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Das Entstehen einer neuen Gewerkschaft

Am 10. und 11. Dezember 1989 trafen sich die Chorsänger der DDR in Berlin, gründeten eine Gewerkschaft, die sie später VdO/DDR nannten und die sich dann mit der VdO der Bundesrepublik Deutschland vereinigte.

So vereinfacht könnte man alles auf einen Nenner bringen. So einfach war es jedoch nicht! Nach dem 4. November und der Öffnung der Mauer am 9. November wusste man auch hier in Berlin: So wie es bisher war, durfte und konnte es nicht weitergehen. Wir müssen uns artikulieren, neu organisieren. Ein Treffen aller gewerkschaftlichen Chorvertreter der DDR schwebte mir schon seit Jahren vor. Jetzt oder nie! Aber wie?

Kein Kopiergerät (eine „gefürchtete Maschinerie“ in der DDR), kein Telefon! Ormig, nicht für jedermann zugänglich. Das war eine Möglichkeit, etwas zu übermitteln.
1363 Opern- und 149 Rundfunkchorsänger sollten erreicht werden. Je zwei Vertreter aus 43 Theatern und zwei Rundfunkchören, die auf die Reise gehen müssten, wenn sie wollten! Ach ja, man müsste ja auch noch Quartiere besorgen. Noch ein Problem. Jedoch Kollegen vom Metropol-Theater, der Staatsoper und der Komischen Oper boten Übernachtungsmöglichkeiten an. Die übrigen konnten im Hotel „Jugendtourist“ Karlshorst unter- kommen. Es konnte also losgehen.

Auf Ormig also verschickte ich am 14. November die Einladungen zum 10./11. Dezember:

Liebe Kollegen!
40 Jahre DDR – wie wurden unsere Interessen als Chorsänger in dieser Zeit durch den FDGB vertreten? Gab es wahrhaft demokratische Mitbestimmung durch uns? ... Rahmenkollektivverträge, die gesetzliche Grundlage unserer Tätigkeit, waren in der Auflage so gering, dass man sie als „geheime Verschlusssache“ bezeichnen konnte...

... wie steht es mit dem Sängernachwuchs, mit der Effektivität der Ausbildung an den Hochschulen, der psychischen und physischen Belastung?

... Wir wollen Einsicht in Kaderakten (= Personalakten), Zusammenarbeit zwischen Theaterleitungen und Gewerkschaftsvertretungen...
Durch uns – für uns!

Für unsere Kulturpolitik und den Fortbestand der Chöre an unseren Theatern!“

Ich hoffte, dass diese Denkanstöße ausreichen würden, eine tiefgreifende Diskussion auszulösen. Ich hatte mich nicht geirrt!

Zustimmende Briefe mit vielen Themen-Vorschlägen trafen aus fast allen Opern- und Rundfunkchören ein. Dann saßen wir im Chorsaal der Staatsoper beisammen, fast alle Chorvertreter, darunter auch Chordirektoren waren angereist. Bei allen Themen, die diskutiert wurden, war ein Gedanke vorherrschend: Den FDGB als „Transmissionsriemen der Partei“ – nein, den wollen wir nicht mehr! Aber was dann?

   

Die damalige Anzahl der Mitglieder in den Theater- und Rundfunkchören der DDR.

 

Von der VdO der BRD hatten wir schon gehört. Durch zwei Benefizkonzerte der Deutschen Staatsoper in der Deutschen Oper Berlin anlässlich der Maueröffnung und auf zwei Chortreffen waren erste Kontakte entstanden. Helmut Lang, Opernchorsänger der Deutschen Oper Berlin, Mitglied des Bundesvorstandes der VdO und Personalratsvorsitzender der DOB, nahm als Gast an unsrer Versammlung teil. Von ihm erfuhren wir nun, was sich alles hinter DAG, DGB, DOV, Öffentlicher Dienst, GDBA, Mitbestimmungsrecht, Deutscher Bühnenverein und vielen anderen Begriffen verbarg.

Es war spannend. Aber auch Zweifel kamen auf. Wie kann sich eine so kleine Gewerkschaft behaupten, wie organisiert sie sich, wie wird sie anerkannt? Da wir es gewohnt waren, unter dem großen Dach des FDGB „beschirmt“ und „umsorgt“ worden zu sein, waren diese angemeldeten Zweifel verständlich. Ein neues Denken musste beginnen. Und jetzt wurden Probleme erörtert, die so oder so alle bewegten. Man spürte die Freude und Entschlossenheit, sich endlich einmal im Gespräch frei und offen angestauter Probleme entledigen zu können. Die Leipziger und Dresdner Kollegen trugen mit ihren Gedanken besonders zu einer konstruktiven und lebhaften Diskussion bei.

Fazit: Wir müssen uns zusammenschließen und ein Gremium schaffen, das von jetzt an als Ansprechpartner für alle Belange der Chorsänger in der DDR zuständig ist. Immerhin waren wir noch Mitglieder des FDGB, von dem wir nicht mehr vertreten sein wollten. Darum beschlossen wir die Gründung der VEREINIGUNG DER THEATER- UND RUNDFUNKCHÖRE IN DER DDR, Anlaufadresse: Deutsche Staatsoper Berlin – Chorvertretung. Der FDGB, das Ministerium für Kultur und die Presse über ADN wurden informiert.

Dem FDGB-Kongress, der am 30./31. Januar 1990 in Berlin stattfand, übermittelten wir ein Protestschreiben, in dem wir unter anderem Rechenschaft über schwerwiegende Verstöße durch die Führung des FDGB forderten und eine schonungslose Aufklärung verlangten. Nach diesem Kongress hörten wir neue Töne. Zum Beispiel wurde ein GESETZ ÜBER DIE RECHTE DER GEWERSCHAFTEN IN DER DDR erlassen. Man konnte staunend lesen: Gesellschaft muss sozial gerecht sein. Plötzlich gab es auch ein Bekenntnis des FDGB zur Vereinigung beider deutscher Staaten...

Wenn unsere Versammlung dann zu der Gründung der VdO/DDR führte, dann ist das in hohem Maße dem mutigen Auftreten all der Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, die in ihren Theatern von unseren Überlegungen und Beschlüssen berichteten und für sie warben.

Unser Erfolg war ein gemeinsamer. Dank gebührt auch Walter Kane, Bruno Lehmann, Stefan Meuschel und Günter Meyer (ich hoffe, dass ich keinen vergessen habe), die uns während des Formungsprozesses helfend zur Seite standen.

Nach zehn Jahren Rückblick auf die stattgefundenen Ereignisse und die gesellschaftlich-politischen Veränderungen ist leider heute festzustellen, dass wir wieder mit Entwicklungen konfrontiert werden, denen man sich energisch entgegenstellen muss (Theaterschließungen, Stellenabbau, Aushebelung des Tarifrechts, beabsichtigte Veränderungen der Opern- und Orchesterlandschaft in Berlin). Und wieder sind es die Gewerkschaften, die ihre Kräfte bündeln müssen.
Die jeweiligen Politiker in unserer Demokratie brauche immer einen starken Gegenpol. Ihn zu stärken, sich energisch und bewusst für die gewerkschaftliche Tätigkeit einzusetzen, ist deshalb ein dringend notwendiges Erfordernis unserer Zeit.

Walter Naveau

 

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