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Engagement für die Chormusik

50 Jahre Carus-Verlag – Ein Gespräch mit Johannes Graulich

Im Juni feiert der Carus-Verlag, der auf dem Gebiet der Chormusik weltweit zu den profiliertesten Verlagen gehört, sein 50-jähriges Jubiläum. Auch im Bereich Musiktheater und Oper gibt es hier einiges zu entdecken. Dabei spielt die künstlerische Förderung von Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle. So werden neue Impulse für das Opernpublikum von Morgen gesetzt. Arne Sonntag sprach für „Oper & Tanz“ mit Johannes Graulich, Sohn der Verlagsgründer Günter und Waltraud Graulich, der den Verlag seit 20 Jahren als Geschäftsführer leitet.

Oper & Tanz: Herr Graulich, Herzlichen Glückwunsch zum 50. Firmenjubiläum des Carus-Verlags! – Wobei die letzte Zeit sicherlich nicht ganz einfach für Sie war?

Johannes Graulich. Foto: Sven Cichowicz

Johannes Graulich. Foto: Sven Cichowicz

Johannes Graulich: Die letzten gut zwei Jahre waren harte Jahre. Im Grunde leben wir vom Aufführungsbereich, also im Wesentlichen davon, dass Chormusik in Probe und Konzert stattfindet, und beides hat nur bedingt oder gar nicht stattgefunden. Insofern waren wir von der ersten Minute dieser Pandemie sehr stark betroffen und sie hat uns auch bis heute nicht komplett aus ihren Klauen entlassen, denn die Chöre machen zurzeit die Konzerte, die sie eigentlich vor zwei Jahren machen wollten. Damals hatten sie natürlich auch schon ihre Noten gekauft und wir können noch nicht Entwarnung geben mit Blick auf das Ende der Pandemie. Aber unterm Strich hat Carus die Pandemie wirtschaftlich trotzdem ganz gut überstanden.

O&T: Zum Repertoire. Der Carus-Verlag hat in Bezug auf Oper und Musiktheater einiges im Angebot. Was waren denn einstmals die Überlegungen, sich auch auf diesem Gebiet zu engagieren?

Graulich: Von Anfang an war für uns Musiktheater im Kinder- und Jugendbereich ein wichtiges Thema. Zunächst waren das eher geistliche Singspiele, die der Carus-Verlag veröffentlicht hat, vielen ist da sicherlich noch Ulrich Gohl als Komponist bekannt. Über die Jahre hat sich das dann sehr verbreitert, insbesondere hat der ganze Musical-Bereich für Kinder und Jugendliche einen zentralen Platz in unserem Programm bekommen. Da arbeiten wir oft mit den Autorinnen und Autoren von der Idee übers Libretto bis zur Uraufführung und der anschließenden Veröffentlichung zusammen. Wir haben gemerkt, dass sowohl im schulischen Bereich als auch bei den Theatern wirklich ein großer Bedarf da ist – auch an thematisch aktuellen Stücken.

O&T: Gerade an Schulen tut sich ja schon seit einiger Zeit relativ viel. Fächer wie zum Beispiel Darstellendes Spiel, Theaterkurse oder Improvisation in Verbindung mit Gesang und Schauspiel sind ja sehr beliebt. Über diese Schiene können Kinder und Jugendliche auch einen Zugang zur Oper finden. Wird so etwas auch von Seiten des Verlags berücksichtigt?

Graulich: Absolut! Ich denke, dass für Kinder der künstlerische Ausdruck durch das Singen, aber natürlich noch verstärkt in Verbindung mit Bewegung, Tanz und Schauspiel eine tolle Möglichkeit ist, sich persönlich zu entwickeln. Solche Erfahrungen können die Kinder ein Leben lang prägen. Die Musicals, die Carus veröffentlicht, haben immer auch einen wichtigen Anteil für Kinder- und Jugendchor. Heute weiß man auch, dass Menschen, die bis zu ihrem 18. Lebensjahr nicht gesungen haben, wahrscheinlich nie mehr den Weg in einen Chor finden. Es ist uns also ein großes Anliegen, dass wir da gutes Material und gute Stücke anbieten, damit die Kinder Möglichkeiten bekommen, sich künstlerisch zu äußern und einen starken Bezug zur Musik zu bekommen.

O&T: Hat der Carus-Verlag hier auch Kontakte zu Lehrern und Schulen? Ist es Ihnen möglich, von Verlagsseite eine bestimmte Aktivität zu entwickeln?

Graulich: Ich will mal zwei Beispiele nennen. Das erste ist die Zusammenarbeit mit dem Berliner Komponisten Peter Schindler, der alle seine Stücke bei uns im Haus verlegt. Sobald so ein Stück entsteht, ist immer der Blick auf die Uraufführung mit im Gepäck. Das sind dann oft Schulen, Musikschulen oder Theater, die sich so ein großes Musical-Projekt zutrauen und mit denen dann die Werke erstmals erarbeitet werden. Wir tauschen uns also immer aus. Dieser Austausch betrifft übrigens den gesamten Carus-Katalog, denn wir versuchen bei neuen Werken und Editionen immer in Zusammenarbeit mit Künstlern und Musikern zu arbeiten. So gelingt es, dass das Stück am Ende wirklich die Gestalt hat, die dann in der Praxis gebraucht wird. Außerdem bietet zum Beispiel Peter Schindler im Vorfeld der Aufführungen oft Workshops für Schüler/-innen und Lehrer/-innen an. Bei solchen Musicals geht es immer um die großen Fragen des Lebens, um Liebe, um Freundschaft, um Hass. Bei Peter Schindlers Stücken sind es auch Fragen, wie unser Planet überleben kann und was die Herausforderungen der Zukunft sind.

Ein anderes Beispiel ist eine Uraufführung des dänischen Komponisten John Hoybye mit Texten von Michael Sommer die gerade in Vorbereitung ist. Da geht es um ein Stück, das Shakespeares „Hamlet“ zum Thema hat. Hier wird die Aufführung von der Landesmusikakademie in Ochsenhausen realisiert.

Gute Stücke entstehen also in Zusammenarbeit von vielen Verantwortlichen und die Ausgaben durchlaufen verschiedene Korrekturschleifen, bevor dann der Status erreicht wird, den wir veröffentlichen.

O&T: Wenn man weiter im Sortiment des Carus-Verlages schaut, finden sich Sachen wie etwa ein „Freischütz“ für Kinderchor. Da sind wir ganz nah an der großen Oper, zu der offenbar auch neue Zugänge geschaffen werden sollen.

Graulich: Das stimmt. Das beginnt übrigens schon mit der Barockzeit. Wir haben uns zum Beispiel intensiv mit Johann Adolf Hasse auseinandergesetzt, der musikalisch stark von der venezianischen Musik geprägt war. Da haben wir zum Beispiel die „Cleofide“, die über viele Jahre im Spielplan der Semperoper stand. Unlängst haben wir „Die erste Walpurgisnacht“, ein wunderbares Stück von Felix Mendelssohn Bartholdy, veröffentlicht oder auch Schauspielmusiken von Wolfgang Amadeus Mozart. Hinzu kommen Gesamtausgaben-Projekte, beispielsweise des Liechtensteiner Komponisten Josef Gabriel Rheinberger, der zwei Märchenopern hinterlassen hat. Das sind sehr schöne Stücke, die eigentlich dringend mal in einem größeren Haus gemacht werden sollten. Wir sind hier im Bereich weniger bekannter Werke und kleinerer Formen aktiv, die es zu entdecken gibt.

O&T: Inwiefern werden Komponisten wie Hasse, Holzbauer, Haydn oder Rheinberger aus ihrem Opernkatalog von den Ensembles aufgegriffen?

Graulich: Da denke ich jetzt an eine tolle Inszenierung in Stuttgart zurück, „Der arme Heinrich“, ein Singspiel von Josef Gabriel Rheinberger. Das hat die dortige junge Oper in Zusammenarbeit mit ihrem sehr leistungsfähigen Kinderchor gemacht und auch wirklich interessant inszeniert. Die haben es geschafft, eine spannende Geschichte zu erzählen. Die Musik ist wirklich fabelhaft und sehr berührend, aber vor allem auch chorisch gut leistbar. Da sieht man, wie lohnend es ist, auch mal abseits der Pfade zu gehen.

O&T: Darüber hinaus finden sich im Katalog verschiedene Sammlungen mit Opernchören.

Graulich: Viele Opern, die selten auf den Spielplänen sind, haben fantastische Chöre, die viel zu selten in Chorprogrammen gehört werden. Wir haben zum Beispiel zu Richard Wagner ein Chorbuch gemacht oder zu Giuseppe Verdi, auch zu Mozart und Joseph Haydn. Viele Erwachsenenchöre haben Lust, einfach mal ein Opernprogramm zu singen. Musikalisch ist das ja auf höchstem Niveau, dennoch ist vieles kaum bekannt. Da ist es wichtig, dass wir als Vokalmusik-Verlag die geeigneten Anthologien zusammenstellen. Gleichzeitig sind das wiederum Brücken oder Türöffner, um sich zum Beispiel mit den Opern von Joseph Haydn zu beschäftigen.

O&T: Welche Potenziale gibt es nach ihrer Einschätzung noch auf diesem Gebiet?

Graulich: Wirtschaftlich sind viele Opern-Projekte leider eher schwierig, weil wir solche Werke mit der gleichen Sorgfalt edieren wie zum Beispiel „Die Schöpfung“ von Haydn. Ein gangbarer Weg ist oft, wenn die Verantwortlichen aus den Opernhäusern Ideen für ein Stück liefern und das mit uns – meist über Jahre im Voraus – gemeinsam planen. Wir erstellen dann professionell das Material und wissen, dass es zumindest schon mal ein Haus gibt, das die Oper aufführen wird.

O&T: Bei solchen Projekten geht es also zumeist um ein „Work in progress“, so wie das beim Carus-Verlag bereits bewährte Praxis ist.

Graulich: Ja – und es kommt noch etwas Wichtiges hinzu. Früher verlief der Weg in das Repertoire über die gedruckte Musikalie. Das ist heutzutage längst nicht mehr so, denn Einspielungen sind ja meist rasch greifbar. Und die Informationen, die die Menschen heute am direktesten erreichen, sind Musik und Bild, ein Stück muss also auch auf YouTube
oder Spotify auffindbar sein, zumindest in Ausschnitten. Ohne das geht es eigentlich heute gar nicht mehr. Der Anspruch und die Voraussetzungen, die stimmen müssen, um Werke in die Öffentlichkeit zu bringen, sind eben heute ganz andere als vor einhundert Jahren.

Arne Sonntag

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