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 2000/01
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Kulturpolitik

Eklat in Wuppertal

Krise im Schillertheater NRW · Von Christian Sabisch

Am Anfang stand der Eklat. Mitten in der Premiere von Aischylos’ „Prometheus” trat der Wuppertaler Schauspiel-Intendant Holk Freytag auf die Bühne und verkündete dem überraschten Publikum, er habe diesen Moment lange gefürchtet, nun aber sei er gekommen: „Ich breche die Vorstellung ab.” Handwerkliche Fehler im ersten Teil, so Regisseur Holk Freytag zur Begründung, hätten ihn zu diesem radikalen Schritt veranlasst. Die Arbeitssituation sei mittlerweile unerträglich geworden, zu viele Stellen im Schillertheater gestrichen, Probentermine dramatisch eng, kurzum die Situation sei katastrophal: „Das Schauspiel in Wuppertal geht kaputt und keiner schaut hin.”

   

Einladend?
Wuppertals Theater.

 

Seit dem Eklat am 27. November vergangenen Jahres ist das Schillertheater nicht mehr aus den Schlagzeilen herauszukriegen. Schon am darauffolgenden Montag äußerte sich der SPD-Oberbürgermeister Hans Kremendahl über seinen „Freund Holk Freytag, den ich sehr schätze” auf der wöchentlichen Pressekonferenz: „Wenn das ein anderer in leitender Position in der Stadt gemacht hätte, hätten wir ihm die Ohren lang gezogen.” So aber wolle man von disziplinarischen Maßnahmen absehen. Narrenfreiheit für den Intendanten. Am nächsten Tag traf sich der Aufsichtsrat des Schillertheaters. Krisensitzung. Der Intendant erläuterte seinen Schritt, bedauerte und begründete erneut. Der Aufsichtsrat nahm’s hin und diskutierte auch das Strukturpapier, das die Geschäftsführung in Zusammenarbeit mit einem externen Gutachter erarbeitet hatte und das nun vorgelegt wurde. Darin zeichnen die Autoren strukturelle Probleme des Schillertheaters NRW auf, jener Fusion des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier mitsamt dem Schindowski-Ballett und der Wuppertaler Bühnen mit Opern- und Schauspielhaus und dem als eigenständige GmbH organisierten Tanztheater Pina Bausch. Zwar habe man, wie versprochen, insgesamt elf Millionen Mark eingespart und mit knapp 140 weit mehr als die geforderten Stellen abgebaut; die alljährlichen Tariferhöhungen würden jedoch alle Sparmaßnahmen zunichte machen. Die strukturell desolate Finanzlage, so das Papier, läge in dem hohen Personalaufwand und den alljährlichen Tariferhöhungen begründet. Ein Prozentpunkt mehr Lohn sei gleichbedeutend mit dem Abbau von vier bis fünf Stellen pro Jahr. Das Papier zeichnet drei Szenarien und ihre jeweiligen Einsparpotentiale auf: die Schließung einer der Sparten Musiktheater, Schauspiel oder Ballett. Den größten Einspareffekt von 10 bis 15 Millionen Mark hätte demnach die Schließung der Oper; die Aufgabe des Schindowski-Balletts brächte dagegen nur eine Kostenreduzierung von knapp 1,7 Millionen Mark. Als einzig akzeptables Alternativ-Szenario böte sich die Kooperation mit anderen Theaterpartnern an. Auf diese Weise ließe sich die Zahl von 320 Vorstellungen pro Jahr erhalten und gleichzeitig die Zahl der Eigenproduktionen halbieren. Einspareffekt hier: mehr als 4 Millionen Mark.

Was das Papier nicht aufzeigte, forderten Aufsichtsratsmitglieder von CDU und FDP in Wuppertal nach: eine Kostenanalyse für den Fall, dass der Vertrag über die Fusion, der 2001 ausläuft, nicht verlängert wird. Die wurde Ende Dezember vergangenen Jahres nachgereicht und kommt zu dem Ergebnis, dass in Gelsenkirchen keine zusätzlichen Subventionsmittel nötig seien, in Wuppertal dagegen 3,5 Millionen Mark. „Immerhin”, raunten Politiker von CDU und FDP, hatte doch der Wuppertaler Kulturdezernent Heinz-Theodor Jüchter (SPD) stets 10 Millionen Mark herumposaunt. Bei der „bürgerlichen Koalition”, die seit den Kommunalwahlen im Herbst die Mehrheit im Wuppertaler Rat der Stadt hat und mit einem SPD-Oberbürgermeister kohabitieren muss, neigt man eher zur Auflösung der Fusion. In Gelsenkirchen, wo die CDU nicht nur die Ratsmehrheit, sondern auch ihren Oberbürgermeister-Kandidaten durchsetzen konnte, ist das Stimmungsbild nicht so klar umrissen.

Doch eine Lösung muss her, das ist allen Beteiligten klar, denn im Jahr 2001 zieht Schauspielintendant Holk Freytag nach Dresden ab und sein Gelsenkirchener Kollege Gerhard Baum geht in den Ruhestand. Eine Findungskommission sucht seit Ende Januar nach einem Retter in der Not. Verschärft wird das Problem in Wuppertal durch den baulichen Zustand von Opern- und Schauspielhaus. Denn anders als in Gelsenkirchen sind beide Gebäude sanierungsbedürftig. Die Feuerwehr drohe bereits mit Schließung, berichtete Gutachter Reinhold Daberto Ende Januar dem Kulturausschuss der Stadt und legte Zahlen vor: Auf rund 86 Millionen Mark müsse sich die Stadt gefasst machen, um ihre beiden Häuser zu sanieren. Damit der Schock nicht ganz so tief drang, stückelte er die Baumaßnahmen in handliche Bauabschnitte. Erleichtert nahm das Gremium zur Kenntnis: ein verbesserter Brandschutz koste 2,1 Millionen und eine überfällige Erneuerung der Bestuhlung gut 1 Million Mark.

Der Gutachter forderte nicht nur eine klar gegliederte räumliche Konzeption für das verquaste Opernhaus, sondern rieb den Finger kräftig in die Wunde: eine zweite Stufe der Fusion müsse her. Und um die Finanzen endlich in den Griff zu bekommen, empfahl Daberto den Wuppertaler Kulturpolitikern einen radikalen Schnitt: Austritt aus dem deutschen Bühnenverein und damit Abschaffung der geltenden Tarifverträge.

Christian Sabisch

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