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Sommertheater in Berlin
Das Karussell der Köpfe dreht sich weiter · Von Sandra
Krämer
In Berlin steht trotz parlamentarischer Sommerpause und Theaterspielzeitpause
das Thema Berliner Kulturpolitik nach wie vor auf dem
Spielplan, und wird vor und hinter den Kulissen eifrigst diskutiert.
Auftakt für den nächsten Akt des Stückes Was
wird aus Berlins Opern? war eine Mitteilung der Tageszeitung
Die Welt am 24. Juli: Der Berliner Senat plane ein Opernkombinat,
das aus Lindenoper, Deutscher Oper und vielleicht auch der Komischen
Oper bestehe. Das Holding-Modell der Pariser Oper übernimmt
Patenfunktion für diese Neustrukturierung. Getreu Stölzls
Vorbild verteilte Die Welt in schönster Theatermanier
schon einmal die Rollen beziehungsweise die Positionen, stellte
einen vorläufigen Haushaltsplan auf und befasste sich auch
schon mal mit dem künftigen Repertoire dieser Superoper.
Die in Stölzls Bühnenstrukturpapier vom 28. Juni vorgeschlagene
Umstrukturierung der Berliner Opernszene läuft demnach auf
eine verwaltungstechnische und künstlerische Zusammenlegung
der beiden großen Berliner Häuser hinaus ein Opernhaus,
zwei Spielstätten. Auch ein Paris-erfahrener Mann soll es sein,
der an der Führungsspitze dieses Opernkombinats die Fäden
zieht: der Dirigent und derzeitige künstlerische Leiter der
Staatsoper, Daniel Barenboim. Mit diesem Rollenangebot des Generalintendanten
hofft der Berliner Senat und allen voran der Regierende Bürgermeister
Eberhard Diepgen, Barenboim zum Bleiben überreden zu können,
nachdem der Berliner Senat Barenboims Forderung nach zusätzlichen
10 Millionen Mark ab 2001 für die Staatsoper nicht erfüllen
kann. Albert Kost, Intendant der Komischen Oper, und André
Schmitz, Verwaltungsdirektor der Deutschen Oper, würden die
organisatorische Leitung übernehmen. Andere Überlegungen
gehen von zwei künstlerischen Leitern und einem Finanzmanagement
aus. Eingebunden werden in dieses Opernkombinat sollen außerdem
Christian Thielemann, der seinen Vertrag als Generalmusikdirektor
an der Deutschen Oper gekündigt hat, sowie Fabio Luisi, designierter
Generalmusikdirektor der Deutschen Oper. Besetzungsprobleme auf
Grund doppelter Anwärter für eine Position ergäben
sich demnach für Andreas Homoki, dessen Vertrag als künstlerischer
Leiter der Komischen Oper noch nicht unterzeichnet ist, und Udo
Zimmermann, designierter Intendant der Deutschen Oper. Die Verwaltung
ließe sich so um etwa ein Drittel reduzieren, ebenso die künstlerischen
Vorstände, die Chöre und das Orchester. Statt 240 Musiker
würden nur noch 180 beschäftigt, von den 160 Chorsängern
blieben noch 120. Auch das künftig unabhängige Ballett
würde sich der Konstruktion problemlos fügen. Bei den
beiden Orchestern spare man zirca 10 Millionen Mark. Der Spielplan
hätte folgendes zu bieten: Werke des Barock und der Frühklassik
gäbe es künftig im historischen Haus, neben Mozart, Haydn,
Rossini und Donizetti auch kleinere moderne Stücke; für
die spätromantischen Opern von Wagner und Strauss sowie auch
die großen zeitgenössischen Spektakel bevorzuge man auf
Grund der besseren Akustik die Deutsche Oper.
Die Kulturverwaltung wies Berichte über eine geplante Zusammenlegung
der Berliner Opernhäuser als reine Spekulation zurück.
Kultursenator Stölzl versicherte außerdem, man werde
über die notwendigen Strukturmaßnahmen erst beraten,
sobald alle Betroffenen im September aus dem Urlaub zurück
seien. Die Annahme, dass eine Opernfusion längst ernsthaft
diskutiert wird, wurde nicht nur durch Stölzls in der Tat nicht
besonders überzeugendes Dementi verstärkt, sondern vor
allem durch die in den letzten Tagen bekannt gewordenen Zurückhaltungen
von Verträgen. Andreas Homoki, designierter künstlerischer
Leiter der Komischen Oper, wartet schon seit 13 Monaten auf einen
Vertrag. Fabio Luisi, designierter Generalmusikdirektor, war am
19. Juli vom Berliner Senat vertröstet worden. Laut seinem
Agenten Wolfgang Hartl werde der längst aufgesetzte Vertrag
bis zum Herbst nicht abgeschlossen, weil Berlin an der Umstrukturierung
der Opernlandschaft arbeitet, und noch nicht ersichtlich ist,
welche Rolle Luisi dabei zukommt. Fabio Luisi forderte von Stölzl
bis Mitte Oktober eine klare Aussage über seine Zukunft in
Berlin.
Udo Zimmermann, designierter Intendant der Deutschen Oper, reagierte
anfangs relativ gelassen auf diese Spekulationen. Der Kultursenator
habe ihm die Unterzeichnung von Fabio Luisis Vertrag zugesichert.
Generell lehnte er eine Fusion beider Opernhäuser mit der Begründung
ab, es wäre ein kulturpolitischer Schaden, weil die Häuser
samt ihrer Ensembles ihre Identität verlieren würden,
von den Orchestern ganz zu schweigen.
Den Plan, Daniel Barenboim die Generalintendanz für ein Berliner
Opernkombinat zu überlassen, hält Zimmermann konzeptionell
für fragwürdig, wenn er auch mit den Berliner Politikern
darüber übereinstimmt, dem Maestro Anerkennung für
seine Arbeit zu zollen und ihn aus Imagegründen in der Stadt
zu behalten. Seinen Intendantenstuhl sah er noch nicht kippen: Alles
andere wäre Vertragsbruch. Ich bin nicht nach Berlin gekommen,
um mich nach einer Ranküne ausbezahlen zu lassen. Die Stadt
kann die drei bis vier Millionen sicherlich für bessere Dinge
ausgeben, erklärte er am 25. Juli gegenüber dem
Tagesspiegel. Ich lehne mich jetzt zurück
und warte ab. Eine Woche später, nachdem sich die Gerüchte
verstärkt hatten, der 56-jährige Komponist und jetzige
Intendant der Leipziger Oper, der seinen Vertrag schon in der Tasche
hat, solle sein Amt gar nicht erst antreten, sondern werde mit 3,5
Millionen Mark ausbezahlt, schien diese Gelassenheit langsam zu
bröckeln. Vielleicht erinnerte er sich in diesem Zusammenhang
auch der in jedem derzeitigen Intendantenvertrag enthaltenden Klausel,
dass die Leitungen der Kulturinstitutionen an Strukturveränderungen
zur langfristigen Sicherung ihrer Häuser mitwirken müssen.
Ich weiß nicht, was ich von all dem halte soll,
äußerte er sich am 4. August gegenüber dem Tagespiegel.
Die andauernden Spekulationen schaffen ein Klima der Verunsicherung,
das letztlich dazu führt, dass kein Künstler von Rang
mehr nach Berlin kommen möchte. (...) Berlins Kulturpolitik
muss aufpassen, dass das Vertrauen in ihre Entscheidungen nicht
endgültig erschüttert wird.
Im September will er Stölzl ein Konzept vorlegen. Dieses sieht
eine stärkere Einbindung privater Geldgeber vor. Die
Kulturpolitik muss aus der Fokussierung auf Einsparmöglichkeiten
herauskommen und stattdessen neue Einnahmestrecken erschließen,
äußerte er sich gegenüber dem Tagesspiegel.
Bei allen Firmen und all dem Geld in Berlin halte ich es für
realistisch, Geldgeber für Einzelprojekte zu gewinnen
wir haben hier doch mindestens 20 bis 30 potenzielle Alberto Vilars.
Nur müssen das attraktive Produktionen sein, die mit prestigeträchtigen
Namen verknüpft sind. Hatte Zimmermann am 25. Juli gegenüber
der Sächsischen Zeitung die Zusammenlegungspläne
als Teil des Berliner Sommertheaters abgetan, wird ihm
nun bewusst, dass er sich mit einer Realisierung dieser langsam
abfinden muss. Konflikte mit einem Generalintendanten befürchtet
er jedoch nicht. Zumal er zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch
daran festhält, dass der derzeitige Leiter der Salzburger Festspiele,
Gérard Mortier, dieses Amt übernehme. Wir sind
seit langem gute Freunde und künstlerisch auf einer Linie.
Mortier würde mein Programm voll und ganz unterstützen.
Auch für Daniel Barenboim findet er in diesem Gespann Verwendung:
Der Daniel ist ja ohnehin kein konzeptioneller Mensch, sondern
einer, dem es vor allem ums Musikmachen geht. Ein Musiker, der einen
Intendanten braucht, der ihm Rahmenbedingungen für seine Projekte
schafft.
Das Problem hierbei ist nur, dass der mehrfach als Retter der Berliner
Oper wie schon zuvor der Berliner Festspiele erkorene Gérard
Mortier sich nach wie vor zurückhaltend äußert.
Laut dpa schließe er eine Superintendanz aller
drei Häuser grundsätzlich aus. Stattdessen könnte
Berlin andere Städte an Ausstrahlung übertreffen: Berlin
kann eine Opernstadt sein, die vielleicht wichtiger als Paris wird,
wichtiger als Wien. Eine Fusion von Deutscher Oper und der
Staatsoper Unter den Linden hält er dagegen aus Budgetgründen
für unumgänglich. Anders könne der Spielbetrieb nicht
aufrechterhalten werden. Chöre, technisches Personal und Verwaltung
könnten seiner Meinung nach reduziert werden. Dagegen plädierte
er für eine Beibehaltung der beiden Orchester.
Diese Meinung vertritt auch Matthias Glander, Orchestervorstand
der Staatskapelle: Die Qualität unseres Orchesters
muss in jedem Fall erhalten bleiben. Gleichzeitig warf er
dem Kultursenator vor, die Staatsoper wie ein Stadttheater zu
behandeln, obwohl er doch zu seinem Amtsantritt erklärt hatte,
gerade dieses vermeiden zu wollen. Den Kultursenator in Bayreuth
abfangen wollte der Orchestervorstand der Deutschen Oper, Karl-Heinz
Brölling, da sich der zuständige Abteilungsleiter der
Kulturverwaltung, Bernd Mehlitz, auf seine telefonische Nachfrage
hin nicht äußern wollte. Wir stehen vor einem
Rätsel und können uns eine Fusion überhaupt nicht
vorstellen, sagte er gegenüber der Welt
am 25. Juli.
Die Staatskapelle antwortete auf die publik gewordenen Überlegungen
gleich mit einem offenen Schreiben des Orchestervorstandes an den
Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen, Kultursenator Christoph
Stölzl und den Berliner Senat, unterzeichnet von den Dirigenten
Pierre Boulez, Christoph Eschenbach und Zubin Metha: Eine
schrittweise Zusammenführung mit anderen Orchestern würde
für die Staatskapelle den Verlust ihrer unverwechselbaren Identität
und Qualität bedeuten. Der spezifische Klang der Staatskapelle
kann nicht erhalten werden, wenn täglich andere Leute an den
Pulten sitzen. Jeder Klangkörper dieser Kategorie sucht seine
Musiker sorgfältigst nach traditionell entwickelten und gepflegten
Klangvorstellungen aus. (...) Unabhängig von tagespolitischen
Erwägungen muss eine derartige Institution gepflegt sowie entsprechend
behandelt und ausgestattet werden. Niemand käme auf die Idee,
an den Grundmauern des Brandenburger Tores oder des Roten Rathauses
zu rütteln es sei denn, um sie zu sanieren. Im
Rahmen eines mit Martina Helmig geführten Interviews bezüglich
seiner Pläne äußerte sich auch Götz Friedrich,
noch amtierender Intendant der Deutschen Oper, zum derzeitigen Modell
eines Generalintendanten. Friedrich plädiert für den Erhalt
dreier eigenständiger Häuser, allerdings sollte man in
diesem Rahmen auch über mögliche Kooperationen nachdenken.
Die derzeitige Problematik sieht er durch die in den vergangenen
Jahren stattgefundene generelle Entwicklung: Ende der zwanziger
Jahre gab es drei Opernhäuser, die einander lose verbunden
waren. Der Dirigent Fritz Zweig engagierte für das Männerensemble
in Janáceks Aus einem Totenhaus Sänger aus
allen drei Opernhäusern, weil dieses Riesenensemble einem Opernhaus
gar nicht zur Verfügung stand. Damals gab es keinen Generalintendanten,
nur eine echte Kooperation und Leute, die nicht nur mit ihren eigenen
Karrierescheuklappen herumliefen. Künstler wie Leo Blech und
Fritz Zweig haben an allen drei Häusern dirigiert. Diese Verhältnisse
sind mit der zunehmenden Spezialisierung und dem Ruf nach Profilierung
vielleicht nicht mehr up-to-date, aber es zeigt sich doch, dass
es unendlich viele Kooperationsmöglichkeiten gibt. Heutige
Rezepte orientieren sich mehr an Wirtschaftsbetrieben, wo Materialien,
nicht Menschen im Vordergrund stehen. (...) Die Berliner Kulturpolitik
hat unmittelbar nach der Wende die Chance einer Neuformation verpasst.
Damals gab es an den Theatern und Opern eine Bereitschaft bei vielen,
mit gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen neu umzugehen. Inzwischen
hat sich alles wieder verkrustet, sind Besitzstände gefestigt
worden. Nun hat es jeder, der wirklich etwas reformieren will, doppelt
schwer.
Und Daniel Barenboim, künstlerischer Leiter der Staatsoper
Unter den Linden? Dieser hält sich zur Zeit aus Anlass seines
50-jährigen Bühnenjubiläums in seiner Geburtstadt
am Rio de la Plata auf. Er werde nicht endlos warten, sagte er.
Im September will er eigene Vorschläge für eine Opernreform
in Berlin vorlegen. Dann erst will Kultursenator Stölzl mit
ihm über seine Vorstellungen sprechen, wonach Barenboim wiederum
über ein Verbleiben in der Hauptstadt entscheiden werde.
Für so eine Position sollte man lieber jemanden suchen, der
jung genug und unverbraucht ist, um sich solchen Aufgaben zu stellen,
dies ist die Meinung von Christian Thielemann, Generalmusikdirektor
der Deutschen Oper über die Besetzung der Generalintendanz.
Er selbst denkt nach seiner Vertragskündigung zum Ende der
kommenden Spielzeit angesichts der neuen Veränderungen über
ein mögliches Bleiben in Berlin nach. In einem Interview mit
Die Welt am 4. August erklärte er, dass er sich
dazu gegenüber allen denen, die sich nachhaltig für sein
Bleiben eingesetzt hätten, verpflichtet fühle. Mit Anspielung
auf Daniel Barenboim macht er darauf aufmerksam, dass sein Kündigungsgrund
nicht finanzieller Art war. Stattdessen betonte er, dass es ihm
darum gehe, nicht machtlos dazustehen, was bei Zimmermanns uneingeschränktem
Superpower-Alleinherrschaftsvertrag der Fall wäre.
Thielemann fordert, über neue Ansätze nachzudenken. Dazu
gehöre ein gegenseitiger Austausch von Musikern und Orchestermitgliedern
und Chor, eine Reformierung des Spielplanes, um Doubletten und Tripletten
zu vermeiden, und eine Konzentration jedes Hauses auf bestimmte
Komponisten.
Fassen wir also abschließend noch einmal zusammen: Vorangiges
Ziel ist die Sicherung des künstlerischen Niveaus bei gleichzeitiger
Einsparung etlicher Millionen verbunden mit einer alle zufrieden
stellenden Personalentscheidung, wobei die Devise gilt: keinen Intendanten
oder Dirigenten zu vergraulen. Ein Bleiben des Dirigenten Christian
Thielemann als Generalmusikdirektor unter der Intendanz Zimmermann
ist nicht vereinbar. Zimmermann auszuzahlen ist auf Grund der Sparzwänge
nicht diskutierbar. Eine Verpflichtung Thielemanns an die Staatsoper
löse zwar dieses Problem, schaffe aber ein neues: Daniel Barenboim
müsste seinen Platz dort räumen, der Berliner Senat will
dies jedoch auf Grund des zu befürchtenden Imageverlustes vermeiden.
Im Falle einer möglichen Fusion der beiden Opernorchester brauche
sich Stölzl um obiges Problem nicht mehr zu sorgen, denn dann
stehe ihm weder Thielemann noch Luisi geschweige denn Barenboim
zur Verfügung. Mit solch einer Voraussetzung ließen sich
zwei Häuser parallel nicht bespielen. Eine solche Fusion bringe
außerdem die Zerstörung der lange gewachsenen Klangtradition
der beiden Orchester und damit ein einzigartiges Kapitel der Berliner
Kulturlandschaft mit sich. Die angestrebte Haltung des künstlerischen
Niveaus wäre demnach von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
Hier schlösse sich der Teufelskreis wieder.
Blicken wir noch einmal nach Paris: In den sechziger Jahren fielen
unter der Ära des Kulturministers André Malraux fast
alle Pariser Traditionsorchester einer radikalen Reform
zum Opfer. Ergebnis dieser Maßnahme: das dortige Musikleben
hat sich bis heute nicht von dem Verlust der spezifischen französischen
Klangkultur erholt, Paris besitzt kein einziges Sinfonieorchester
von Weltrang. In Paris hat man außerdem zwei Opernhäuser,
ein altes das Palais Garnier und ein neues
die Bastille-Opera unter einer Generalintendanz zusammengefasst
und mit nur einem Orchester bespielt. Ergebnis dieser Maßnahme:
weniger Vorstellungen verbunden mit wesentlich höheren Kosten
und mehr Schließtagen als vorher. Schaut auf diese Stadt?
Sandra
Krämer
Abdruck
mit freundlicher Genehmigung des Mykenae-Verlags.
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