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Der Tod und das Mädchen II
Aufführung im Deutschen Pavillon der EXPO · Von Reinald
Hanke
Man sagt den Österreichern und speziell den Wienern nach,
dass sie verlogen seien. Gemeint ist damit zumeist, dass sie nicht
das sagen, was sie meinen. Bernd Roger Bienert, der Ballettchef
des Staatstheaters Saarbrücken, ist selbst Wiener und sieht
dies ähnlich. Er bezeichnet es als eine spezielle Wiener Eigenart,
etwas zu sagen und vielleicht auch noch etwas anderes damit
zu meinen. Etwas Tieferes, Langlebigeres. Bienert hat dies
formuliert im Hinblick auf die Literatur der Wienerin Elfriede Jelinek.
Nun hat er in Koproduktion mit dem Zentrum für Medientechnologie
Karlsruhe und dem Kulturprogramm des Deutschen Pavillons ein Ballett
über Elfriede Jelineks Text Der Tod und das Mädchen
II kreiert. Als Dritte im Bunde wurde die österreichische
Komponistin Olga Neuwirth um Musik gebeten.
Elfriede Jelinek hat in ihrem für Bienert geschriebenen Text
das Dornröschen-Märchen in unsere Zeit versetzt und in
der ihr eigenen bilderreichen, Assoziationen freisetzenden Sprache
bearbeitet. Ihr Text ist ein wienerischer Diskurs über das
unbestimmbare Verhältnis von Tod, Scheintod, Schlaf und Leben,
und damit auch über Ewigkeit und Vergänglichkeit. Und
genauso wie die Österreicher allgemein gerne über den
Tod reden, aber nicht nur diesen meinen, so sind auch bei Jelinek
noch andere Bedeutungsebenen wahrnehmbar. Jelineks Text zielt auch
auf die von Macht geprägten Beziehungen der Geschlechter und
auch auf eine politische Bedeutungsebene. Ihr Text hat ein Doppelgesicht,
wenn nicht gar ein Mehrfachgesicht. Er meint eigentlich immer zusätzlich
noch etwas anderes als das, was er vorgibt.
In der Umsetzung dieses Textes als Ballett begaben sich alle beteiligten
Künstler, also sowohl Komponistin als auch Choreograf und auch
Bühnenbildner auf die Suche nach einer adäquaten, das
heißt ähnlich mehrgesichtigen künstlerischen Sprache.
Von besonderem Interesse ist dabei, wie Olga Neuwirth mit diesem
Text umgegangen ist.
Olga Neuwirth hat zu dem Text eine Tonbandkomposition geschrieben,
in der sie zumeist Computerklänge verarbeitet. Zugleich aber
verwendet sie auch elektronisch verzerrtes Klangmaterial eines Streichquartetts,
einer Flöte oder eines Cellos. Durch diese geräuschhafte,
eine Art Klangkruste bildende, computergenerierte Musik bricht immer
wieder eine zweite Musikschicht durch. Dann kristallisieren sich
harmonisch vertraute Zusammenhänge heraus und es entstehen
rhythmisch ungemein zwingende Abläufe. Eine weitere Ebene in
Neuwirths Komposition besteht zudem in der konkreten Verarbeitung
des Jelinek-Textes. Diesen hat sie, zum großen Teil von Hanna
Schygulla und Anne Bennent auf Band sprechen lassen und auf vielfältige
Weise mit dem Computer bearbeitet. Mit großem Gespür
für die Sache Jelineks und für deren dramaturgische Möglichkeiten
lässt sie beständig das Verhältnis von Text und Musik
zwischen Vordergrund und Hintergrund hin und her wechseln. Ist der
Text im Hintergrund, bleibt er zumeist unverständlich, vermittelt
vorwiegend die Emotion des Textes. Wird der Text aber in den Vordergrund
geholt, wird deutlich, dass Jelineks Sprache vergleichbar zugespitzt
wirken kann wie Boitos Sprache bei Verdi. Das ständige Changieren
zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen-Können erweist sich
als raffiniertes dramaturgisches und musikalisches Gestaltungsmittel.
Neuwirth schafft dabei Klangräume zwischen Realität und
Irrealität, die der Thematik des Stückes in hohem Maße
gerecht werden.
Die so kreierten literarischmusikalischen Klangräume wurden
von Bernd Roger Bienerts Bewegungssprache zu einer faszinierenden
Theaterdimension erweitert. Bienerts Figuren scheinen zunächst
von fremder Hand gelenkt zu sein. Wie in Trance bewegen sich seine
Tänzerinnen und Tänzer mit fast geistesabwesend anmutender
Weichheit, dabei aber mit kaum zu übertreffender Ausdruckskraft.
Im Verlauf des Stückes jedoch tritt in Text, Musik und Bewegungen
die Ebene der Realität mehr in den Vordergrund. Und dann wird
auch Bienerts Körpersprache realistischer, manchmal gar aggressiv.
Bienerts Körpertheater wandelt sich zu einem Tanztheater, das
tatsächlich aus rhythmisch geprägten Klangvorgaben solche
Bewegungen formt, die man mit der klassischen Bezeichnung als Ballett
assoziiert. Zusammen mit ihren vorzüglichen Tänzerinnen
und Tänzern ist den Saarbrückern ein Ballettabend gelungen,
um den sie zu beneiden sind.
Reinald
Hanke
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