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Arbeitswelt Oper
Roman mit Insider-Wissen · Von Nikolas Kuhn
Petra
Morsbach, Opernroman. Die Andere Bibliothek. Eichborn Verlag
Frankfurt am Main 1998, 350 Seiten, geb. 49,50 Mark
Richard Wagner gibt für den Übergang der zweiten zur
dritten Szene des Rheingolds die Anweisung: Der Schwefeldampf
verdüstert sich bis zu ganz schwarzem Gewölk, welches
von unten nach oben steigt: dann verwandelt sich dieses in festes,
finsteres Steingeklüft, das sich immer aufwärts bewegt,
so dass es den Anschein hat, als sänke die Scene immer tiefer
in die Erde hinab. Endlich dämmert von verschiedenen Seiten
aus der Ferne her dunkelrother Schein auf: wachsendes Geräusch
wie von Schmiedenden wird überall her vernommen. Endlich wird
eine unabsehbar sich dahinziehende UNTERIRDISCHE KLUFT erkennbar...
Dieser szenischen Anweisung entspricht die Verknüpfung der
musikalischen Motive: vom Rheingold-, Entsagungs-, Angst- und Nibelungen-Motiv
überleitend zum Ring- und Wehemotiv, dem die Schläge auf
die Ambosse hinter der Szene unterlegt sind. Dem vergleichbar die
höchst ambitionierte Kompositionsstruktur des Opernromans
von Petra Morsbach. Sie beschreibt die Arbeitswelt Musiktheater
von innen und von unten: eine Art Nibelheim, nicht aus der Perspektive
der Götter und ihres Untergangs gesehen, sondern aus der der
eigentlich namenlosen Sklaven des Alben.
Die Regieassistentin Babs, unübersehbar mit autobiografischen
Zügen der Autorin, die in dieser Funktion und als Dramaturgin
unter anderem in Freiburg, Ulm und Bonn beschäftigt war (Insider
auch aus Frankfurt/Main mögen Schlüsselroman-Erlebnisse
beschmunzeln) und der Korrepetitor Jan mit Dirigierverpflichtung,
in seiner Homosexualität, Aids-Erkrankung und rigorosen Kunstbesessenheit
(einschließlich seines Nachnamens Laber) der Aufguss
einer Thomas Mann-Figur, sind die Träger der Schilderung einer
Spielzeit des Neustädter Theaters, das der Leser
sich als Drei-Sparten-Theater in einer deutschen Provinzstadt vorstellen
sollte.
Babs gibt ihren Beruf auf, Jan stirbt in San Diego : das Ende einer
Spielzeit, die so gar nicht hochgemut, sondern so begonnen hatte,
wie Spielzeiten eben zu beginnen pflegen: mit Umbesetzungsproben
für die Wiederaufnahmen, hier den Tristan. Die Assistentin,
deren Leistung am Gehorsam der Gastsänger gemessen wird,
schlägt sich mit dem Tenor-Cowboy aus Oklahoma herum, der zu
dem, was er da darstellen soll, nur meint: That is just Regisseur-bullshit,
und in Wagners Opernplot nur that fucking story sieht.
Geradezu lakonisch schildert Petra Morsbach den ganz alltäglichen
Wahnsinn der Arbeitswelt Musiktheater und zeigt dabei hohe Kennerschaft:
Von den Standardwitzen im Orchestergraben, wonach dort, anders als
beim Ochsen, die Hörner hinten sitzen und das Arschloch vorne,
über die eitlen Streitereien der Chor-Tenöre und die Schikane-Mechanismen,
mit deren Hilfe unfähige Dirigenten und nicht vorbereitete
Regisseure ihre Positionen zu behaupten verstehen, wobei nicht nur
dem jeweiligen Werk, sondern auch den Menschen Schaden zugefügt
wird, bis hin zu den beruflichen und menschlichen Intrigen aller
Spielarten lässt sie nichts aus. Isolde sei eine fucking
bitch, zürnt Tristan. Sie hat mir so schwer in
die Arm gelegt, dass ich der Luft verloren habe.
Fast alle Protagonisten heißen Peggy, Saskia, Kazuko, Gianni,
Dave oder Charlton und sprechen ein im Roman ohne jede Parodie wiedergegebenes
gebrochenes Deutsch. Lediglich der Bass, der aber nicht den Rocco
im Fidelio singen darf, sondern nur den zweiten Gefangenen, und
der Bariton in Brahms Deutschem Requiem heißen Jonathan
und Erwin. Das Ensemble, weiß Petra Morsbach, ist gut genug
fürs zweite Fach und fürs Theatergemeinde-Abonnement;
für den Glamour der Premiere oder für die großen
Partien holt der Intendant, das Auge ständig starr auf die
Karriere geheftet, ausländische Gäste. So ist das Neustädter
Theater zu einem experimentellen Durchlauferhitzer geworden;
diejenigen, die Erfolg haben, gehen, die anderen werden gegangen.
Ruhende Pole sind Nibelheims namenlose Kollektivsklaven: Orchester
und Chor, denn sie sind gewerkschaftlich organisiert und beinah
unkündbar, sowie die Bühnentechnik. Doch wer hat
auch nur ein anerkennendes Wort für den Bühnenarbeiter
Peter, dem es nach langem Üben und Transkription der Musik
in technische Zeichen gelingt, den Vorhang genau mit dem letzten
Tristan-Akkord zu schließen?
In fünf Akten, anhand der wichtigsten Inszenierungen dieser
Spielzeit in Neustadt Tristan, Figaro, Fidelio,
Fledermaus und Brahms-Requiem erzählt Petra Morsbach,
wie der alltägliche Wahnsinn allabendlich kulminiert und zugleich
völlig bedeutungslos wird, wenn der Vorhang sich öffnet.
Wenn es gut läuft, erlebt man höchstes Glück...
Manchmal freilich geht alles schief. Oper ist kein Terrain
der Bescheidenheit. Sie ist ekstatisches Verleugnen der menschlichen
Grenzen. Im Theater wird Schicksal auf den Punkt gebracht,
sinniert der Korrepetitor Jan, seinen nahen Tod vor Augen.
Petra Morsbachs Opernroman ist kein Künstlerroman, sondern
die romanhafte Darstellung der Produktion von Kunst und der an ihr
beteiligten Menschen. Redigierendes Lektorat hätte dem Buch
zwar gut getan, denn das Geläut der Bläser über
dem weißen Land zum Beispiel überfordert selbst
ausschweifende Vorstellungskraft, doch ändert das nichts daran,
dass hier eine Kennerin des Musiktheaters einen hochintelligenten,
informativen und zugleich unterhaltsam geschriebenen Roman vorgelegt
hat, dessen Lektüre zu empfehlen ist. Die an der Oper Beschäftigten
werden dabei viel über sich erfahren, die anderen viel über
die Oper, von der man, wie die Autorin schreibt, nur in Deutschland
leben kann. In seiner Beschreibung des Zustandes der Oper
ist es auch ein sehr deutsches Buch.
Nikolas
Kuhn
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