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Zehn Jahre gesamtdeutsche VdO
Am 4. November 1989 fand in Berlin die von den Kulturschaffenden
initiierte Demonstration gegen das SED-Regime statt. Am 10. Dezember
gründeten die Opern- und Rundfunkchöre der DDR eine eigene
Berufsvereinigung. Am 4. Februar 1990 wurde in Berlin die Vereinigug
deutscher Opernchöre der DDR gegründet (VdO/DDR), der
sich im April 1990 auch die Bühnentänzer anschlossen.
Die Rundfunkchöre wechselten nach dem Vorbild der BRD
zur Deutschen Orchestervereinigung. Am 20. September 1990
tritt die VdO/DDR der VdO der Bundesrepublik bei. Aus Anlass des
10. Geburtstages der gesamtdeutschen Vereinigung deutscher
Opernchöre und Bühnentänzer haben zwei der
maßgeblichen Gestalter dieser Entwicklung, Walter Naveau (Deutsche
Staatsoper Berlin) und Thomas Heymann (Opernhaus des Städtischen
Theaters Leipzig, heute Oper Leipzig) in ihren Erinnerungen gekramt
und einiges davon niedergeschrieben.
Berlin Alexanderplatz am 4. November 1989
Die Ereignisse des Jahres 1989 trieben das Verlangen nach Selbstbestimmung
eines voneinander getrennten Volkes voran. Und dann war da plötzlich
der Sommer 89! Ungarn und Prag wurden Symbole des Aufbegehrens.
Der Ostblock erzitterte in seinen Grundfesten einer unüberwindlich
geglaubten Ideologie. Ein Virus infizierte das Land unaufhaltsam.
Ein Gorba-tschow war ins Licht der Weltöffentlichkeit getreten,
heraus aus einem Lande, das uns 40 Jahre lang Verheißung
geben wollte. Jedenfalls versuchte man uns das einzureden. Ungarn
verabschiedete sich vom Gleichschaltungsbündnis des unbeirrbaren,
unbesiegbaren, mächtigen sozialistischen Lagers. Es ließ
die Menschen dorthin gehen, wohin sie laut UNO-Konvention das Recht
dazu hatten. Prag und Warschau folgten. Die Leipziger Nicolai-Kirche
wurde zu einem Hoffnungsträger geistigen Widerstandes. Und
in Berlin waren es die Kulturschaffenden aus allen Bereichen, die
sich am 4. November 1989 zu einer Demonstration formierten. Welche
Dimension sie annehmen würde, hatten die damals Regierenden
nicht erwartet. Wir auch nicht! Keine Gewalt! war die Losung. Unter
diesem Motto wurde der Marsch angeführt. Ein Strom von Menschen
ergoss sich, kaum enden wollend, zum Alexanderplatz. Freiwillig
waren sie gekommen! Und sie trugen Transparente, Spruchbänder,
andere, als früher vorgeschrieben waren. Sie skandierten Sprechchöre
spontan nicht einstudiert! Fast gespenstisch-unfassbar rollte
diese Szenerie ab. Über dem Ganzen lag eine erregende Span-
nung: Wie würde der Machtapparat reagieren? Könnte der
Alexanderplatz ein Platz des himmlischen Friedens werden?
Angst war jedoch nicht zu spüren. Und nun konnten wir lesen:
Und viele, viele Spruchband-Texte mehr. Die Abschlusskundgebung
auf dem Alexanderplatz war eine Absage an Totalitarismus und 40-jährigen
Machtmissbrauch sozialistischer Führung. So enstanden dann
auch die Wandmalereien der East-Side-Gallery, als Bekenntnis zu
einer neuen Hoffnung und der kritischen Darstellung sozialistischer
Vergangenheit.
Wir sind wieder ein vereintes Volk, ein unfassbarer Glücksumstand
nach den Jahren der Spaltung unseres Landes. Entgegen Ulbrichts
Behauptung hatten sich Feuer und Wasser vereinigt!
Wir waren nicht wegen materieller Bedürfnisse auf die Straße
gegangen, auch nicht wegen der Westmark und des besseren Autos!
Es gibt andere Werte einer Gesellschaft, die ständig neu
errungen und verteidigt werden müssen.
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