Frage. Dazu gehört eine gewisse Begabung und es gehört auch ein Stimmmaterial dazu, das geeignet ist, so geschliffen zu werden, dass es dann wirklich ein Juwel wird. Man kann auch einen Kieselstein schleifen. Aber das wird noch lange kein Brillant.

Geißler: Auf der anderen Seite gibt es dann eher exhibitionistische Shows wie „Deutschland sucht den Superstar“. Für junge Leute steckt in diesem Rock- und Pop-Bereich eine riesige Faszination. Dieser Gesang unterscheidet sich natürlich sehr stark vom Belcanto. Wie geht es Ihnen, Frau Schmitt, mit den Kindern, die um Sie herum sind? Stehen die eher auf Britney Spears als auf Anna Netrebko?

Schmitt: Mit Britney Spears liegen Sie gar nicht so falsch. Es kommt wirklich vor, dass Kinder CD’s mitbringen und die anhören wollen. Aber ich denke, in erster Linie kommt es darauf an, dass sie Spaß dabei haben. Man sät, wie Frau Gilles schon gesagt hat, im Kindergarten die Wurzeln. Da kommt es nicht darauf an, in welche Richtung das geht. Singen, Singen, Singen ist das Entscheidende. Da sollten sich auch die Erzieherinnen trauen, die denken: „Oh Gott, ich kann ja gar nicht so gut singen.“ In erster Linie kommt es darauf an, die Kinder dafür zu begeistern.

Geißler: Man sagt ja, in der Schule hört dann so langsam der Spaß auf. Aber wenn ich immer nur Kaugummi gekaut habe, fällt mir hinterher das Abnagen von Knochen schwer.

Gilles: Es gibt tatsächlich einen Netrebko-Effekt. Dafür, dass viele wieder Freude an der Klassik haben, hat sie wirklich ein Bresche geschlagen.

Geißler: Die Pop- und Rock-Konkurrenz mit ihrer Ästhetik, die sie transportiert, ist aber doch ziemlich groß.

Gilles: Es ist natürlich viel leichter zu konsumieren, als sich der strengen Zucht einer Gesangsausbildung zu unterwerfen. Natürlich geht das schnell: Ein Popsternchen macht den Mund auf, hat die Mausefalle vor dem Schnabel und kann singen. Während unsereiner viele Jahre strengstens arbeiten muss, um dann so zu singen wie die großen Opernsänger. Das ist eine Frage der Disziplin.

Köhler: Wir machen die Erfahrung in den Schulen, dass es weniger eine Frage der Thematik als eine Frage der Methodik ist, wann Unterricht gelingt. Es wird oft gesagt, dass Kinder und Jugendliche Aversionen gegenüber der Klassik haben, dass sie bestimmte Musik einfach nicht anhören wollen. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass man diesen Kindern jedes Musikstück beibringen kann, wenn man als Lehrer selbst von diesen Inhalten überzeugt ist und sie dann auch überzeugend vermitteln kann. Musikunterricht soll das gesamte breite Spektrum abbilden, welches Musik in unserer Gesellschaft und in unserer Welt darstellt. Das gleiche gilt natürlich auch für das Singen und für die Stimme.

Geißler: Können Sie sich vorstellen, Frau Schmitt, dass Frau Gilles zu Ihnen in den Kindergarten kommt und mit den Kindern singt und ein Stimmtraining macht? Würde das aus Ihrer Sicht Sinn machen?

Schmitt: Ich denke schon, dass das sehr interessant für die Kinder ist. Die kennen das ja so gar nicht. Sie kennen uns, die Lieder von zu Hause, das Klangbild der CD’s und Kassetten. Aber eine Gesangslehrerin, die wirklich geschult ist, ist etwas anderes, das können wir ja gar nicht.

Gilles: Und ist es nicht jammer-schade, dass wir unsere europäische Musik von Palestrina bis Richard Strauss so in Vergessenheit haben geraten lassen? Wir singen zwar wieder, aber wir singen sehr wenig richtig. Die meisten Kinder singen zu tief und ruinieren ihre Stimmen.

Köhler: Ein nur noch einstündiger Musikunterricht ab der 8. Jahrgangsstufe kann bei bis zu 35 Kindern in der Klasse überhaupt nicht die Möglichkeiten bieten, dass ich jeden Schüler stimmlich richtig ausbilde. Dazu kommt, dass das Singen zunächst nur als Unterhaltung gesehen wird. Zur Vorbereitung der Bundesschulmusikwoche habe ich bei meinen Schülern eine Umfrage zum Thema Singen im Musikunterricht gemacht. Und eine zentrale Aussage, die immer wieder gekommen ist, war: „Es ist schön, dass wir singen, weil wir dann keinen Unterricht haben!“ Dabei auch Lernziele zu verwirklichen, macht die Sache schwieriger.

Schmitt: Noch mal zum Thema Ausbildung: Es ist wirklich so, dass wir diese Ausbildung nicht bekommen: Wie mache ich es richtig, welche Oktave nimmt man und so weiter. Da sind wir wirklich Waisenkinder. Man weiß zwar, dass man recht hoch singen soll, also der Stimmlage des Kindes entsprechend. Aber in der Praxis ist niemand mehr, der uns schult.

Gilles: Ich habe mal mit Erzieherinnen ein paar Vormittage gearbeitet, richtiges Stimmtraining gemacht. Diese jungen Frauen sind aufgeblüht, da kamen Talente zum Vorschein. Warum hat die Musik so wenig Stellenwert in den Schulen? Sie kommt in der 6. Stunde auf den Stundenplan, da fällt sie meistens aus. (…)
Fakt ist, dass wir im Bereich Klassik und Oper unsere Solisten jetzt wirklich von den Rändern der Welt holen müssen. Ich habe hier mal ein paar Seiten kopiert von einem D-Theater. Das hat einen Opernchor und ein Ballett. Wenn man die Namen sieht: Es sind fast nur Osteuropäer und ein paar Amerikaner. Es ist nicht schön, wenn man mit einem Chor in einem Opernhaus arbeitet und keiner versteht einen.

Geißler: Vielleicht werden unsere stimmbegabten deutschen jungen Damen und Herren lieber gut bezahlte IT-Operatoren als schlecht bezahlte Chorsänger in einem D-Opernhaus. Diese hoch qualifizierten künstlerischen Berufe sind grottenschlecht bezahlt. Vielleicht deshalb, weil sie unserer Gesellschaft einfach im Moment nicht so viel wert sind.

Köhler: Einen interessanten Gedanken sollten wir aber noch festhalten: die Tatsache, dass unser Fach, sei es nun instrumental oder auch vokal, immer dann gefragt ist, wenn andere Menschen etwas zu feiern haben. Ich wünsche mir, dass wir das Bewusstsein, welche Bedeutung auch in dieser Hinsicht das Fach Musik hat, ein bisschen besser in die Gesellschaft hineinbringen.

Geißler: Singen als Feier-Gegenstand, vielleicht ist das ein kleiner Startpunkt? Sind Sie da nicht beleidigt, Frau Gilles?

Gilles: Ganz und gar nicht. Wir können durch das Musizieren und das Singen eigentlich jeden Tag zu einem Fest machen.

Links:

taktlos Singen wir wieder - zum nachhören
taktlos Singen wir wieder - zum nachsehen

 

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