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Berichte
Die Leere füllen
„Hello to Emptiness“ von Stephanie Thiersch und dem Ensemble „Mouvoir“ in Düsseldorf
Mit der „Zeitenwende“ brechen auch für die Kunst neue Zeiten an. Vielerorts macht die aktuelle Produktion den Eindruck, als sei der Blitz in sie gefahren. Auch dem jüngsten Tanzprojekt der Kölner Regisseurin und Choreografin Stephanie Thiersch und ihrem Ensemble Mouvoir ist das jetzt genauso passiert. Geplant hatte man eigentlich ein Projekt zu Trauerritualen, zu den „moiroloi“, den uralten, die „Moira“, also das Schicksal beschwörenden griechischen Klagegesängen. Mit dem auf der Bühne im Düsseldorfer tanzhaus nrw installierten Wasserbecken wollte man sich um „Lethe, Fluss des Vergessens“ versammeln, archaische Vorzeit beschwören. Dann kam die Jetztzeit dazwischen. Probenphase und Kriegsbeginn fielen zusammen, und das „Thema“ war plötzlich hautnah. Insbesondere für die gebürtige Ukrainerin Mariana Sadovska, Sängerin-Komponistin im Ensemble. – Und das Stück? Hatte, so Dramaturgin Stawrula Panagiotaki, „schlagartig ungeahnte Dimensionen“ angenommen.
„Hello to Emptiness“ in Düsseldorf. Foto: Martin Rottenkolber
Nur, wie darauf reagieren? War darauf überhaupt noch zu reagieren? Die deutsche Erstaufführung von „Hello to Emptiness – Trauern als Performance“ gab eine klare Antwort: Ja und Nein. Dort, wo die als „Performance-Konzert“ ausgewiesene Produktion auf den Schultern der fünf Solisten ruhte, konnte mit gesteigerter Intensität des Spiels, der vokalen Aktionen Tuchfühlung zur Realität aufgenommen werden. Das Ensemble tat sein Möglichstes, wechselte die Register, war leise, war laut, war wütend, war verzweifelt unterm dröhnenden Wetterleuchten im Bühnenhimmel. Einerseits viel Innerlichkeit eines Ensemblegesangs, der in der aufgeblätterten Choreografie einen Zusammenhalt stiftete, den das autorlose Stück als solches nicht hatte; dort die Attacken, das Aus-sich-herausgehen. In dieser Spannung berührte die Produktion, was dem antiken Drama nachgesagt wird: kathartisch zu wirken.
An anderen Stellen, dort, wo ein Projektchor in die Gesamtchoreografie zu integrieren war, verlor man Spannung. Dabei erschien gerade dies als die partizipative, lokal geerdete Trumpfkarte eines Stücks, das nach seiner Uraufführung an der Griechischen Nationaloper Athen über Düsseldorf weiter nach Seoul,
Nîmes, Leipzig touren soll. Die für Düsseldorf gecasteten Laien-Choristen jedenfalls schienen einigermaßen überfordert, jene „deutende Funktion“ einzulösen, die ihnen die Dramaturgie zugewiesen hatte. Sobald der „Chor der Älteren“ seine Warteposition verlassen hatte – meditative Schaukeln wie im Gärtchen einer Seniorenresidenz – bestand die Aufgabe darin, Klagegesten zu imitieren. Gewandet in antikisierende Theaterroben, sah sich der eine, die andere augenscheinlich veranlasst, den Motivschatz der Bildenden Kunst zu mobilisieren. Vulgo: Tragisches Schmachten. Im Kontext von „Hello to Emptiness“ wirkte solches unfreiwillig komisch, überschritt die Schwelle zum Kitsch.
Die Stärken der Produktion lagen im Zusammenwirken der fünf wunderbaren, auch tänzerisch überzeugenden Solisten, um die man Stephanie Thiersch nur beneiden kann. Da ist die griechische Sängerin-Komponistin Martha Mavroidi, die den Löwenanteil der für „Hello to Emptiness“ teils neugeschriebenen, teils aus anderen Zusammenhängen entlehnten Arrangements und Kompositionen besorgte: berückend schöne, intonationssicher dargebotene, durchweg polyphon ausgesetzte Lieder zwischen Folklorismus und Kunstlied. Neben den Säulen Martha Mavroidi und Mariana Sadovska, letztere gilt in ihrer Heimat als die „ukrainische Björk“, agierten poetisch-biestig Manon Parent sowie die Counter Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola und Julien Ferranti. Und dahinter eine Stephanie Thiersch, die es verstand, diese multitaskenden Individualisten mit großem Gespür einzubinden in eine komplexe Choreografie, die sich, bitteres Echo auf den Strudel der Welt-Tagespolitik, in eine atemberaubend-sportive Artistik weitete. Das kostete Kraft – und füllte die Leere.
Georg Beck
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