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Eklat in Wuppertal
Krise im Schillertheater NRW · Von Christian Sabisch
Am Anfang stand der Eklat. Mitten in der Premiere von Aischylos
Prometheus trat der Wuppertaler Schauspiel-Intendant
Holk Freytag auf die Bühne und verkündete dem überraschten
Publikum, er habe diesen Moment lange gefürchtet, nun aber
sei er gekommen: Ich breche die Vorstellung ab. Handwerkliche
Fehler im ersten Teil, so Regisseur Holk Freytag zur Begründung,
hätten ihn zu diesem radikalen Schritt veranlasst. Die Arbeitssituation
sei mittlerweile unerträglich geworden, zu viele Stellen im
Schillertheater gestrichen, Probentermine dramatisch eng, kurzum
die Situation sei katastrophal: Das Schauspiel in Wuppertal
geht kaputt und keiner schaut hin.
Seit dem Eklat am 27. November vergangenen Jahres ist das Schillertheater
nicht mehr aus den Schlagzeilen herauszukriegen. Schon am darauffolgenden
Montag äußerte sich der SPD-Oberbürgermeister Hans
Kremendahl über seinen Freund Holk Freytag, den ich sehr
schätze auf der wöchentlichen Pressekonferenz: Wenn
das ein anderer in leitender Position in der Stadt gemacht hätte,
hätten wir ihm die Ohren lang gezogen. So aber wolle
man von disziplinarischen Maßnahmen absehen. Narrenfreiheit
für den Intendanten. Am nächsten Tag traf sich der Aufsichtsrat
des Schillertheaters. Krisensitzung. Der Intendant erläuterte
seinen Schritt, bedauerte und begründete erneut. Der Aufsichtsrat
nahms hin und diskutierte auch das Strukturpapier, das die
Geschäftsführung in Zusammenarbeit mit einem externen
Gutachter erarbeitet hatte und das nun vorgelegt wurde. Darin zeichnen
die Autoren strukturelle Probleme des Schillertheaters NRW auf,
jener Fusion des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier mitsamt
dem Schindowski-Ballett und der Wuppertaler Bühnen mit Opern-
und Schauspielhaus und dem als eigenständige GmbH organisierten
Tanztheater Pina Bausch. Zwar habe man, wie versprochen, insgesamt
elf Millionen Mark eingespart und mit knapp 140 weit mehr als die
geforderten Stellen abgebaut; die alljährlichen Tariferhöhungen
würden jedoch alle Sparmaßnahmen zunichte machen. Die
strukturell desolate Finanzlage, so das Papier, läge in dem
hohen Personalaufwand und den alljährlichen Tariferhöhungen
begründet. Ein Prozentpunkt mehr Lohn sei gleichbedeutend mit
dem Abbau von vier bis fünf Stellen pro Jahr. Das Papier zeichnet
drei Szenarien und ihre jeweiligen Einsparpotentiale auf: die Schließung
einer der Sparten Musiktheater, Schauspiel oder Ballett. Den größten
Einspareffekt von 10 bis 15 Millionen Mark hätte demnach die
Schließung der Oper; die Aufgabe des Schindowski-Balletts
brächte dagegen nur eine Kostenreduzierung von knapp 1,7 Millionen
Mark. Als einzig akzeptables Alternativ-Szenario böte sich
die Kooperation mit anderen Theaterpartnern an. Auf diese Weise
ließe sich die Zahl von 320 Vorstellungen pro Jahr erhalten
und gleichzeitig die Zahl der Eigenproduktionen halbieren. Einspareffekt
hier: mehr als 4 Millionen Mark.
Was das Papier nicht aufzeigte, forderten Aufsichtsratsmitglieder
von CDU und FDP in Wuppertal nach: eine Kostenanalyse für den
Fall, dass der Vertrag über die Fusion, der 2001 ausläuft,
nicht verlängert wird. Die wurde Ende Dezember vergangenen
Jahres nachgereicht und kommt zu dem Ergebnis, dass in Gelsenkirchen
keine zusätzlichen Subventionsmittel nötig seien, in Wuppertal
dagegen 3,5 Millionen Mark. Immerhin, raunten Politiker
von CDU und FDP, hatte doch der Wuppertaler Kulturdezernent Heinz-Theodor
Jüchter (SPD) stets 10 Millionen Mark herumposaunt. Bei der
bürgerlichen Koalition, die seit den Kommunalwahlen
im Herbst die Mehrheit im Wuppertaler Rat der Stadt hat und mit
einem SPD-Oberbürgermeister kohabitieren muss, neigt man eher
zur Auflösung der Fusion. In Gelsenkirchen, wo die CDU nicht
nur die Ratsmehrheit, sondern auch ihren Oberbürgermeister-Kandidaten
durchsetzen konnte, ist das Stimmungsbild nicht so klar umrissen.
Doch eine Lösung muss her, das ist allen Beteiligten klar,
denn im Jahr 2001 zieht Schauspielintendant Holk Freytag nach Dresden
ab und sein Gelsenkirchener Kollege Gerhard Baum geht in den Ruhestand.
Eine Findungskommission sucht seit Ende Januar nach einem Retter
in der Not. Verschärft wird das Problem in Wuppertal durch
den baulichen Zustand von Opern- und Schauspielhaus. Denn anders
als in Gelsenkirchen sind beide Gebäude sanierungsbedürftig.
Die Feuerwehr drohe bereits mit Schließung, berichtete Gutachter
Reinhold Daberto Ende Januar dem Kulturausschuss der Stadt und legte
Zahlen vor: Auf rund 86 Millionen Mark müsse sich die Stadt
gefasst machen, um ihre beiden Häuser zu sanieren. Damit der
Schock nicht ganz so tief drang, stückelte er die Baumaßnahmen
in handliche Bauabschnitte. Erleichtert nahm das Gremium zur Kenntnis:
ein verbesserter Brandschutz koste 2,1 Millionen und eine überfällige
Erneuerung der Bestuhlung gut 1 Million Mark.
Der Gutachter forderte nicht nur eine klar gegliederte räumliche
Konzeption für das verquaste Opernhaus, sondern rieb den Finger
kräftig in die Wunde: eine zweite Stufe der Fusion müsse
her. Und um die Finanzen endlich in den Griff zu bekommen, empfahl
Daberto den Wuppertaler Kulturpolitikern einen radikalen Schnitt:
Austritt aus dem deutschen Bühnenverein und damit Abschaffung
der geltenden Tarifverträge.
Christian
Sabisch
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