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Realsozialistischer Holzhammer
Arabella in München · Von Nikolas Kuhn
Brutal hingerichtet wurde in der Neuinszenierung der Arabella
im Münchener Nationaltheater der Librettist Hugo von Hofmannsthal.
Und da Arabella eine literarische Oper ist, blieb zwangsläufig
auch der Komponist Richard Strauss schwer lädiert auf dem Richtplatz
liegen. Nur wenige überlebten das szenische Gemetzel, das Staatsintendant
Sir Peter Jonas da anrichten ließ: Allen voran als trotzige,
allen Widrigkeiten mutig die Stirn bietende Siegerin die seelenvoll
singende Titelfigur der Renée Fleming, der ihre ausgefeilte
(auch Sprech-)Technik ebenso die raumakustischen Probleme überwinden
half wie ihrem Vater, dem degenerierten Grafen Waldner, den Alfred
Kuhn, auch darstellerisch überzeugend (Gustl Waldau und Max
Pallenberg ließen aus dem Grabe grüßen) in der
Bühnentradition der skurrilen altösterreichischen Adelsfiguren
Hofmannsthals verkörperte. Mit anerkennenswertem Anstand vermochte
sich sogar noch Wolfgang Brendels Mandryka mit seinem ausdrucksstarken
Bariton aus der Affäre zu ziehen, obschon die Regie die Partie
zur unglaubhaften und nahezu unspielbaren gemacht hatte.
Der Rest sei Schweigen bis auf die eingestandenermaßen
nicht gentleman-like Frage: Wenn denn die Bayerische Staatsoper
schon keine stimmlich und in ihrem Aussehen adäquate Besetzung
für die androgyne Zdenka hat, warum nimmt sie dann nicht eine
jugendlich-dramatische Sopranistin, wie sie ZBF und Agenturen zu
Dutzenden anbieten, die wenigstens der deutschen Sprache mächtig
ist und in ihrer Erscheinung glaubhaft macht, dass der Jägeroffizier
Matteo sie beischlafend mit Arabella verwechseln kann? Doch es seien
Mutmaßungen, wie Besetzungen an der Bayerischen Staatsoper
zustande kommen, hier nicht weiter vertieft.
Neben Fleming, Kuhn und Brendel verdient Lorbeer allein das von
der Dramaturgie unter Verantwortung Hanspeter Krellmanns herausgegebene
Programmbuch, das so exzellent gemacht ist, dass es kritische Fragen
provoziert: Hat die Dramaturgie ihr Programmbuch dem Regiestab verheimlicht?
Und wollte sie mit der Bilddokumentation der Hartmann- und Beauvais-Inszenierungen
der Arabella Erinnerungen wecken, die den Absturz zu
Andreas Homoki geradezu schmerzhaft spürbar werden ließen?
Homoki hat die Arabella mit vulgärmarxistischer
Brille so gelesen, dass nur Shoppen und Ficken übrig
blieb: Heruntergekommener Adel bemüht sich, mit dem Ziel ökonomischer
Sanierung das ansehnliche Töchterlein dem meistbietenden Bewerber
ins Ehebett zu legen. Und damit das dumme Publikum diese Interpretation
auch kapiert, ließ Homoki sich von Wolfgang Gussmann eine
Einheitsszene für alle drei Aufzüge bauen, die einen klassizistischen,
schrägestellten Innenraum zeigt, der bis zur Fensterhöhe
in einem Hügel aus unbezahlten Rechnungen versunken ist. Auf
dem höchsten Punkt thront das Bett als Angebots-Piktogramm:
Ob im Stadthotel (1. Aufzug), im Vorraum des Ballsaales (2. Aufzug)
oder im Foyer des Hotels (3. Aufzug) das stets ungemachte
Bett brüllt geradezu, worum es Homoki geht.
Dieses Bühnenbild hat praktische Folgen: nach oben offen und
hinten mit Molton abgehängt, verschluckt es die Text-Verständlichkeit.
Armer Hofmannsthal, armes Publikum. Mir aber verzeihe man
die Eigenheit, meinte einst der Theaterdirektor Goethe, dass
ich den Zuschauer immer gerne verständigt wünsche.
Da es an der Verständigung mangelt, woran allerdings auch das
streckenweise unsensible Dirigat Peter Schneiders Mitschuld trägt,
sollte Sir Peter Jonas bei den weiteren Vorstellungen die für
fremdsprachige Opern vorgesehene Text-Projektion einsetzen. Denn
Arabella ist wie ein Kuss durchs Telefon, wenn der Dialog
im Klanggewölk vergeht. Schon Hofmannsthal war Strauss gegenüber
in Sorge vor einem Wagnerschen Musikpanzer und
wünschte sich eine durchsichtige, leichte Vertonung.
Weitere hinderliche Konsequenz des Bühnenbilds: Mag es zwar
gewöhnungsbedürftig, aber hinnehmbar sein, dass alle Auftritte
und Abgänge hilflos aus den Nullgassen, übers Dach oder
hinter den Möbeln hervor erfolgen müssen, weil bedeutungsschwanger
die Türen von dem Haufen unbezahlter Rechnungen versperrt sind,
so löst es beinahe Mitleid aus, beschädigt auch die Figuren,
wenn die Anstrengungen der Sänger sichtbar werden, sich auf
diesem allseitig schrägen Parcours mit Anstand zu bewegen.
Und das immer vor dem Bett hin und her oder ums Bett herum...
Ein weiterer konzeptioneller Einfall der Regie ruinierte die Komödie
vollends: Homoki siedelt sie nicht, wie von den beiden Autoren vorgeschrieben,
im Wien des Jahres 1860, sondern in ihrer Entstehungszeit an, also
in den späten 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Mit man
muss sehen, dass hier schon alles fait accompli und bankrott ist
begründet er das. Welch ein fataler Irrtum! Wenn das dünne
Eis, auf dem die bankrotte Grafenfamilie sich bewegt, längst
eingebrochen ist, wenn die geldverschaffende Mariage
eine Katastrophe verhindern soll, die längst eingetreten ist,
wenn die vielen Grafen längst keine Grafen mehr sind (weil
auch in Österreich der Adel 1919 abgeschafft wurde), dann ist
Hofmannsthals Komödie ohne Fundament. Wie kann dann Matteo
drohen, sich ins gar nicht mehr österreichische Galizien versetzen
zu lassen? Wieso der Kampf um die Etikette, wieso ein Leibhusar,
wieso Tante Jadwigas Schlösser? Und wo nimmt der Kroat
Mandryka seine viertausend Untertanen her?
Die ohnehin zerbrechliche Komödie um Arabellas Emanzipation
kann nur im ihr zugedachten Ambiente funktionieren; wird es verlassen,
dann bleibt nur, das aus der Facon Geratene mit Outrage und Klamauk
zu überspielen. Und das besorgt Homoki gründlich: Nicht
genug, dass Zdenka und Matteo in einem von der Faschingsgesellschaft
hin und her geschüttelten Schrank kopulieren, hat er beim Herauskommen
natürlich die Hose offen, sie keine an. Ach, wie lustig.
Es mag an der verqueren Inszenierung gelegen haben, dass Peter
Schneider und das Staatsorchester anfangs zu keiner Linie finden
wollten. Das schrille Prestissimo des Beginns des ersten Aufzugs
kam geglättet. Es überfuhr zu laut auch die Sänger.
Da die überdrehte Atemlosigkeit des Faschingsdienstags (Heut
abend ist der Fasching aus, heut abend muss ich mich entscheiden,
weiß Arabella) weder inszeniert noch musiziert wurde, wirkte
das volksliedhaft-ruhige Duett von Arabella und Zdenka wie ein Fremdkörper.
Erst beim Faschingsball und im dritten Aufzug gelang es Schneider
und seinem Orchester, die Szene zu überspielen und Strauss
leuchten zu lassen. Das Publikum dankte ihm und den Sängern
bis hin zu Ovationen, die Buhs für die Inszenierung waren ebenso
laut.
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