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Wir haben eine unseren Leserinnen und Lesern gemachte Zusage nicht
einhalten können. Im Dezember-Heft 1999 hatten wir angekündigt,
über ein von der VdO initiiertes Symposium des Deutschen Musikrates
ausführlicher zu berichten, in dem es um die Vokalistenausbildung
in Deutschland ging. Je intensiver wir uns mit den beim Symposium
angesprochenen Problemen befassten, desto deutlicher wurde, dass
zu ihrer Darstellung umfangreiche Recherchen erforderlich sind,
die uns teilweise, so hoffen wir, von einem entsprechenden Forschungsprojekt
an der Universität Halle abgenommen werden.
Ganz pragmatischer Ausgangspunkt unserer Überlegungen, naheliegender
weise zunächst auf die Opernchöre bezogen, war die geradezu
rätselhaft widersprüchliche Arbeitsmarktsituation. Die
Anzahl derer, die im Hauptfach Gesang studieren, nimmt kontinuierlich
zu, die Zahl der festen Arbeitsstellen in den Ensembles der öffentlichen
Musiktheater nimmt ebenso kontinuierlich ab und dennoch gibt
es Spielzeit für Spielzeit in dreistelliger Zahl, vor allem
in den Stimmgruppen der tiefen Alte, der Tenöre und der Bässe
unbesetzbare Stellen. 118 waren es in der Spielzeit 1997/98, 132
in der Spielzeit 1998/99, obwohl die Zahl der verfügbaren Stellen
in den Opernchören zwischen 1992/93 und 1997/98 durch Theaterschließungen
und Chorverkleinerungen um rund 10 Prozent gesunken ist. Stünden
nicht immer noch ausländische Sängerinnen und Sänger
zur Verfügung, wäre es um manchen Opernchor schlecht bestellt.
Zwei einander vielleicht sogar ergänzende Erklärungen
für diese widersprüchliche Situation bieten sich an: Die
Ausbildung an den Hochschulen ist unzulänglich, auf den Chorgesang
bezogen sogar mangelhaft, und der Beruf des Chorsängers ist
ungeachtet seiner größeren sozialen Sicherheit nicht
attraktiv genug. Beide denkbare Erklärungen bedürfen der
Recherche.
Norbert Balatsch, vormaliger Direktor des Bayreuther Festspielchores,
führte auf dem Frankfurter Symposium die mangelnde Attraktivität
des Chorsängerberufes zum einen auf die skandalöse
Unterbezahlung im Zusammenhang mit fehlenden Aufstiegschancen
zurück, zum anderen aber auf das geringe Ansehen des
Chores sogar innerhalb seiner eigenen Arbeitsstätte.
Letzteres läge wiederum nicht zuletzt an der in den meisten
Theatern ungeklärten, verschwommenen Position des Chordirektors,
der, so Balatsch, künstlerisch nicht Zuarbeiter, sondern
Partner der musikalischen Leitung, disziplinarrechtlich und hierarchisch
gleichberechtigt auf der Leitungsebene angesiedelt sein müsste.
Über Sängerausbildung zu reden mache nur Sinn, wenn man
auch Ausbildung, Laufbahnen und Stellung der Korrepetitoren und
Chordirektoren ins Visier nähme. Ein weiterer Punkt, der in
die Recherche einbezogen werden muss.
Wie recht Balatsch hat, wenn er vom geringen Ansehen
des Chores spricht, war einem Interview zu entnehmen, das der stellvertretende
Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung Ende
Oktober der Berliner Zeitung gab. Auf die im Vergleich
zu einem Orchestermusiker viel längeren Arbeitszeiten eines
Opernchorsängers hingewiesen, fragte er nassforsch zurück:
Aber wie lange steht der denn auf der Bühne? Dreimal kommt
er nach vorn, kann zwischendurch abgehen. Ein Laiensänger mit
guter Stimme kann durchaus in einem Opernchor singen.
Ob so viel vorlauter Unkenntnis können wir nur kopfschüttelnd
ins Neue Jahr gehen.
Ihr
Stefan Meuschel
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