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Berichte

Ohne musikalische Ketten

„Der Idiot“ in Krefeld uraufgeführt · Von Guido Fischer

Die Literaturoper ist ein flexibles Kunstgeschöpf. Selbst konfliktreichste Dramenvorlagen von Kleist bis Wedekind konnte sie sich gefügig machen. Nur mit der Adaption des Romans tat sie sich bis heute schwer. Dessen Komplexität von Handlungssträngen ist schließlich kaum in das Libretto-Korsett zu zwängen. Das gilt besonders für die Romane von Fjodor Dostojewskij, die Henry James einmal als „ausgebeutelte Monster“ bezeichnet hat.

   

Mammut-Roman „Der Idiot“ als Oper.
Foto: M. Stutte

 

Eines dieser Monster mit unbescheidenem Umfang von 800 Seiten und stolzer Figuren-Armada ist Dostojewskijs „Der Idiot“. Doch gerade er lockte Komponisten oft zur Auseinandersetzung, dank seiner strukturellen Regelmäßigkeit und der zahlreichen Dialoge. Nach den Bearbeitungen Schostakowitschs und Henzes für das Ballett sowie der hier zu Lande unbekannten Oper von Mieczyslaw Wainberg entschied sich jetzt Thomas Blomenkamp für den Mammut-Stoff. Und ließ sich für seine erste Oper ein Textbuch von Ulrike Gondorf destillieren, das die Schlachten der verletzten Seelen, die Grenzsituationen zwischen Hoffnung und Abgrund brennpunktartig aufschlüsselt. Blomenkamp, Jahrgang 1955 und Schüler von Jürg Baur, legt aber diesem Konfliktkonzentrat keine musikalischen Ketten an, um es etwa in eine überschaubare Kammeroper zu übersetzen. Im Orchester setzt er ganz auf eine wuchtig-glutvolle Hochleistungsarbeit, bei der diatonische Taue gespannt werden (die Niederrheinischen Sinfoniker unter Anthony Bramall schulterten das mit konditionsreichem Engagement und dem nötigen Sinn für die verwinkelten Harmonien). Und in den vokalen Exaltationen kennt Blomenkamp schon gar keine Zurückhaltung. Ständig forciert er die eruptiven Kräfte, mit denen die Figuren ihre Wahn- und Innenwelten aufzubrechen versuchen. Dabei verdichtet er den dunklen Grundcharakter der zweieinhalbstündigen Partitur konsequent zu einer klaustrophobischen Enge, aus der nur ein schief gehängter Walzer und ein hinkender Choral herausragen.

Es sind die beiden musikalischen Relikte zweier Welten, die Regisseur Thomas Krupa auf ihrem maroden Höhepunkt zeigt; in einem Bühnenraum (Andreas Jander), der einen verrottenden Adelssalon und feuchte Kirchenwände miteinander verschränkt. In dieser von sämtlichen christlichen Reliquien entledigten, von Triebbefriedigung und Bereicherung porös gewordenen Welt ist Krupas Titelfigur lediglich von der Statur her ein Fels in der Brandung. Sah Dostojewskij in seinem Idioten den „wahrhaft vollkommenen und schönen Menschen“ im Kampf gegen Nihilismus und Selbstzerstörung, ist Christoph Erpenbeck als Fürst Myschkin ein sich mühevoll aufrichtender Melancholiker, der ständig zwischen die Mühlsteine aus falschen und echten Gefühlen gerät. Gerade Erpenbeck zeigt da mit seinem kultivierten Bariton, dass Blomenkamp eben nicht gegen, sondern für die Stimmen schreibt. Trotz der unterschiedlichen Ausdrucksweisen von Kommentar und Gefühlsäußerung sind auch die wenigen gesprochenen Worte unmittelbar an die Musik gekoppelt, womit Blomenkamp neue Räume der Emotion öffnet, in denen sich das Sängerensemble auch in der Deklamation überdurchschnittlich bewegte. Was besonders in den beiden herausragenden Frauen-Partien vorbildlich wurde. Margaret Thompson als Nastassja Filippowna ist demütigende Furie und sinnliche Verführerin zugleich, ausgestattet mit einer durchdringenden Suggestivkraft. Und in der Rolle ihrer Konkurrentin Aglaja stellt Kirstin Hasselmann Elementares, Schönes wie Tragisches heraus.

Das anlässlich der 50-jährigen Bühnenehe zwischen Krefeld und Mönchengladbach entstandene Auftragswerk beweist in seinem durchgehend aufrechterhaltenden Energiefluss und in seinen Widerspenstigkeiten, dass zeitgenössisches Musiktheater tatsächlich noch Akzente jenseits des Epigonentums setzen kann. Zumal dann, wenn die Gesamtleistung sich einer ausführlichen Probenarbeit verdankt, die an Opernhäusern dieser Größenordnung nicht unbedingt alltäglich ist. Aber auch das geht auf das Konto des Intendanten Jens Pesel, der schon vor dieser etwas anderen, aber gleichwohl positiv aufgenommenen Geburtstagsoper zum Beispiel mit Ligetis „Le Grand Macabre“ für stürmischen Wind in den lange verstaubten Häusern sorgte. Dass die Aufbruchsstimmung jedoch jetzt nach dieser erfolgreichen Frischzellenkur für die Gattung der Literaturoper gleich wieder einen Dämpfer bekommen hat, liegt an den anhaltenden Querelen zwischen den beiden Städten, die unterschiedliche Vorstellungen der Weiterfinanzierung haben. Besonders die Kulturpolitiker und der Stadtkämmerer von Mönchengladbach heizen zurzeit die Diskussion um kaum mehr vertretbare Sparpläne an, die, wenn sie durch den erst im Herbst(!) zu verabschiedenden Haushalt 2001 gebracht werden, das Aus für die Doppelehe bedeuten würden. Um das neue Musiktheater ist es nicht schlecht bestellt. Nur zeigt sich mal wieder, dass im Ernstfall darauf keine Rücksicht genommen wird. Ähnlich wie rheinabwärts in Bonn, wo für die kommenden beiden Spielzeiten maximal 15 Millionen Mark wegfallen werden. Und damit die so erfolgreiche Reihe „Bonn Chance!“ mit ihren experimentierfreudigen Opernproduktionen zunächst auf zwei pro Jahr zurückgefahren werden muss.

 

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