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Ungeliebter Prophet
Das Ende der Intendanz Dews · Von Stefan Keim
Vor John Dews Amtsantritt vor knapp sechs Jahren galt das Dortmunder
Musiktheater als zwar musikalisch ordentliches aber sonst reichlich
langweiliges Haus. Uraufführungen waren selten, die meisten
Inszenierungen blieben braves Handwerk. Dann kam John Dew, der sich
in Bielefeld den Ruf eines Opernausgräbers erworben hatte,
und erschreckte in der ersten Spielzeit die Zuschauer. Plötzlich
standen Titel auf dem Spielplan, von denen noch niemand etwas gehört
hatte, und auch einige Komponisten waren eher unbekannt, La
Juive von Jacques Fromental Elie Halévy zum Beispiel.
Zu Dews Einstand sah das Publikum auf eine nackte Bühne, durfte
sich nicht an opulenter Ausstattungskulinarik erfreuen, sondern
war genötigt, sich auf eine Geschichte zu konzentrieren. Am
Schluss zeigte der Regisseur ein brennendes Asylbewerberhaus und
hämmerte seinen Zuschauer die Gegenwart ins Hirn. La
Juive war leider nicht typisch für viele
Arbeiten Dews in den folgenden Jahren. Zu oft begnügte er sich
damit, unbekannte Stücke in bunte Bilder zu setzen und ihr
Inneres nicht weiter zu durchleuchten. Manchmal wie in Ernest
Blochs vergessener Macbeth-Oper vom Beginn des Jahrhunderts
fand er aber zu alter Kraft zurück. Den Blutrausch des
Tyrannen stellte Dew als vorweihnachtliche Lichterkette dar, in
der mobileartig Leichenteile hingen ein extremes, provokantes
Bild von grausig-grotesker Schönheit.
Die Dortmunder gewöhnten sich an Dew, und einige Stücke
wie Die Schöne und das Biest von Philip Glass wurden
Publikumserfolge. Das Musiktheater erhielt internationale Beachtung
wie niemals zuvor, es fiel zudem auf, dass das Sängerensemble
überdurchschnittlich gut war. Anders sah es im Schauspiel und
im Ballett aus, für diese Sparten ist der Generalintendant
ja auch verantwortlich. Hier blieb Dortmund trotz einiger Studio-Erfolge
auf dem Niveau einer wackeren Provinzbühne. Gegen den Willen
Dews wurde vor einem Jahr mit Michael Gruner ein neuer Schauspieldirektor
installiert, der selbstständig arbeitet. Das war ein Zeichen
dafür, dass die Zeiten für Dew schwerer würden.
Immer wieder gab es während seiner Intendanz kleinere und
größere Skandale, die in der Lokalpresse genüsslich
aufgebauscht wurden. Es gärte und kriselte ein wenig, aber
ernst nahm das kaum jemand. Heute sagt Theodor Uhlmann, der seit
über 20 Jahren Vorsitzender des Dortmunder Kulturausschusses
ist: John Dews Verdienste als Regisseur sind unbestritten,
aber er hat kein Fingerspitzengefühl. Uhlmann stellt
die Frage, warum ein Intendant überhaupt auch der prägende
Regisseur eines Hauses sein muss: Wahrscheinlich brauchen
wir in dieser Zeit einen Generalmanager, der für die einzelnen
Sparten verantwortlich ist. Der dann nicht die künstlerische,
aber die Gesamtverantwortung hat. Dieses Modell wird in Stuttgart
sehr erfolgreich gefahren. Wir haben uns das in aller Ruhe angeschaut,
und glauben, dass das Modell Stuttgart in etwa bei uns auch eingeführt
werden soll. An John Dew als Generalmanager denkt
niemand, und für den Job des Operndirektors so formulierte
man flapsig könne er sich ja bewerben, wenn er Lust
habe. Das ist natürlich ein Rausschmiss, ein Affront, und zeigt,
dass Kulturpolitiker und Theaterchef sich nichts mehr zu sagen haben.
Das Dortmunder Theater hat nach Uhlmanns Rechnung vier Sparten:
die Oper, das Schauspiel, das Ballett und das Orchester. Jede dieser
Abteilungen soll einen eigenen Direktor bekommen, während ein
Geschäftsführer für das Ganze verantwortlich ist.
Dieses System hat Vor- und Nachteile. Die Kommunalpolitiker müssten
sich nicht mehr mit nervigen Künstlern auseinandersetzen, die
ganz anders denken als sie. Sie hätten einen Ansprechpartner,
der ihre Sprache spricht. Ruhig und sachlich soll der
Generalmanager sein, das wünscht sich Theodor Uhlmann. Andererseits
muss die persönliche Chemie zwischen den Direktoren und ihrem
Geldverwalter stimmen, sonst sind neue Theaterkräche vorprogrammiert.
Und da sind wir an dem Punkt, wo alle Strukturdiskussionen innehalten:
Letztlich kommt es auf die Leute an. Wer sich vor allem Ruhe wünscht,
bekommt zumeist kein spannendes Theater. Das lebt man denke
nur an Castorf, Peymann oder Gérard Mortier gerade
von der Reibung und der Lust an der Provokation. John Dew wird keine
Probleme haben, seine Arbeit fortzuführen. Mit Inszenierungen
in Berlin und Leipzig hat er sich längst auch in den Metropolen
einen Namen gemacht. Der Verlierer ist Dortmund. Denn all diese
bei aller Kritik doch immer spannenden Aufführungen
an einem Ort zu bündeln, der nicht gerade für innovatives
Musiktheater bekannt ist, war eine riesige Chance. Dew hat den aufregendsten
Spielplan ganz Nordrhein-Westfalens geboten, viel mehr Premieren
herausgebracht als vergleichbare Häuser und öffentliche
Aufmerksamkeit sowie viele Gemüter erregt. Ihn einfach abzusägen,
beweist kulturpolitischen Kleinmut.
Stefan
Keim
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