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Rebellische Frauen
Ein Porträt Isadora Duncans · Von Malve Gradinger
Jochen
Schmidt : Ich sehe Amerika tanzen Isadora Duncan. Econ
Ullstein List, München, 2000, 260 Seiten, 16,90 Mark.
Rebellische Frauen eine begrüßenswerte,
weil informative und zugleich auf spannend-leichtes Lesen bedachte
Taschenbuch-Reihe des List-Verlages. Für das zuletzt erschienene
Porträt 21 sind es bisher insgesamt schickte
der Verlag den FAZ-Tanzkritiker Jochen Schmidt zum zweiten Mal auf
die Spuren einer berühmten Tänzerin und Choreografin:
Isadora Duncan.
In griechischer Tunika und Sandalen oder barfuß revoltierte
die Amerikanerin Isadora Duncan (18771927) gegen das korsettierte
Ballett des 19. Jahrhunderts. Mit ihren frei fließenden Tänzen,
untermalt nicht von Ballettmusik, sondern zum ersten Mal von großen
klassischen Musiken, von Chopin, Schubert und Skriabin bis zu Bach,
Beethoven, Brahms und Wagner, wird sie zu einer der wichtigsten
Wegbereiterinnen des Modern Dance. Auch im Leben hielt sie sich
nicht an Konventionen, hatte drei Kinder von drei Vätern und
lebte mit vielen Liebhabern öffentlich und angstfrei ihre romantisch-erotischen
Neigungen aus. Dass der Autor sein spezielles Augenmerk nicht so
sehr auf den Tanz der Duncan richtet, sondern auf die rebellische
Frau, die frei Liebende, die zäh auf Karriere bedachte Einzelkämpferin,
die pragmatische Geschäftsfrau, erklärt sich einmal aus
dem vom Verlag vorgegebenen Serienthema. Zum anderen aus der Tatsache,
dass über Duncans Tanzkunst zu schreiben ein großes Problem
ist. Es gibt keine Filme, nur Zeichnungen und Fotos. Biografen wie
auch Tanzwissenschaftler sind angewiesen auf Notizen und Beschreibungen
der Duncan selbst, von Schülerinnen und Zeitzeugen. Und solche
historischen Dokumente sind eher getragen von einer schwärmerischen
Begeisterung, als dass sie wirklich anschaulich Aufschluss geben
über Struktur, Dynamik und Bewegungsqualität.
Hinzu kommt, dass Jochen Schmidt, wie diese Biografie einmal mehr
beweist, nicht eben ein Autor von tanzfeinfühliger Sensibilität
ist.
Aber die ihm eigene geradezu buchhalterische Akribie hat aus der
umfangreichen Sekundärliteratur doch viele Mosaiksteine zum
Phänomen Duncan zusammengetragen. Daher war Done into
Dance, eine 1995 von der Tanzwissenschaftlerin Ann Daly veröffentlichte
Duncan-Studie, eine wichtige Quelle, die dem Autor nach eigener
Aussage für viele Aspekte von Isadoras Kunst erst richtig
die Augen geöffnet hat. Eine weitere wesentliche Informationsbasis
war Life into Art. Isadora Duncan and her World, ein
Text-Bildband, herausgegeben von der Großnichte Dorre Duncan,
Carol Pralls und Cynthia Splatt. Und natürlich Duncans Autobiografie
My Life. Die daraus zitierten Passagen geben einen Eindruck
zumindest von einigen Persönlichkeitsfacetten der Duncan: Ich
sehe Amerika tanzen, mit einem Fuß ausgestreckt vom Atlantik
zum Pazifik, das edle Gesicht dem Himmel zugewandt, die Stirne gekrönt
von einer Million Sterne.
So die visionäre Duncan, die sich sprachlich allerdings als
theatral-pathetisch darstellt. Mit diesem heute unerträglichen
Verbal-Pathos geht Duncans künstlerische Überheblichkeit
einher, ihr an griechisch-klassischem Schönheitsideal orientierter,
aber darum nicht entschuldbarer rassistischer Reinheitswahn, den
Schmidt zurecht herausstellt. Verächtlich redet sie von den
stotternden affenähnlichen Konvulsionen des Charleston,
den wollüstigen Zuckungen des Negers. Und noch ein Vorteil
erwächst aus der schmidtschen Gründlichkeit: Isadora Duncans
ereignisreiche Vita ist minutiös nachgezeichnet: Das Aufwachsen
in einer vaterlosen, finanziell ständig bedrängten, aber
ungeheuer künstlerisch gestimmten Familie in San Francisco.
Eine Mutter und vier Geschwister, die die Existenz der jungen Isadora
organisieren. Um ihretwillen die Übersiedlung nach Europa,
nach Paris. Ein Leben dann zwischen Tourneen, Griechenland und Russlandaufenthalten,
oft begleitet vom gesamten Duncan-Clan. Ein Auf und Ab zwischen
Geldsorgen und Luxus, zwischen Bühnenerfolgen und gemeinsam
mit Schwester Elisabeth unternommenen Schulgründungen in Berlin,
Moskau und den USA. Ein durchgehender Balanceakt zwischen Karriere
und Liebesaffären, zwischen Euphorie und Tragik. Ihre beiden
Kinder ertrinken 1913, als ihr Wagen in die Seine stürzt. Und
tragisch auch der eigene Tod 1927: Bei der Fahrt in einem offenen
Bugatti verfängt sich ihr langer Seidenschal in den Speichen
und erdrosselt sie. Die tanzgeschichtliche Bedeutung von Duncans
Arbeit, ihr befreiender Einfluss auf Tanz und Choreografie,
die vielfachen Bezüge und Querverbindungen zu der sich generell
anbahnenden Tanzmoderne dieser ganze Komplex wird nur flüchtig
gestreift. Als außergewöhnliches Frauenschicksal im Aufbruch
der Emanzipation ist Schmidts Buch jedoch eine aufschlussreiche
und unterhaltsame Lektüre. Und eine nicht unwichtige Ergänzung
zum gewünschten Gesamtbild einer Künstlerin.
Malve
Gradinger
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