|
Aufbruch
Jürgen Flimm, Intendant des Hamburger Thalia Theaters und
Nachfolger August Everdings als Präsident des Deutschen Bühnenvereins,
hielt im Dezember seine Antrittsrede vor der Hauptversammlung des
Deutschen Bühnenvereins. Im Folgenden drucken wir die Rede
in gekürzter Fassung:
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich für mich ausgesprochen
haben. Ich habe mich wirklich nicht gedrängelt, in Augusts
Schuhe zu schlüpfen, diese Aufgabe ist ja nicht der Stoff,
aus dem die Träume sind. Dazu sind die Gezeiten zu stürmisch
und die See ist ziemlich kabbelig. Sie müssen mir alle helfen;
ich will mich gerne lautstark und mit der mir eigenen großen
Freude an Händeln für unsere schöne Sache in jegliches
Getümmel stürzen, aber ohne Ihre Hilfe, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wirds nicht gehen. Auf die Theatermenschen nämlich
kommt es in den schwierigen Jahren, die uns bevorstehen, an: aber
auch auf unsere Art und Weise, mit unseren schwierigen Partnern
umzugehen und uns diesen mitzuteilen. Derer gibt es bekanntlich
hauptsächlich zween großzügig sagen wir mal:
drei...
Es ist unschwer zu erkennen, wer diese drei Schattenmänner
und -frauen sein mögen allesamt Vertreter des entscheidenden
Teils unserer täglichen schwierigen und durch die Krisen ständig
in den neuen Tag der Entscheidungen geschubsten Arbeit: Sie sind
die Abgesandten und Vertreter unserer Öffentlichkeit: Zuschauer,
alt und jung; Politiker, demokratischer Couleur; und die Kommentatoren,
altmodisch Rezensenten genannt.
Unsere Partner also der Reihe nach: Zuerst die Politiker! Diese
haben es auch nicht immer so leicht, und Kulturpolitiker in den
Regierungen und Parlamenten sind, wie wir wissen, in der Regel eh
ohne Macht das Wahre, Schöne, Gute hat in der Politik
selten eine Heimat, im Gegensatz zu manchem gedruckten Wort. Sie
haben auch zumeist kaum Einfluss und immer weniger Geld, sind voll
guten Willens und voller Hingabe an die Sache, von der mittlerweile
die einen oder die anderen freilich sogar etwas verstehen.
Wir müssen unbedingt miteinander reden. Beide Seiten sollten
es unbedingt wollen, respektvoll und vor allem sachkundig zu debattieren...
Den Haushältern haben wir oft genug bedeutet, dass wir sehr
wohl willens sind, mitzudenken, mitzuändern, ja mitzusparen...
Aber alles das hat seine Grenzen. Viele Betriebe fahren schon auf
den Felgen, stehen vor dem Zusammenbruch, wie viele sind schon weg!
Von der Landkarte verschwunden! Das gabs dann mal und kommt
nicht wieder...
Was umgreift unser Kulturbegriff? Das ist eine Debatte wert! Und,
sind die Haushälter genau beim Rechnen? Wissen Sie, wie enorm
preiswert Kultur ist, Theater ist? Aber man kann halt nix schwarz
auf weiß nach Hause tragen das Hirn gibt nichts ab
zum Wägen, Zählen, Messen. Und da ist es drin, im Gedächtnis,
in den unerforschlichen Bezirken der Erinnerung. Ihr habt also eine
große Verantwortung, werdet ihr gerecht, liebe Finanzpolitiker
und Mandatsträger! Denken Sie doch einmal an die Wähler!
Unsere Klientel ist doch ein höchst aktiver Teil der Gesellschaft,
die Kulturbenutzer. Das kann man nachlesen. Wir sind
doch keine popelige Minderheitenveranstaltung. Schauen Sie doch
einmal auf diese Zahlen!
Dem Vergnügen der Einwohner soll einmal oben am
Potsdamer Theater eingemeißelt gestanden haben. Wir wollen
dieses Vergnügen recht wohl verstehen im Sinne der Aufklärer
Lessing und Brecht. Die zweite schwankende Gestalt also, die wir
an unserem Karussell vorbei sausen sehen, ist eine, die viel schwieriger
zu beschreiben ist als der geschätzte altmodische Geldgeber...
Ohne ihn, also den Zuschauer, das unbekannte Wesen, können
wir nicht auskommen. Und da geht es im Moment mal nicht um die Einnahmen,
die wir in zunehmendem Maße brauchen, oder um die notwendigen
Steigerungen der Eigenanteile. Also müssen wir uns täglich,
abendlich um ihn bemühen, ihn umgeistern, ihn nicht aus den
Klauen lassen!
... In vielerlei Gestalt zieht der Spielplan wie eine bunt gescheckte
Karawane vorbei: Aber die Ware will an die Frau und den Mann gebracht
sein. Es gibt immer genug Platz für freie Räume und Versuche.
Ohne diese werden wir freilich stumm und starr. Das System
ästhetisch und organisatorisch muss unbedingt in der
Bewegung bleiben: Stillstand bedeutet hier schon Krebsgang! Denn
Bewahren heißt nach Schönberg, den Fortschritt bewahren,
die Hoffnung auf neue Morgenröte bewahren und nicht ein prächtig
ausgestattetes Museum der vagen Werktreue zu errichten.
Viele Fragen werden uns in den kommenden Jahren über die Maßen
beschäftigen. Das ist anstrengend. Ich bin da guten Mutes:
Es gibt keine Krise des Theaters, es gibt vielleicht eine Krise
der öffentlichen Finanzen, an der die Kulturpartie am wenigsten
Schuld hat. Es gibt vielleicht eine Krise der Institutionen, die
uns aber auch nützen kann, so, wie Krisen eben immer zu uns
gehörten und immer wieder zu Neuem führen werden.
Und letztlich die Dritten, die uns auf der öffentlichen Seite
begleiten, sind die Kritiker unserer Aufführungen und Konzerte;
über diese sind alle Worte, alle Aperçus und Aphorismen
gemacht. Nehmt sie alles in allem: Sie sind wichtig und manchmal
haben sie auch Recht. Und sie dürfen das. Und sie müssen
das. Bedenken Sie aber, liebe Freunde und Kollegen, wir waren bitteschön
zuerst da! Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst und der beweglichen
Lettern. Gestern habe er wieder das Brot der Kritiker im Schweiße
seines Angesichts verdient, soll Kainz einmal gesagt haben. Wie
Recht du hattest, Josef, möchte man seufzend hinzufügen.
Wir machen unsere Sache und diese die Berichte, und der Zuschauer
sitzt dazwischen und gibt das Urteil. Und der ist leidenschaftlich
und unbestechlich.
Liebe Freunde, wir müssen viele Gespräche führen
in der Zu-
kunft, für die Zukunft:
Wie wir Solidarität untereinander bei aller Konkurrenz
üben.
Wie wir mit neuen Formen der Institutionen umgehen.
Wie wir die inhaltliche Debatte nach vorne treiben und nicht
in die Tariffallen tappen.
Wie wir unseren Nachwuchs fördern.
Wie wir unsere Vielfalt erhalten, die einzigartig ist in
der ganzen Welt.
Wie wir die überzeugen, dass wir nötig sind, die
nicht unsere Besucher sind.
Wie wir uns unentbehrlich machen!
Jürgen
Flimm
|