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Impressionen aus Bayreuth
Giuseppe Sinopolis Ring · Von Nikolas Kuhn
In Bayreuth ist die FestspielWelt in Ordnung. Rund 40.000 Menschen
widmen zwischen Ende Juli und Ende August einen Tag bis zu einer
Woche einem Thema: Richard Wagner. Während Optimisten ohne
Eintrittskarte sich kurz vor Kassenöffnung aus dem Schlafsack
pellen, um dann doch bei Vorstellungsbeginn nur mit dem Schild Karte
gesucht dazustehen, drängt das Publikum zu den Einführungsvorträgen,
die parallel vom progressiven und vom konservativen Wagner-Lager
geboten werden. Beim anschließenden Cappuccino wird Christian
Thielemanns meisterliches Meistersinger-Dirigat gefeiert,
bis es Zeit wird, im Reclam-Heft das Librettto oder gar den Klavier-Auszug
zu studieren, um sich auf den Nachmittag vorzubereiten. Ab zwei
Uhr leert sich die Stadt und man glaubt, das Rascheln von 1.925
Smokinghemden, langen Kleidern und das Schnappen von ebenso vielen
Ohrclips, Collier-Verschlüssen und Manschetten-Knöpfen
zu hören. Fast alles ist noch so, wie es seit Bernard Shaw
bespöttelt wurde. Lange vor Vorstellungsbeginn füllt sich
der Platz vor dem Königsanbau auf dem Hügel
und die Gespräche, die aufgeschnappten Gesprächsfetzen
lassen auf ein interessiertes Publikum schließen, bürgerlich,
wie man so sagt, und durchschnittlich eher gesetzten Alters. Nur
in den beiden geschlossenen Vorstellungen für Gewerkschafts-Mitglieder
der anhaltende Dank der Neu-Bayreuther Festspiele für
die ihnen seit 1951 angediehene moralische Unterstützung
überwiegt junges Publikum.
Internationaler, oft radebrechender Sprachensalat: Da versuchen
die beiden Präsidenten der Richard Wagner-Societies aus Kapstadt
und Washington D.C., assistiert von ihren charmanten Schriftführerinnen,
wortreich einer Französin und einer Japanerin, beide mit goldenem
W am Busen, klar zu machen, dass sie die Traumbesetzung
der Walküre schon 1994 in der Mailänder Scala
gehört hätten: Placido Domingo als Siegmund he
is our opera house director in Washington, you know
Waltraud Meier als Sieglinde, Gabriele Schnaut als Brünnhilde.
Das Blechbläser-Signal vom Balkon, heftig applaudiert, ruft
auf die harten Sitze, und bevor noch die Es-Dur-Akkorde des Vorspiels
zu Rheingold erklingen, findet im Zuschauerraum ein
frappanter Farbwechsel statt: Aus dunkel wird hell. Da es brütend
schwül ist, entledigen sich fast alle ihrer Stolen, Jäckchen,
Jacketts. Einige krempeln die Ärmel auf; die Arbeit beginnt.
Der Ring des Nibelungen in neuer Inszenierung.
Am Ende der Götterdämmerung, nachdem auch
der Applaus von Abend zu Abend immer zögerlicher, die Diskussion
in den Pausen und überfüllten Lokalen immer kritischer
geworden war, ließen zwei Fragen sich nicht länger verdrängen.
Hatte das Inszenierungs-Team diesmal zu wenig Zeit? Hatten Giuseppe
Sinopoli (Dirigat), Jürgen Flimm (Regie) und Erich Wonder (Bühnenbild)
daher auch zu wenig Gelegenheit, sich konzeptionell miteinander
abzustimmen?
Alle Ringe aus der Bayreuther Werkstatt, zumindest
seit Wolfgang Wagners Inszenierung im Jahr 1970 (Dirigat Horst Stein),
erwiesen sich in ihrer Premieren-Version als ver- oder gar nachbesserungsbedürftig,
eher als Previews denn als Premieren. Das ist kein Makel, mehr eine
Selbstverständlichkeit: Die vier Opern in sechs Tagen hintereinander
auf die Bretter zu stemmen, ist eine schier unlösbare Aufgabe.
Doch einen so unfertigen Ring gab es noch nie. Nicht nur, dass begeisternd
durchinszenierte Szenen (zum Beispiel Wotan/Fricka im 2. Aufzug
der Walküre) solchen gegenüberstanden, die
wie gerade mal flüchtig arrangiert wirkten (zum Beispiel der
Auftritt der Erda aus einem von Wotan herumgedrehten Büro-Stuhl
und ihr hilflos schleichender Abgang in die Gasse, von Wotans Worten
Hinab! Hinab! Zu ewigem Schlaf! begleitet im 3. Aufzug
des Siegfried). Ärgerlicher noch, dass mal Regie-Einfälle,
mal handwerklich nicht gemeisterte Umbau-Erfordernisse die Musik
empfindlich schädigten. Während der Nornen-Szene (Vorspiel
Götterdämmerung), die unverständlicherweise
wieder in den Resten von Hundings Hütte spielt, steht Siegfried
bereits gleich einem Kandelaber an der Spitze seines Nachens, und,
als störe das den Gesang und Sinopolis geradezu kammermusikalische
Entflechtung der hier besonders komplizierten Motivfolgen noch nicht
genug, beginnt er dann, seinen Kahn umständlich zu lackieren
oder abzudichten. Der Sinn dieses Störmanövers ist ersichtlich:
Flimm will die Zusammenhänge herstellen. Warum aber ist Sinopoli
dagegen nicht eingeschritten? Warum duldete er es, dass die Orchesterzwischenspiele
in der Götterdämmerung, offenbar auf die Dauer
des jeweiligen Umbaus getrimmt, immer dann von tosendem Bühnenlärm
begleitet wurden, wenn Wonders Gibichungenhalle,
eine dreistöckige, vermutlich die Büroetagen einer (Sekt?-)Fabrik
darstellende Aluminiumkonstruktion, von der Seitenbühne hereingewuchtet
werden musste? Warum hat er nicht den Stab niedergelegt, als nach
dem 10. Takt der sogenannten Trauermusik der Vorhang fiel und das
Getöse erneut begann? Fragen über Fragen.
Fein heraus waren nur der Festspielchor und sein neuer Direktor,
Eberhard Friedrich. Schon in den Meistersingern hatten sie bewiesen,
dass Norbert Balatschs Erbe fortwirkt und bewahrt bleibt; die Mannen-Chöre
und Einsätze im 2. und 3. Aufzug der Götterdämmerung
waren von höchster Präzision und kaum zu übertreffender
Klangschönheit.
Premieren publizistisch hochzujubeln, bevor der Vorhang sich gehoben
hat, ist ein riskantes Unterfangen, denn im Theater wird bar bezahlt.
Udo Bermbach und Hermann Schreiber, die dramaturgischen Berater
Jürgen Flimms, hatten in einer gekonnten PR-Kampagne den Erwartungshorizont
so hoch gezogen, dass er sich vor der szenischen Realität nur
noch als Fallhöhe erweisen konnte.
Allenfalls im Rheingold war der angekündigte politische
Ring auszumachen; Wotan war selbst dann nicht als unser Zeitgenosse
zu erkennen, als er vor Wut über Frickas moralisch-argumentativen
Sieg (2. Aufzug Walküre) seinen Laptop zu Böden
schmiss, und wenn dieser Ring Deutschlands Gegenwart,
gar Deutschlands Neue Mitte widerspiegeln soll, ist
der verteidigende Einwand fällig, dass Kohl so allzumenschlich,
Schröder/Fischer so konzeptionslos denn doch nicht sind. Dabei
fing alles im Rheingold so vielversprechend an. Die
Rheintöchter neckten sich auf dem Grund des Flusses zwischen
geborstenen Kähnen mit einem verständlicherweise lüsternen
Alberich (sängerisch und darstellerisch hervorragend der schon
bei Levine/Kupfer bewährte Günter von Kannen), die Familie
Wotan befindet sich (in der 2. Szene) offenbar schon mitten in den
Umzugsvorbereitungen nach Walhall, Alberich leitet (3. Szene) aus
einem hanseatisch ausgestatteten Büro eine Chip-Fabrik und
in der 4. Szene altern die Götter wie bei Nestroy, bis sie
Freia samt ihren Äpfeln mit dem geraubten Gold freigekauft
haben. Doch schon beim Abgang der Götter über die Regenbogenbrücke
zeigt sich, dass der Ring, vom Rheingold
ausgehend, nicht fortsetzbar ist. Die Götter sind bei Wagner
nicht auch nur Menschen, wie Flimm sie teils vergnüglich,
teils bis an den Rand der Klamotte zeichnet. Loge, von Kim Begsley
ausdrucksvoll gesungen, ist der einzig die Götterdämmerung
überlebende Gott; sein theiresianisches Ihrem Ende eilen
sie zu, die so stark im Bestehen sich wähnen, mit dem
er den Einzug der Götter in Walhall kommentiert, wird durch
sein koboldhaftes Hampeln zunichte gemacht.
Folgerichtig funktionieren nur noch der 1. und 2. Aufzug
der Walküre in Wonders und Flimms realistischer
und stringent psychologisierender Interpretation. Waltraut Meier
(Sieglinde) und Placido Domingo (Siegmund) begeistern das Publikum
in Präsenz und Gesang in einer an eine Tschechow-Terrasse aus
einer Peter Stein-Inszenierung gemahnenden Hütte Hundings in
einer unvergessbaren Liebesszene, wobei Domingo auch bei
der Todesverkündung (2. Aufzug, 4. Szene) zeigt, dass
der Belcanto Wagner nicht fremd war. Ein Meisterstück ist Flimms
Inszenierung des Fricka/Wotan-Dialoges (3. Aufzug, 2. Szene), der
von dem kongenialen Einfall gekrönt wird, Fricka am Ende der
Walküre triumphierend noch einmal auftreten zu
lassen. Birgit Remmert singt in scharfer Deklamation die Wotans
Pläne vernichtenden Argumente, Alan Titus als Wotan hatte bei
all seinem bewundernswert nuancenreichen Organ Schwierigkeiten mit
der Artikulation und Stimmführung. Da er, wohl aus den genannten
politischen Erwägungen der Regie, nur den cholerischen,
oft auch brutalen Machtmenschen spielen darf, blieben alle Brünnhilde-Szenen
seltsam blutleer. Gabriele Schnaut, im hochdramatischen Forte oft
überfordert und in der Höhe von ungenauer Intonation,
kämpfte bewundernswert und mitleiderregend in dieser Inszenierung
auf verlorenem Posten; weder Wotan noch später Siegfried hatten
mehr als nur äußerlich arrangiertes Interesse an ihr.
Schon in dem zu einem modernen Büro verwandelten Wilden
Felsengebirge Wagners vermochten Erich Wonders Bilder und
Zeichen nur noch ästhetische Reize auszulösen, nichts
aber mehr stimmig zu machen. Der Rundhorizont des Wotan-Büros
schließt sich zu einem U-Boot-Turm-artigen Verließ Brünnhildes,
dessen Ausstattung aber verschwunden ist, wenn Siegfried es öffnet.
War da doch schon einer vor ihm durch den Feuerring geschritten?
Sollte Sieglinde ausgerechnet in Hundings Hütte geflohen und
Mime ihr dorthin gefolgt sein? Denn in Hundings Hütte hat Mime
seine Schmiede eingerichtet. Sollten aber diese Rätsel nach
der Devise In der Postmoderne stimmt eben nichts mehr
oder Everything goes Absicht gewesen sein, so haben
sie jedenfalls die Regie vor für sie unlösbare Rätsel
gestellt.
Die Götter der vier Abende waren Richard Wagner, das Festspielorchester,
die meisten Sängerinnen und Sänger und, allen voran, der
sie wahrhaft auf Händen tragende Dirigent Giuseppe Sinopoli.
Wie er die völlig auf sich gestellte Gabriele Schnaut im Brünnhilden-Monolog
des Götterdämmerung-Finales nuanciert geleitete, wie er
den wenig überzeugenden, allzu rabaukenhaft gezeichneten Siegfried
Wolfgang Schmidts selbst in Phasen offenkundiger Stimmprobleme geradezu
dialogisch mit dem in den Tempi aufs äußerste zurückgenommenen
Orchester begleitete, war atemberaubend. Nie überschwemmte
das Orchester die Stimmen, nur selten war der oft verquere Text
Wagners so verständlich wie bei Sinopoli. Und selten nur wurden
die motivgebundenen Musikerzählungen und -kommentierungen Wagners
so eindringlich vermittelt.
What a conductor! But what a pity, kommentierte
der Wagner-Society-Chef aus Washington D.C. Dem wäre nur hinzuzufügen,
dass der Werkstatt Bayreuth 2001 viel Ring-Schmiede-Arbeit bevorsteht,
bei der hoffentlich Giuseppe Sinopoli den Schmiede-Hammer schwingt.
Nikolas
Kuhn
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