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Die neue Spielzeit beginnt und wir pfeifen, Mut uns machend, im
dämmerigen Luftschutzkeller der Kultur das Lied vom Dahinsterben
der Kleinen Negerlein: Brandenburg, Frankfurt/Oder,
Potsdam, Senftenberg, Stendal, Wittenberg um nur die seit
1991 aufgelösten Musiktheater zu nennen mussten wir
zu Grabe pfeifen. Da warn es nur noch...
Und bang lauschen
wir den aus dem Volksempfänger krächzenden kulturellen
Luftlagemeldungen: Kulturfeindliche Bomberverbände haben das
Reichs-, pardon: das Bundesgebiet erreicht und bewegen sich von
Planquadrat A1 Richtung Südosten. In Berlin, Bonn, Bremen,
Erfurt/Weimar, Freiberg, Gelsenkirchen/Wuppertal, Gera/Altenburg,
Kiel, Lübeck, Nordhausen, Schwerin und Würzburg wurde
für die Musiktheater Voralarm ausgelöst. Den Anweisungen
der Luftschutzwarte ist unbedingt Folge zu leisten.
Wie damals im Krieg glauben wir, mit der Feuerpatsche alias Haustarifvertrag,
mit der Handspritze alias Sparmaßnahme, mit Gasmaske und kleinem
Beil alias Personalabbau den Terrorangriffen, wie das hieß,
widerstehen zu können. Damals glaubten wir es, bis wir verschüttet
waren. Die Krise ist die Chance des Theaters, lautet
ein geflügeltes Wort. Aber hatte nicht auch der gewissenlose
Demagoge Joseph Goebbels die Zerstörung der deutschen Städte
als Chance bezeichnet, sie ungebrochenen Mutes schöner
denn je wieder aufzubauen? Seine persönliche Hölle
befindet sich hoffentlich in Dresden.
Wissen jene, die da heute in Springerstiefeln, Heil-Rufe gröhlend,
unter dem knatternden Flattern der schwarz-weiß-roten Reichskriegsflagge
durch die Straßen marschieren und Heß, Himmler, Hitler,
Speer feiern, dass auf unabsehbare Zeit niemand mehr jeglichem Deutschtum,
auch jeglicher Reichsidee größeren Schaden zugefügt
hat, als diese national-sozialistische Bagage? Sie wissen es nicht
und können weder für ihr Nichtwissen noch für
ihre soziale Lage verantwortlich gemacht werden. Nicht Verbote ihrer
Organisationen, sondern Aufklärung, Bildung, Kultur, also gemeinsames
zivilisatorisches Niveau tun not. Der zivilisatorisch-gesellschaftliche
Kanon ist nicht zuletzt auch Voraussetzung für alle sozialen
Umverteilungs- und Generationenverträge. Diejenigen aber, die
mit dem Kopf in den narkotisierenden Dampfwolken des Ökonomismus
für Kultur- und Bildungsdefizite politische Verantwortung tragen,
können Nicht-Wissen nicht geltend machen. Sie wissen, was sie
tun.
Als Hans Magnus Enzensberger in seinem fulminanten Essay Ausblicke
auf den Bürgerkrieg darlegte, warum die Befreiungsbewegungen
der Dritten Welt Gefahr laufen, in die Barbarei abzugleiten, und
darauf hinwies, dass ohne Bindung stiftende Erziehungsprozesse die
Menschen zu Tieren degenerieren, da schalt ihn die herrschende Meinung
der Republik des Verstoßes gegen die political correctness.
Und Botho Strauß erging es ebenso, als er im Anschwellenden
Bocksgesang seinen Hass auf den devotionsfeindlichen
Kulturbegriff formulierte und die von der Gesellschaft tolerierte
Verhöhnung von Tradition und Autorität beklagte. Wilhelm
Liebknechts seinerzeit verständlicher Aufruf zum Kampf gegen
das Kultur- und Bildungssystem der Bourgeosie, das Teil des Beherrschungssystems
sei, hat sich zum größten Missverständnis des zwanzigsten
Jahrhunderts entwickelt, weil er nicht als Aufruf zur Demokratisierung,
sondern als Anweisung zu Nivellierung und Demontage von Kultur und
Bildung befolgt wurde.
Die Erosion der musischen Bildung in unseren Schulen, das Kaputt-Sparen
der Thea-
terkultur in der Fläche unseres Landes sind nur Spitzen kleiner
Eisberge im drohenden Dauerfrost des demokratischen Konsumismus.
Noch muss nur Voralarm gegeben werden.
Ihr
Stefan Meuschel
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