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Inszenierung mit Nachspiel
Konwitschnys Csárdásfürstin ·
Von Frank Kämpfer
Millenniumsböller oder Weltkriegsgranaten? Publikumspöbel,
Intendanten-Machtwort oder Urheberrechtsstreit? Was auch immer es
ist, das die Dresdner Semperoper seit einigen Wochen durchhallt
und für nicht endende Schlagzeilen sorgt eine Operette
stand bereits am Beginn. Doch die Csárdásfürstin
von Emmerich Kálmán, die mancher getrost mitpfeifen
kann, bringt in ihrer neuen Dresdner Lesart diverse Fragen ans Licht,
die für den Normalkonsumenten nicht unbedingt zu
einer Theatervorstellung gehören. Was beispielsweise geschieht,
wenn ein Premierenpublikum auf Spiel-Abbruch drängt, das Ensemble
jedoch für die Inszenierung einsteht? Wie andererseits ist
es um künstlerische Freiheit bestellt, wenn der
Intendant die Folgevorstellung entschärft und der
Regisseur seinerseits nach Rechtsbeistand ruft? Sind möglicherweise
theaterfremde Interessen im Spiel, haben sich gar politische Verantwortungsträger
getroffen gefühlt? Nicht zu vergessen die auch ästhetische
Frage, ob Operette es denn als Gattung verkraftet, wenn man sie
szenisch in ihre zeitgeschichtlichen Kontexte stellt.
Letzteres geschieht in Dresden mit einiger Drastik. Präzise
ins Abschiedsfest der vermeintlichen Diva Sylva Varescu kracht ein
Kanonengeschoss und die Szene merkt an, dass Kálmáns
Stück während des Ersten Weltkriegs entstand und auch
drei Akte lang spielt. Regisseur Peter Konwitschny nahm diesen Tatbestand
ernst und grundierte die Mehrzahl der Szenen mit Granatengeheul,
Uniformen und andererlei soldatischem Element. Johannes Leiackers
Bühnenbild stürzt von Salve zu Salve ein Stück weiter
in sich zusammen und die Solisten singen mit einiger Logik bald
stahlhelmgeschützt.
Das kleine purpurne Varieté auf der großen Bühne
der Oper ist umfunktioniert zum Verteidigungsgraben; die Unterhaltungsgesellschaft
samt Herrenchor und Grisetten wird geschlechtergetrennt für
den Stellungskrieg rekrutiert.
Die Kombination von Operette und Kriegs-Realität mündet
schließlich in Szenen, in denen (zumal in Dresden!) schonungslos
Erinnerung auflebt: wenn ein Butler mit Hitler-Frisur beispielsweise
die Bühne durchmisst und nach Granatengeheul das Theater einstürzt;
wenn Dialoge mit und über Komtesse Stasi, die Nichte
eines k.u.k. Fürsten, DDR-Zeiten assoziieren. Der kopflose
Tänzer, auf den sich die Boulevardpresse schon im Vorab konzentrierte,
aber auch diverse psychisch vom Kriege Versehrte, die sich im Walzerrausch
drehen, verspotten dabei mitnichten historisch erlebte Realität.
Groteske und Überzeichnung vielmehr werden zur theaterästhetischen
Form für das Phänomen Krieg, die schlimmste Form zivilisierter
Gewalt.
Den musikalischen Nummern obliegt für das Verständnis
von Inszenierung und Werk eine zentrale Funktion. Wird gesungen,
so gerät die (originalgetreu) überwiegend gesprochene
Szene an sich in eine Ausnahmesituation. Besingen die zwei zentralen
Paare des Stücks zwischen den Trümmern gar die ewige Treue,
dann rebellieren sie handlungsintern gegen liebesfeindliche Dünkel
und versteinte Moral; über die Figuren hinaus eröffnen
sich schließlich Wünsche nach einer anderen, gewaltarmen
Welt. Zu solcherlei Traum-Potentialen der Operette bekennt sich
Peter Konwitschny, seit er im Januar 1981 in Greifswald Kálmáns
Mariza und fünf Jahre darauf in Berlin Einakter
Offenbachs inszenierte.
Auch hier in Dresden wird Utopisches relevant. Walzerhimmel und
Liebesversprechen enthalten vitalisierende Kräfte, Gefühlskitsch
offeriert manch Überlebensmoment. Die wirklich provokanten
Szenen in der Inszenierung jedoch sind die leisen: wenn falsche
Verkleidungen fallen, wenn die sozial ganz Unteren sprechen, wenn
Kálmáns Hit von Theater-Zigeunern gespielt
zur beklemmenden Kammermusik avanciert.
Spielplanpolitisch betrachtet, ergibt sich die Frage, ob eine Theaterarbeit
von solcherlei Dimension nun auch das geeignete Angebot für
ein unterhaltungsfixiertes Silvester-Publikum ist. Beiderlei immerhin
Operntouristen als auch Konwitschny- Premieren sind
in Dresden seit Jahren nicht unbekannt. Dass sie in diesem Fall
kaum zusammengehören würden, war im Vorab wohl nicht zu
Ende gedacht. Die Geschehnisse hinter den Kulissen die Streichung
mehrerer kurzer, drastischer Szenen-Segmente seitens des Hauses
und der seinerseits drastische Einspruch des Gastregisseurs
scheinen Belege dafür. Eine andere Öffentlichkeit als
die des Theaterparketts tendiert derzeit dazu, den Dissens zugunsten
Peter Konwitschnys zu entscheiden und Intendant Christoph Albrecht
den Eingriff in die von ihm zunächst sanktionierte Inszenierung
zu untersagen. Letzterer beharrt auf seiner Kürzung, die von
Beschwerden aus dem Zuschauerraum herrühren mag ersterer
scheint gewillt, die punktuell entschärfte Version prinzipiell
verbieten zu lassen. Unabhängig von der fraglichen Angemessenheit
eines juristischen Wegs würden hier am Ende Gerichte entscheiden.
Ob dies schließlich der Aufführung dient, steht auf einem
anderen Blatt. Auch, ob Konwitschnys, übrigens weit im Voraus
ausverkaufte Csárdásfürstin überhaupt
zu einer weiteren Vorstellung kommt. Aber allein, dass der von beiden
Seiten zu betrachtende Streit überhaupt justitiabel zu werden
verspricht, produziert im Vorfeld beachtliche Schlagzeilen, denen
etwas Wichtiges fehlt. Theaterrivalitäten nämlich kommen
hier zur Debatte und allenfalls noch die Spitzen, keinesfalls aber
die entscheidenden Botschaften aus Konwitschnys Theatervision. Kontroverse
Positionen lesen sich stattdessen immer mehr zugespitzt, Verständigungsmöglichkeiten
scheinen nicht zu bestehen. Wiewohl der beiden Seiten bestens bekannte
Theaterbetrieb doch auf einer Vielzahl praktischer Kompromisse,
oder besser gesagt, auf funktionierendem Kommunizieren basiert.
Dass keine sachliche Einigung möglich sein soll, schmäht
übrigens in erster Instanz das Ensemble der Mitwirkenden. Denn
die Damen und Herren des Chores, die Solisten (unter anderem Sabine
Brohm, Pascale Schulz, Chris Merrit und Klaus Florian Vogt) und
das von Stefan Soltesz erfrischend und respektabel geführte
Orchester waren es schließlich, die am Premierenabend unverschämte
Rufe, Trillerpfeifen und schlagende Türen erfolgreich abzuwehren
verstanden.
Frank
Kämpfer
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