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Das war ein Akt der Vernunft. Bundespräsident
Johannes Rau brachte es auf den Punkt, als er auf dem Gründungskongress
der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
am 19. März 2001 in Berlin den jetzt formal abgeschlossenen
Prozess der Verschmelzung von fünf Gewerkschaften derart qualifizierte.
Niemand dürfe sich wundern, fügte er unter beifälligem
Gelächter der Delegierten hinzu, dass es bei der Geburt eines
so großen Kindes auch Schwierigkeiten gegeben habe.
Während sich Kinder, um bei dem vom Bundespräsidenten
gewählten Bild zu bleiben, nach ihrer Geburt in aller Regel
mit der Welt vertraut machen und behütet wachsen, ist bei dem
Kind ver.di alles anders: Es muss sich darauf konzentrieren,
zunächst einmal zusammenzuwachsen statt weiter zu schrumpfen,
und es hat sich vom Tag seiner Geburt an in einem DGB genannten
Kindergarten zu behaupten, in dem bisher sein plötzlich größenmäßig
auf den zweiten Platz zurückgesetzter Bruder IG Metall den
Ton angab.
Als die Idee eines Zusammenschlusses mehrerer Gewerkschaften Gestalt
annahm, zählten die fünf beteiligten rund 3,2 Millionen
Mitglieder; jetzt, zum Zeitpunkt des Gründungskongresses, sind
es noch 2.990.000. Das ist es, was Johannes Rau als Akt der
Vernunft beschrieb: Die Einsicht, dass es die Kräfte
zu bündeln, Binnen-Konkurrenz zu beenden, Verwaltungskosten
zu senken gilt, um die Mächtigkeit zu erhalten und zu stärken.
Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
(ÖTV) stellt mit 1.476.000 Mitgliedern 49,35 Prozent der ver.di-Mitgliedschaft;
die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) bringt 445.000 Mitglieder (14,9
Prozent), die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (hbv)
444.000 (14,86 Prozent) und die IG Medien 175.000 (5,85 Prozent).
Alle vier waren bisher schon Mitgliedsgewerkschaften des DGB.
Nicht so die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG). Mit deren
Verschmelzungsbeschluss vom 17. März 2001, wie auch bei den
anderen Gewerkschaften mit einer das erforderliche Quorum übersteigenden
Mehrheit gefasst, endet die seit 1949 währende Zweigleisigkeit
der Gewerkschaftsbewegung. Die DAG zählte 450.000 Mitglieder,
das sind 15,04 Prozent der ver-di-Mitgliedschaft. Außerdem
bringt sie als Mitgift viermal so viel Geld wie das der anderen
Gewerkschaften zusammen, wie der ÖTV-Vorsitzende Frank
Bsirske seinen Delegierten, um Zustimmung zum Verschmelzungsvertrag
werbend und um den Akt der Vernunft bittend, mitteilte.
Dass mit Frank Bsirske als ver.di-Vorsitzendem erstmals
ein Bündnisgrüner Gewerkschaftschef ist, macht politisch
neugierig.
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist regional
und (berufs-)fachlich gegliedert. Die nicht hinwegzudiskutierende
Tatsache, dass alle berufsnahen Gewerkschaften und Verbände,
mögen sie selbständig oder großen Gewerkschaften
angegliedert sein, von der allgemeinen negativen Mitgliederentwicklung
bisher nicht betroffen waren, wird ver.di zu beachten
haben.
Für die VdO ist das Aufgehen ihrer Muttergewerkschaft DAG
in ver.di zunächst einmal ein Abschied. Seit 1959
funktionierte die Zusammenarbeit ohne jegliche Beschwer. Rechte
und Pflichten des von der VdO mit der DAG geschlossenen Eingliederungsvertrages
gehen, sobald ver.di ins Vereinsregister eingetragen
ist, auf diese über. Dann gilt es, den nicht wehmutsfreien
Abschied ebenfalls übergehen zu lassen in eine konstruktive
Fortsetzung der gemeinsamen gewerkschaftlichen Arbeit.
Ihr
Stefan Meuschel
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