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Jugend musiziert vokal
Erfahrungen mit dem Gesang im Wettbewerb · Von Eckart Rohlfs
Im 30. Jahrgang von Jugend musiziert das war
1992/93 gab es einen erweiterten Untertitel: Wettbewerbe
für das instrumentale und VOKALE Musizieren der Jugend. Bevor
es so weit war, bevor die Ausschreibung die Kategorie Gesang als
Solowertung, ein Jahr danach für Vokalensembles einbezog, gab
es harte Diskussionen und Planungsgespräche über das Ob
und das Wie. Denn was für einen Sinn macht ein Wettbewerb für
junge Stimmen ab zehn oder elf Jahren, der für das instrumentale
Musizieren selbstverständlich geworden ist? Falsch ausgelöster
Ehrgeiz, nämlich schnelle Erfolge erzielen zu wollen, falsche
Vorbilder, falsche Literatur können sich bei zu jungen Stimmen
schädlich auswirken. Unterricht zu so frühem Zeitpunkt
sei äußerst problematisch, die Stimme in diesem Alter
nicht annähernd ausgereift und extrem empfindlich. Das waren
berechtigte Wortmeldungen und Zweifel. Andererseits meldeten sich
die Insider der Gesangsszene, die an dem bewährten Förderprojekt
für den instrumentalen Nachwuchs teilhaben wollten. Berufs-
wie Laienchöre beklagten mangelnden qualifizierten Sängernachwuchs.
Und aus dem eigenen Land könne sich solistischer Nachwuchs
für Opernbühne und Konzertpodium kaum behaupten. Schließlich
luden einige Bundesländer, zum Beispiel Baden-Württemberg
und Rheinland-Pfalz, testweise im Umfeld von Jugend musiziert
zu einem Wettbewerb für junge Sänger ein und wurden reihenweise
fündig: junge Sänger mit guten Stimmen, meist nicht ausgebildet,
aber interessiert daran; die stimmbildnerische Beratung im Zusammenhang
mit den Vorsingen wurde mehr und mehr eine der wichtigsten Aufgaben
der Juroren. Schließlich konnte man sich auch auf die Erfahrungen
der zentralen Talentetreffen der Vokalsolisten stützen, die
in der DDR seit über 20 Jahren von der Musikschul-, Kreis-
und Bezirksebene an aufwärts systematisch als Leistungsnachweis
und konsequentes Auswahlverfahren für den künstlerischen
Nachwuchs genutzt wurden.
All das motivierte, die Kategorie Gesang als Solo- und Ensemblekategorie
im Dreijahresturnus der Wettbewerbe Jugend musiziert
zur Regel werden zu lassen: als Angebot für Kinder und junge
Menschen bis zu 25 Jahren. Nach dem jetzt dreimaligen Durchlauf
fragten wir ehemalige Beteiligte und Experten, die in Fachausschüssen,
Jurygremien oder als Lehrer der verschiedenen Ausbildungsstufen
tätig sind, nach ihren Erfahrungen: Was brachte die Einführung
der Vokalkategorien in den Wettbewerb Jugend musiziert?
Motivation
Christiane Heinke, selbst vor ein paar Jahren Preisträgerin
des Bundeswettbewerbes Gesang Berlin, ist neben solistischen Aufgaben
in Konzert, Oper und Musical als Gesangspädagogin tätig.
Einige ihrer Schülerinnen nahmen vor einem Jahr am Bundeswettbewerb
Jugend musiziert in Köln teil.
Ganz direkt unterstütze ich den Jugend musiziert-Wettbewerb
deswegen, weil ich von mir selbst weiß, wie viel Spaß
mir damals schon alleine die Vorbereitung auf meinen eigenen Wettbewerb
gemacht hat. Das gleiche kann ich auch für Ulrike im letzten
Jahr sagen. Es war deutlich zu spüren, mit welchem Fleiß
und Eifer sie an das Erarbeiten des Programmes für den Wettbewerb
heranging. Für uns beide kann ich sagen, dass das Gefühl,
ein festes Ziel vor Augen zu haben, sehr anspornend wirkte. Das
ist natürlich vergleichbar mit dem Erarbeiten eines Konzertprogramms.
Aber der Drang nach Perfektion ist doch hinsichtlich
eines Wettbewerbs stärker, finde ich. Es macht auch einfach
Spaß, sich einmal dem Vergleich zu stellen: wie sind andere
in meinem Alter; bin ich, kann ich, will ich noch besser sein als
andere? Halte ich den Vergleich aus? Motiviert oder deprimiert mich
ein Messen mit anderen? Wenn ich den Beruf des Sängers erwäge,
muss ich frühzeitig anfangen, mich dieser Konfrontation auszuliefern,
denn der Vergleich, der Konkurrenzdruck, der reale Wettbewerb ist
für Sänger im späteren Berufsleben ungemein härter.
Wie viel Wettbewerb?
Warum für junge Sänger Jugend musiziert
und nicht nur ein Bundeswettbewerb Gesang B? Die
Frage sollte eher lauten: Warum nicht? Es gibt doch für Geiger,
Pianisten, Flötisten et cetera auch mehrere Wettbewerbe und
nicht nur einen. Eine der beachtenswertesten Kategorien des Wettbewerbs
ist das Singen im Ensemble. Denn es ist toll, wenn neben der Wettbewerbsidee
schon bei Zeiten eine Sensibilität für gemeinsames Musizieren
geweckt und gefördert wird. Das ist etwas, was ich gerade bei
Sängern für ausgesprochen wichtig halte. Unser Beruf ist
doch sonst sehr mit dem Solo-Etikett beklebt. Wir erlernen viel
Ellenbogenbewusstsein, und die Egomanie wird während des Studiums
noch gefördert.
Dass das Gesangsfach an den Musikschulen in Deutschland, wie die
Schüler- und Unterrichtsstatistik des Verbandes deutscher Musikschulen
nachweist, gerade in den zurückliegenden zehn Jahren mit die
größten Steigerungsraten aufweist, kommentiert Thomas
Holland-Moritz aus Remscheid, Fachberater des Verbandes deutscher
Musikschulen: Die Tatsache allein, dass der Solo- und Ensemblegesang
gleichwertig neben die Instrumentalfächer gestellt wurde, hat
einen großen Schub in Richtung stimmlicher Ausbildung bewirkt.
Die solistische Gesangsausbildung und die Ausbildung in kleinen
Ensembles hätten eben dadurch einen deutlichen Aufschwung erlebt.
Für die Förderung des chorischen Nachwuchses sei der Wettbewerb
allerdings eher peripher.
Aus dem singfreudigeren Südwesten unseres Landes klingt es
etwas positiver: Im semiprofessionellen Chorsingen wirkt sich
gewiss Jugend musiziert sehr positiv aus . Denn
in ihrer Umgebung stellt Frau Johanna Erbacher-Binder aus Leonberg
etliche Neugründungen von kleinen exklusiven Gruppen singender
Laien fest. Die Kategorie Ensemble sei halt immer noch
ein Stiefkind. Jugend musiziert könnte hierfür
noch weit mehr Bewusstsein wecken.
An Musikschulen in Baden-Württemberg um ein Land herauszugreifen
seien seit dem Jugend musiziert-Wettbewerb erheblich
mehr Gesangslehrer-Stellen geschaffen worden, als je zuvor, und
dies bedeute heute eine Gleichstellung mit der Instrumentalausbildung,
berichtet hierzu Frau Erbacher-Binder weiter: Daraus entwickle sich
ein gesunder Wettbewerbsgeist. Schulmusiker haben gespitztere Ohren
für Sänger. Schulkonzerte mit Oratorien-, Opern-, Musical-
und Chormusikprogrammen erreichen ein breites Publikum. So steigert
sich das Qualitätsbewusstsein auch der Zuhörer. Erfahrungsgemäß
sucht man den Weg zum Gesangspädagogen gleichermaßen
wie zum Geigenlehrer an der örtlichen Musikschule. Vorher war
Gesangsunterricht exklusiv und nur privat zu bekommen.
Welches Repertoire?
Mit dem Beruf des Sängers verbindet sich das Repertoire aus
Oper, Operette, Musical, im besten Fall auch mit der Lied-Literatur.
Doch deren Texte, deren musikalische und technische Anforderungen
passen nicht zu jungen Menschen unserer Generation. Was kann man
ihnen zumuten, empfehlen, mit was außerhalb der Popularmusik
kann man sie begeistern selbst zu singen, Spaß und
Freude daran zu haben? Aus dieser Frage heraus entstanden
ähnlich wie für die Instrumentalkategorien kleine
Kataloge mit mehr oder weniger empfehlenswerter Gesangsliteratur,
solistisch wie im Ensemble, nach Gattungen wie Volkslied, Lied und
Kunstlied, Musikbühne und Konzertgesang und darin jeweils nach
Schwierigkeiten geordnet.
Die Literaturlisten seien sicherlich schon eine große Hilfe,
meint Thomas Holland-Moritz, bedürften aber ständiger
Revision, oder zumindest eines turnusmäßigen Ergänzungsblattes
über Neuerscheinungen, zum Beispiel aus dem Gebiet Kinderoper,
Kindermusical. Und einschränkend verweist er auf die Tatsache,
dass die Literaturvorschläge zu wenig zur Kenntnis genommen
werden und vielen Lehrkräften der Mut zum Ausprobieren, Experimentieren
und Anfreunden mit dem Unbekannten fehlt.
In Jurykreisen ist man sich einig, dass hochgeschraubte Repertoires,
oft Sängervorbildern nachgeahmt, für das Schüleralter
ungeeignet sind. Titel aus Musicals sind allerdings nicht auszugrenzen,
aber Schlager, schlagerähnliche Unterhaltungsmusik und Titel
der Rock- und Popmusik hätten im Wettbewerb Jugend musiziert
nichts verloren.
Beratung durch Jury
Weit mehr als bei der Instrumentalmusik müssten bei der Beurteilung
der gesanglichen Leistungen entwicklungspsychologische Aspekte bedacht
werden. Nicht nur fachspezifische Kriterien, nicht nur Maßstäbe
klassischer Gesangsausbildung für ältere Gesangsstudierende
dürften der Jury Leitmotiv ihrer Beurteilung sein, sondern
stärker noch der musikalische Gestaltungswille, die farbige
Persönlichkeit der jungen Sänger. Und wer sitzt
in der Jury? Bedeutende Sängerpersönlichkeiten mit eigener
hervorragender Karriere dürfe man nicht auf pubertierende Kinderstimmen
loslassen: das würde allzu viel Frust verbreiten, postuliert
Frau Erbacher-Binder: ... so dass schon Hornhaut über
die kindliche Psyche wachsen muss, bevor die Schüler wieder
einigermaßen motiviert werden können, weiter im Chor
zu singen oder am Stimmbildungsunterricht teilzunehmen. Der Wettbewerb
mit Kindern sollte nur von Jurymitgliedern beurteilt werden, die
auch selbst Kinder unterrichten und Kriterien dafür entwickelt
haben und nicht ausschließlich den Maßstab Berufstauglichkeit
anlegen. Ein beträchtlicher Teil derjenigen, die sich
bisher bei Jugend musiziert sozusagen zum Testen
melden, hatten bisher keine gezielte stimmliche Ausbildung. Gerade
da ist dann die Beratung durch die Jurygremien gefragt, wird auch
in hohem Maße genutzt, und so wird die initiierende Funktion
des Wettbewerbes, frühzeitig Ausbildungsberatung anzubieten,
besonders evident.
Die Hauptverantwortung für die Vokalausbildung liege natürlich
bei den Gesangslehrern. Der Wettbewerb Jugend musiziert
könne jedoch wie eine Clearingstelle wirken, meint Christiane
Heinke, indem durch den wiederkehrenden nationalen Vergleich
eine interne Richtschnur zum Beispiel für die richtige Literatur
für junge Stimmen entsteht. Die Jury kann hier eine Menge beeinflussen.
Hieraus könnte auch ein Dialog mit dem Pädagogen stehen...
und als Lehrer kann man jede qualitativ wertvolle Unterstützung
gebrauchen.
Eckart
Rohlfs
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