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CD-aktuell

Alte Wunder wieder scheinen

Neue „alte“ CDs auf dem Tonträgermarkt · Von Christoph Vratz

Reizüberflutung – zugegeben: kein Begriff, der Vertrauen einflößt. Doch mittlerweile gilt er auch für betagte Opern-Aufnahmen, die in rasant zunehmendem Maße vom CD-Himmel auf uns herabregnen. Welche Einspielung lohnt überhaupt einen Kauf und welche nicht? Sichtung tut Not. Konzentrieren wir uns vornehmlich auf den erfreulichen Teil.

 

„Great Recordings of the Century“ heißt eine Reihe bei EMI. Man vermag sie kaum angemessen zu würdigen, finden sich doch darunter meritenschwere und zudem auch preislich faire Aufnahmen. Wagners „Lohengrin“ etwa von 1963 mit den Wiener Philharmonikern unter Rudolf Kempe, mit einer fabelhaften Elsa alias Elisabeth Grümmer und einem Jess Thomas, der sich in der Titelrolle sein eigenes Denkmal ersungen hat. Tadellos besetzt auch die weiteren Rollen: Christa Ludwig, Dietrich Fischer-Dieskau, Gottlob Frick und Otto Wiener. Der Chor der Wiener Staatsoper macht diesen „Lohengrin“ zur Herzensangelegenheit. (EMI 3 CD 5 67415)

Gefragt, welche von all ihren Aufnahmen sie denn am ehesten wiederholen würde, antwortete Elisabeth Schwarzkopf: „Die Gräfin in Straussens Capriccio“. Der damals gerade erst 34-jährige Wolfgang Sawallisch leitete das Philharmonia Orchestra mit Eberhard Wächter (Graf), Nicolai Gedda (Flamand) und Dietrich Fischer-Dieskau (Olivier). Gerade die Ensembleszenen zählen sicher zum Schönsten, was die Plattengeschichte zu bieten hat, ob man Strauss nun zu seinen Hausgöttern zählen mag oder nicht. Welche Ausgewogenheit, welche Vielfalt an subtilen Untertönen. Wer nach einem Musterbeispiel für Gesangskultur sucht, bitte schön! (EMI 2 CD 5 67394)

Zwei weitere bedeutsame Aufnahmen aus derselben Reihe nur im Zeitraffer: Die italienische Fassung von Verdis „Don Carlos“ mit Domingo, Caballé, Raimondi unter Carlo Maria Giulini (EMI 3 CD 5 67401). Und noch einmal Giulini, diesmal mit dem „Requiem“: die vermutlich für alle Zeiten ergreifendste Interpretation dieses Werkes (EMI 2 CD 5 675 60). Näheres folgt. Schließlich ist Verdi-Jahr.

 

Bei Koch sind drei Produktionen erschienen, die lange im Archiv des WDR schmorten, auf dem grauen Markt dafür aber heiß begehrt waren. Zweimal dirigiert Erich Kleiber das Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester. Die Aufnahme von Webers „Freischütz“ aus dem Jahr 1955 kann sicher nicht in allen Rollen mit der EMI-Produktion unter Keilberth gleichziehen, doch Elisabeth Grümmer als Agatha ist in beiden Einspielungen das Maß aller Dinge. Kleiber setzt all seine Mitwirkenden gehörig unter Dampf. Glitzernde Orchesterstimmen; zahllose Klangtüfteleien, mal zum Dahinschmelzen sinnlich oder – Wolfsschlucht! – zum Davonlaufen gruselig. (Koch 2 CD 3-1642)

Zum zweiten Beethovens „Fidelio“. Der Kölner Rundfunkchor leistet in beiden Einspielungen Beträchtliches. Paul Schöfflers Pizarro ist nicht unbedingt klangschön, aber kernig. Birgit Nilsson als Leonore beweist sich erneut als Jahrhundert-Kanone. Unverzichtbar wird diese Aufnahme abermals durch den Dirigenten. Unter Kleiber leidet Pizarros erster Auftritt nicht, wie so oft, am bloßen Drill des Soldatenmarsches, sondern wir erleben den Einfall des Bösen schlechthin – Auftakt zu einem wahren Killer-Psychogramm. (Koch 2 CD 3-1641)

Die dritte Produktion stammt von 1953. Richard Kraus dirigiert Richard Strauss’ „Elektra“. Kraus macht aus diesem durch all seine Hyperexpressivität fast zermürbenden Werk keine Lärm-Oper, sondern er agiert mit Bedacht. Wir erleben eine famos unmanieriert singende Res Fischer als Klytämnestra, den vortrefflichen Hans Hotter als Orest sowie die wohl einzigartige Konstellation Astrid Varnay und Leonie Rysanek als Schwesternpaar. Leidenschaftlicher, satter, ja kriminalistischer lassen sich die Rollenporträts kaum ausfüllen. (Koch 2 CD 3-1643)

 

Seit einiger Zeit tummelt sich auch das Label Naxos auf dem engen Markt mit historischen Aufnahmen. Soeben sind zwei Live-Mitschnitte aus der Met erschienen, beide mit Jussi Björling im Mittelpunkt: zum einen als Herzog in Verdis „Rigoletto“ (mit Leonard Warren in der Titelpartie und Bidú Sayão als Gilda) unter Cesare Sodero in einer Aufnahme von 1945 (Naxos 2 CD 8.110051-52); zum anderen als Des Grieux in einer von Giuseppe Antonicelli dirigierten „Manon Lescaut“-Aufführung aus dem Jahr 1949, mit Dorothy Kirsten als Manon und Giuseppe Valdengo als Lescaut. (Naxos 2 CD 8.110123-24) Man kommt an beiden Einspielungen nicht vorbei – wegen Björling: Ohne falsche Tränentöne und mit schlanker Vehemenz findet er beide Male zu glühender, glaubwürdiger Intensität. Möge das Rad der Zeit weitere solcher Hochkaräter zu Tage fördern.

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